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Trauma: Gottes Strafe, Gottes Gnade

Mord, Folter, Vergewaltigung – wie konnten Menschen im Dreißigjährigen Krieg seelisch gesund bleiben? Oder traumatisierten die Schrecken von damals weite Teile der Bevölkerung?
Der dreißigjährige Krieg

Für Magdeburg begann der Dreißigjährige Krieg im Herbst 1630. Um eine Rekatholisierung nach den Siegen der kaiserlichen Streitkräfte zu verhindern, schlossen die Stadtoberen mit Gustav II. Adolf von Schweden ein Bündnis. Der war kurz zuvor auf Rügen gelandet und gerierte sich als Befreier der deutschen Protestanten. Dem Kaiser konnte das nicht gefallen, denn Magdeburg kontrollierte die Elbe. Die dort eingerichtete schwedische Garnison musste seinem Kontrahenten den Vorstoß ins Deutsche Reich erleichtern. Womöglich würden auch die bis dahin neutralen Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg nun ebenfalls die Allianz mit dem »Löwen aus Mitternacht« suchen.

Daher ließ der oberste Heerführer der katholischen Liga und der kaiserlichen Armee, Graf Johann Tserclaes von Tilly (1559–1632), Magdeburg von seinen Truppen umschließen. Der schwedische Kommandant verweigerte jedoch die Übergabe. Für die Protestanten wurde die Stadt zum Symbolort des Widerstands.

Am 20. Mai 1631 ließ Tilly zum Sturm blasen. Mann gegen Mann kämpfend, drangen seine Söldner durch eine Bresche in der Stadtmauer und öffneten einige Tore. Bald brachen Feuer aus, und Wind trieb Flammenfronten durch die Straßen. »Sie haben die kleinen Kinder zum Feuer hineingetrieben als Schafe, haben sie auf Spieße gesteckt«, überlieferte ein Augenzeuge. Noch in mehr als 20 Kilometer Entfernung sei Magdeburgs Asche verweht worden, notierte später der berühmte Physiker und Ratsherr Otto von Guericke (1602–1686), und: »Da ist nichts als Morden, Plündern, Peinigen, Prügeln gewesen.« Mit Drohungen zu »erschießen, spießen, henken« sei die Preisgabe der Verstecke von Wertsachen laut Guericke erzwungen worden. Die Soldaten hätten Frauen vergewaltigt, manche verschleppt und fortan als Sklavinnen gehalten, und die Erschlagenen, Zerstückelten oder Verbrannten hätten sie in die Elbe geworfen. An einer Stelle trieben die Leichen noch lange in einem Strudel, »teils die Köpfe aus dem Wasser, teils die Hände gleichsam gen Himmel gereckt«.

Der große Krieg hat zahllose Schilderungen dieser Art hervorgebracht. Mit der schwedischen Invasion, die 1632 Süddeutschland erreichte, brach in manchen Regionen jedwede Ordnung zusammen. Selbst amtliche Berichte erzählten nun Unbeschreibliches. Ein Bauer musste mit ansehen, wie man seinen Vater erschoss und seine Mutter in einem Backofen verbrannte. Einer Frau schnitten Soldaten die Brüste ab, als sie ihnen nicht zu Willen war. Merkwürdig, dass Vergewaltigungen bis heute zum Repertoire eines Kriegs gehören – als ob erst die Macht über den Körper der Frauen die Herrschaft über erobertes Gebiet vollkommen erscheinen lässt. Künstler dokumentierten das Grauen in Text und Bild. So informierte der britische Chronist Philip Vincent seine Zeitgenossen 1638 über die Rohheit der Soldateska in seinem Werk »The Lamentations of Germany«.

Gräuelbeispiele aus den »Lamentations« | »Bei wem sie verstecktes Gold oder andere Reichtümer vermuteten, dem versuchten sie durch beispiellose Torturen ein Geständnis abzuzwingen.« In seinen »Lamentations of Germany« beschrieb der Brite Philip Vincent die Foltermethoden der Landsknechte im Dreißigjährigen Krieg. Dazu gehörte der Strick, der immer enger um den Kopf des Opfers gedreht wurde, wie auch das Hängen über Feuer.

Tagebücher und Chroniken berichten nicht nur von der Rohheit der Söldner, sondern schildern auch die Folgen des nicht enden wollenden Kriegs. In den belagerten Städten wie auf dem ausgeplünderten Land kam es zu Kannibalismus. Im 1638 ausgehungerten Breisach seien neben Hunden, Katzen und Mäusen auch Leichen, die man aus ihren Gräbern scharrte, gegessen worden, so der nahe Ulm lebende Schuster Hans Heberle (1597–1677) in seinem »Zeytregister«. Soldaten hätten angeblich sogar Kinder erschlagen, um sich an ihrem Fleisch gütlich zu tun.

