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Christina von Schweden: Die radikalste Selbstbefreiung

Religion, Sex, Königskrone: Die Tochter des Schwedenkönigs Gustav Adolf tat, was ihr gefiel. Dann entledigte sie sich in einem atemberaubenden Schritt der Zwänge ihrer Zeit.
Königin Christina als Diana

»Ich war ein Sonntagskind, hatte eine raue Stimme, und der ganze Körper war behaart. Auf all das hin glaubten meine Hebammen, ich sei ein Knabe. Sie füllten das Schloss mit ihren falschen Freudenrufen, die eine Zeit lang sogar den König betrogen«, berichtete Christina in ihren Memoiren über den Tag ihrer Geburt, den 17. Dezember 1626. Die anfängliche Verwirrung rund um das Geschlecht des Kindes war freilich rasch behoben, und Gustav Adolf nahm die Tatsache, dass ihm kein Kronprinz geboren worden war, offenbar gelassen hin. »Lasst uns Gott danken«, soll er zu seiner Schwester gesagt haben, als sie ihm den Säugling präsentierte. »Ich hoffe, dieses Mädchen wird mir ebenso taugen wie ein Junge.«

Kurioserweise sollte das Geschlecht Christinas ihr Leben lang ein Thema bleiben, zumindest unterschwellig. Immer wieder wurde nicht nur in Schmähschriften suggeriert, sie sei in Wahrheit ein Mann oder gar ein Hermaphrodit. Genährt wurden die Gerüchte auch durch das eigenwillige Auftreten der Königin selbst, die oft und gerne Männerkleidung trug, sich häufig einer derben Sprache bediente, vulgäre Witze schätzte und gewöhnlich eher als männlich angesehenen Zerstreuungen wie der Bärenjagd nachging. Ein Jesuit in spanischen Diensten, der sie viele Jahre später heimlich in den Grundlagen des katholischen Glaubens unterrichtete, notierte verdutzt: »Von Weiblichem hat sie nichts als das Geschlecht an sich. Ihre Stimme, ihre Art zu sprechen, Gang und Betragen verraten nichts als Männliches.«

Christina waren die Zweifel an ihrem Geschlecht durchaus bewusst. Als sie eines Tages bei einem Unfall in hohem Bogen aus ihrer Kutsche geschleudert wurde und mit hochgerutschtem Rock landete, war sie froh darüber, »dass man mich gesehen, wie mich die Natur geschaffen hat, denn so wissen die Leute, dass ich weder eine Mannsperson noch ein Zwitter bin«.

Solche Überlegungen lagen dem neugeborenen Kind naturgemäß noch fern. Sollte Gustav Adolf davon enttäuscht gewesen sein, dass seine Gattin keinen Sohn zur Welt gebracht hatte, kam er schnell darüber hinweg. Nach allem, was wir heute wissen, war der König aus dem Hause Wasa seiner Tochter in zärtlicher Liebe zugetan. Sie sollte das einzige überlebende Kind sein, das seiner Ehe mit Maria Eleonora von Brandenburg (1599-1655) entstammte. Der Monarch fand freilich kaum die Gelegenheit, seiner väterlichen Zuneigung auch gebührend Ausdruck zu verleihen, war er doch vorwiegend mit Kriegszügen um die Vorherrschaft im Ostseeraum beschäftigt – gegen Russland ebenso wie gegen Polen, das von seinen Verwandten, dem katholischen Zweig der Wasa, regiert wurde.

Der König ist tot, es lebe die Königin!

Als der schwedische König schließlich im Juli 1630 mit einer 13 000 Mann starken Armee auf Usedom landete und damit offiziell in das seit zwölf Jahren tobende Gemetzel eingriff, das als Dreißigjähriger Krieg in die Geschichte eingehen sollte, hatte er sein Land bereits zur führenden protestantischen Macht des Kontinents ausgebaut. In einer Reihe von siegreichen Schlachten drängte Gustav Adolf die katholischen Heere weiter in die Defensive, drang bis nach Bayern vor und etablierte sich als bedeutendster protestantischer Feldherr dieses verheerenden Kriegs. Auskosten konnte er aber weder seinen Ruhm als »Löwe des Nordens« noch seine Stellung als Schutzherr der Protestanten: Der König fiel in der für die Schweden siegreichen Schlacht bei Lützen Anfang November 1632. Christina war da noch keine sechs Jahre alt.

Christina zu Pferd | Die junge Königin liebte das Reiten und die Jagd. Überhaupt galten viele ihrer Aktivitäten und Vorlieben den Zeitgenossen als verdächtig maskulin. Das Gemälde von Sebastien Bourdon entstand 1653/1654, als Christina ihren Hof zu einem Zentrum europäischer Hochkultur ausbaute.