Verwüstungen ganzer Landstriche

Einige Historiker haben versucht, solche Berichte als Ausfluss düsterer Fantasie oder Propaganda gegen den Feind zu diskreditieren. Doch dafür ist die Überlieferung zu dicht; zudem wird sie von der trockenen Statistik der Sterbebücher, Steuerlisten und Volkszählungen gestützt. Nach dem Krieg wurde beispielsweise in Bayern Acker- und Weideland für ein Viertel des Vorkriegspreises feilgeboten. Nördlingen, zuvor eine Stadt mit etwa 9000 Menschen, verlor gut die Hälfte seiner Einwohnerschaft. Und Augsburg, das im Winter 1634/35 eine Belagerung durch kaiserliche und bayerische Truppen zu überstehen hatte, zählte danach nur noch 16 000 Seelen. Vor dem Krieg dürfte die Reichsstadt, einst Metropole der Renaissance, mehr als 40 000 Menschen beherbergt haben.

Das sind sicherlich nur punktuelle Befunde. Es gab durchaus Städte, wie etwa Hamburg oder Wien, die in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts sogar wuchsen. Tatsächlich blieben der neueren Forschung nach einige Gebiete Deutschlands vom Krieg fast unberührt, insbesondere der Norden – mit Ausnahme Mecklenburgs, Brandenburgs und Pommerns – und die meisten habsburgischen Länder im Süden. Dafür wurden aber Bayern, Schwaben und Franken, der ganze Südwesten, Hessen und Thüringen schwer verwüstet. Niemals also erfasste der Krieg ganz Deutschland gleichzeitig. Welche Konsequenzen das hatte, ist zwar noch nicht gründlich erforscht, doch selbst von Kampfhandlungen betroffene Regionen erlebten so immer wieder kurze Zeiten der Erholung.

Die Experten sind einig darin, dass Hunger und Seuchen als indirekte Kriegsfolgen weit gravierender wirkten als Musketen und Kanonen. Ein Faktor, der erst seit den späten 1990er Jahren stärker Beachtung findet, war zudem die so genannte Kleine Eiszeit: Seit etwa 1560 bis in das 19. Jahrhundert hinein litt Europa wiederholt unter kalten, regenreichen Sommern und sehr harten, langen Wintern, was Missernten und damit auch Hungersnöte nach sich zog. Vermutlich trugen verschiedene Ursachen zu dieser Klimaverschlechterung bei, angefangen von kurzzeitig verringerter Sonnenaktivität, Vulkanausbrüchen, die Aschen in die Atmosphäre schickten, bis hin zu einer veränderten Neigung der Erdachse.

1984 postulierte der Demografiehistoriker Arthur E. Imhof, dass diese Schreckenszeit die Einwohner vieler Ortschaften nachhaltig traumatisiert habe. Er verglich die Entwicklung zweier Dörfer, nämlich des vom Krieg hart getroffenen Gabelbach in Schwaben und des ostfriesischen Hesel, das unbehelligt geblieben war. Daten für Gabelbach lagen allerdings erst für das ausgehende 18. und das 19. Jahrhundert vor. Damit unterstellte Imhof gleichzeitig, dass ein Trauma in der örtlichen Bevölkerung über Generationen hinweg übertragen würde und in der von Daten gestützten Zeit noch wirke.

Tatsächlich gab es Auffälligkeiten; in Gabelbach starben dreimal so viele Säuglinge wie in Hesel, andererseits erlebten in beiden Dörfern im Untersuchungszeitraum durchschnittlich etwa 4,5 Kinder ihren ersten Geburtstag. Imhof folgerte, dass die Geburtenzahlen und damit eben auch die Mortalität der Säuglinge im Norden niedrig gehalten worden sei, vermutlich durch Empfängnisverhütung. In Gabelbach dagegen hätte das Erleben ständiger Bedrohung – auf den Dreißigjährigen Krieg folgten der Spanische Erbfolgekrieg und die Kriege gegen Napoleon – eine wachsende Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben der Kinder und dem der Mütter hervorgebracht. Letztere hatten im Schnitt in Gabelbach 6,8 Kinder austragen müssen, damit eines überlebte, während es in Hesel 5,3 waren.

Letztlich steht Imhofs These auf tönernen Füßen, denn der implizierten »transgenerationalen Übertragung« widersprechen beispielsweise Untersuchungen der Kinder von Holocaustopfern: Fortdauernde psychische Belastungen lassen sich schon in der ersten nachfolgenden Generation nicht mehr zweifelsfrei nachweisen – und das, obwohl ungleich umfassenderes Datenmaterial zur Verfügung steht.

Was ist überhaupt ein Trauma, wie zeigt sich eine solche schwere psychische Verwundung? Die Betroffenen verdrängen einerseits die auslösenden Erlebnisse und erinnern sich andererseits doch wieder und wieder daran. Sie fühlen sich im Alltag oft ohne realen Grund bedroht, zudem versuchen sie, Situationen und Handlungen zu vermeiden, die sie an das Erlebte erinnern könnten. Menschen, die sich in Kriegsgebieten gleichsam in ständigem Alarmzustand befinden, entwickeln auch körperliche Beschwerden wie Kopfschmerzen, Bluthochdruck, Magen- und Darmbeschwerden. Das früheste Zeugnis solcher Posttraumatischen Belastungsstörungen sind Berichte über Soldaten, die im Ersten Weltkrieg heftiges Artilleriefeuer erlebten und in der Folge unkontrolliert zitterten, Essen und Trinken verweigerten, unter Angstattacken litten (die »Kriegszitterer«). Schilderungen solcher Symptome sind aus der Frühen Neuzeit allerdings nicht überliefert.

Weitere Gräuelbeispiele aus den »Lamentations« | Mit der höhnischen Begründung, das Gesicht des Opfers ebenmäßiger zu machen, schlugen die Söldner Teile davon ab. Die wohl verbreitetste Form der Folter war der »Schwedentrunk« – Waterboarding mit Jauche.

Es gibt aber auch indirekte Hinweise auf Traumatisierung. Der Züricher Psychopathologe Andreas Maercker verweist in diesem Zusammenhang auf Sri Lanka, in dem bis 2009 Bürgerkrieg herrschte. Die schweren psychischen Wunden hätten dort ein verändertes Sozialverhalten zur Folge gehabt: Man begegnete einander mit Misstrauen, die Gewaltbereitschaft nahm zu, Werte und Moral verloren an Bedeutung. Weithin herrschten Passivität und eine negative Einstellung zum Leben, weshalb oberflächliche und kurzzeitige Lebensziele dominierten. Das Auftreten solcher Symptome mag sich für den einen oder anderen Zeitgenossen des Dreißigjährigen Kriegs und auch für Nachgeborene bestätigen lassen. Sie gab und gibt es wohl zu allen Zeiten und in allen Gesellschaften. Um das Zeitgeschehen als Ursache nachzuweisen, bedürfte es aber massenhafter Quellenbelege – und die lassen sich schwerlich finden.

Den bisher überzeugendsten Ansatz, langfristige Traumatisierungen nachzuweisen, verfolgte die Bochumer Historikerin Maren Lorenz. Sie analysierte Quellen aus Territorien, die mit dem Westfälischen Frieden Schweden zugeschlagen worden waren. Das waren einerseits Akten der schwedischen Militärgerichte, andererseits Petitionen, Tagebücher, Korrespondenzen und Flugschriften, die das Erleben auf der deutschen Seite spiegelten. Letztere beklagten oft sadistische Grausamkeit und stumpfsinnige Rohheit; einige deutsche Briefschreiber trauerten verlorener Macht einschließlich der Verfügbarkeit von »Beutefrauen« nach. Krieg und Gewalt waren im Untersuchungsgebiet offenbar Alltagserfahrungen, und damit aller Wahrscheinlichkeit auch jener ständige Alarmzustand, den eine Traumastörung auslösen kann. Dass dies dann geschah, lässt sich aber nicht belegen.

Nicht allein die individuelle psychische Konstitution entscheidet darüber, wie Belastungen verarbeitet werden. Kulturelle und soziale Faktoren wie Weltbilder, Religiosität und gesellschaftliche Stellung dürften ebenso eine Rolle spielen, den einen Effekt dämpfen und den anderen fördern. Dass Traumaforschung und -therapie die Bedeutung kulturpsychologischer Aspekte einkalkulieren sollten, ist seit Langem bekannt, dennoch gibt es bisher wenig Forschung dazu. Auch zur Zeit des Dreißigjährigen Kriegs dürften solche Faktoren das Erleben des Schreckens beeinflusst haben. Freilich sind Studien hier noch engere Grenzen gesetzt.

Hunger und Tod als Preis der Sünde

Die Zeitgenossen des ausgehenden 16. und des 17. Jahrhunderts konnten die komplexen Zusammenhänge von Ursachen und Wirkungen nicht erkennen, versuchten aber die Krise mit den ihnen bekannten Modellen zu deuten. Hunger und Teuerung, Krieg, Pest und Kälte galten vor allem als Strafen Gottes für eine sündige Menschheit. Theologen deuteten die Heimsuchungen im Sinn der von der Bibel prophezeiten Apokalypse. Da offenbar Weltende und Jüngstes Gericht kurz bevorstanden, waren Gebete und Buße die angemessene Strategie, mit dem Desaster umzugehen. Trotz der Furcht, sich mit der Pest zu infizieren, versammelten sich die Menschen zu Bittprozessionen und Gottesdiensten. Manche versuchten allerdings auch, das große Aus doch noch abzuwenden und Gott zu besänftigen, indem sie die angeblich Schuldigen zum Beispiel als Hexen identifizierten und töteten.

Die Einbindung in ein Weltbild, das alles Tun und Lassen in eine Ökonomie von Strafe und Gnade verwob, mag vielen Zeitgenossen ein Stück psychischer Stabilität vermittelt haben. Den Gläubigen, und das waren so gut wie alle Menschen des 17. Jahrhunderts, blieb zudem immer die Hoffnung auf ein Wunder. Trost bot die Verheißung eines glückseligen ewigen Lebens. Um dessentwillen mochte man viele Bedrängnisse hinnehmen. Wie so oft dürfte die Religion die Wirkung eines beruhigenden Psychopharmakons gehabt haben. Wenn Psychologen heutzutage vorschlagen, Traumaopfern Orte der Sicherheit und Entspannung zu öffnen, wo sie sich erholen können, dann leistete der Glaube ebendies. Er bot Refugien wie Kirchen, Klöster und Kapellen sowie Praktiken, die Distanz zur bedrohlichen Welt schufen: Rituale, Gebete, Kontemplation.

Laut einer bislang kaum untersuchten These des Wirtschaftshistorikers Sascha O. Becker von der University of Warwick und des Münchner Bildungsökonomen Ludger Wößmann wurden die Ereignisse in katholischen Gegenden anders verarbeitet als in protestantischen. Altgläubige hatten einerseits einfache und konkrete Möglichkeiten, Gott zu besänftigen, indem sie beispielsweise gute Werke verrichteten, den Rosenkranz beteten und Kerzen stifteten. Der lutherischen Lehre nach wirkte dergleichen jedoch nicht. Auf der anderen Seite führte ein Suizid nach katholischem Glauben aus dem Jammertal des Lebens direkt in die Hölle, da vor dem Tod kein Bußsakrament empfangen worden war. Der französische Soziologe Émile Durkheim (1858–1917) vermutete deshalb, dass die Selbstmordrate unter Lutheranern damals höher lag. In extremen Situationen wie dem Augsburger Belagerungswinter 1634/35 scheinen aber auch sie die Option »Rettung durch gute Werke« versucht zu haben, spendeten sie doch trotz Mangel und Not kräftig für die Armen.

Somit ergibt sich ein weit differenzierteres Bild der psychischen Gesundheit während des Dreißigjährigen Kriegs. Sehr wahrscheinlich haben die Erlebnisse zutiefst bedrohlicher Situationen bei den Betroffenen schwere Wunden geschlagen, aber es existierten auch Strategien, damit umzugehen, zu gesunden oder sich dagegen zu immunisieren. Endgültig Abschied nehmen sollte man von der Vorstellung, ganze Völker könnten durch Vorgänge in der Vergangenheit ein Trauma erlitten haben. So wurden die Schrecknisse des Dreißigjährigen Kriegs zum Beispiel von dem deutschen Philosophen und Soziologen Helmuth Plessner (1892–1985) zur Vorgeschichte eines deutschen Sonderwegs gedeutet, der letztlich in den Nationalsozialismus mündete. Das gab ausländischen Kriegsparteien eine gewisse Mitschuld an den Katastrophen des 20. Jahrhunderts, doch so war es nicht: Hitlers Aufstieg begann in München und Berlin, nicht auf den Schlachtfeldern des Dreißigjährigen Kriegs.

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  • Quellen

Flaig, E.: Warum gibt es kein historisches Trauma? Einen Nonsense-Begriff verabschieden. In: Merkur 8, S. 670–681, 2011

Lorenz, M.: Das Rad der Gewalt. Militär und Zivilbevölkerung nach dem Dreißigjährigen Krieg (1650–1700. Böhlau, Wien, Köln, Weimar 2007

Maercker, A.: Trauma und Traumafolgestörungen. C.H.Beck, München 2017

Roeck, B.: Als wollt die Welt schier brechen. Eine Stadt im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges. C.H.Beck, München, Neuauflage 2018

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