Da Christinas Mutter Maria Eleonora als psychisch labil galt und zudem nie einen Hehl aus ihrer Verachtung für die in ihren Augen barbarischen Schweden gemacht hatte, übernahm ein fünfköpfiger Vormundschaftsrat, dem auch der »große Kanzler« Axel Oxenstierna (1583-1654) angehörte, die Regierungsgeschäfte sowie die Erziehung der kleinen Königin. Das Mädchen sollte wie ein Knabe erzogen werden. So hatte es ihr Vater bestimmt – und Oxenstierna, der seinem Herrn 20 Jahre lang als Kanzler und engster Berater treu gedient hatte, hielt sich daran. Christina lernte Fechten und Schießen; lange Ausritte und die Jagd liebte sie ohnehin. Vor allem aber wurde sie, ausschließlich von Männern, in Geschichte, Theologie, Philosophie, Mathematik, Astronomie und Geografie unterrichtet. An Sprachen standen Griechisch, Latein, Französisch, Deutsch, Italienisch und Spanisch auf dem Lehrplan. So galt die wissbegierige Jugendliche bald schon als außergewöhnlich belesen und gebildet. Ein Ruf, den sie ein Leben lang pflegen sollte.

Im guten, aber, wie sich bald zeigen sollte, irrigen Glauben, dass die Tochter den Thron Gustav Adolfs schon ausfüllen würde, bereiteten ihre Vormunde sie auf ihre Rolle als Regentin vor. Als Sechsjährige war sie durch den Tod des Vaters formell zur Königin der Schweden, Goten und Wandalen, Großfürstin von Finnland, Herzogin von Estland und Karelien sowie Herrin von Ingria geworden. Glaubt man ihren Memoiren, war sie sich schon als Kind ihrer Stellung bewusst. Von der Zusammenkunft des schwedischen Reichstags 1633, bei der sie den Vertretern der Reichsstände als Königin präsentiert wurde, berichtete sie: »Ich war klein, aber ich hatte auf dem Thron ein so hohes Wesen und Ansehen, dass es jedermann Ehrerbietung und Furcht einflößte.« Sie war und blieb unumstößlich davon überzeugt, dass sie Monarchin von Gottes Gnaden und absolute Herrscherin über ihre Untertanen sei.

Kein Mann an ihrer Seite

Auch um einen Gemahl für sie bemühten sich die Vormunde. Zwar stand in Schweden die Thronfolge den weiblichen Nachkommen prinzipiell offen, einen König an Christinas Seite brauchte es dennoch – und sei es nur, um durch gemeinsame Nachkommen den Fortbestand der Dynastie zu sichern.

An mehr oder weniger geeigneten Bewerbern fehlte es nicht. Von zahlreichen Höfen Europas kamen die Anfragen. Sie hatten aus verschiedenen Gründen kaum eine Chance – nicht zuletzt, weil so viele der großen Königshäuser Europas in katholischer Hand waren. Zumindest eine Zeit lang durfte sich ein Vetter Christinas ernsthafte Hoffnungen machen. Schon in der Kindheit waren sie und Karl Gustav (1622–1660) Spielgefährten gewesen und hatten einander in ihrer Jugend schwärmerische Liebesbriefe geschrieben. Sogar ein heimliches Eheversprechen soll ihm die Königin im Teenageralter gegeben haben. Als sie aber im Dezember 1644 volljährig wurde und die Regierungsgeschäfte übernahm, ließ sie ihn unumwunden wissen: »Was ich in der Jugend versprochen, ist aus jugendlichem Unverstand geschehen.« Und doch sagte sie die Hochzeit noch einige Jahre lang nicht endgültig und vor allem nicht offiziell ab.

Letztlich waren aber alle Hochzeitspläne zum Scheitern verurteilt, da Christina eine ausgeprägte Abneigung gegen die Ehe empfand. Zwar scheint sie im Lauf ihres Lebens durchaus zärtliche Gefühle für einzelne Männer entwickelt zu haben, doch schon der Gedanke an die geschlechtliche Verbindung mit einem Mann flößte ihr ganz offenbar Widerwillen ein. »Ich könnte es nicht ertragen, wenn ein Mann mich so gebrauchte wie der Bauer seine Felder«, soll die junge Königin gegenüber ihrer Freundin und möglicherweise Geliebten Ebba Sparre (1629-1662) gesagt haben. Die junge Hofdame war die engste Vertraute Christinas, die ihr den Kosenamen Belle, die Schöne, gegeben hatte. Die beiden schliefen gewöhnlich in einem Bett, was für unverheiratete Frauen zu jener Zeit zwar nicht ungewöhnlich war, im Verbund mit der Ehelosigkeit der Königin jedoch den aufkommenden Gerüchten, sie sei eine Lesbierin, zusätzliche Nahrung gab. Christina scherte sich nicht um das Gerede, sondern befeuerte es gelegentlich noch. Der puritanische Botschafter Englands an ihrem Hof, Bulstrode Whitelocke, berichtete verstört nach London, die Königin habe ihm zugeflüstert, Belles »Inneres« sei »so schön wie ihr Äußeres«.

Tratsch über Christinas Bettgeschichten

Genau wie ihr vermeintlich unbestimmtes Geschlecht gab das angeblich exzessive Sexualleben der Monarchin ihren Zeitgenossen einigen Anlass zu mitunter böswilligen Spekulationen. Nicht jeder ging dabei so weit wie der spanische Grande Antonio de la Cueva, der sie einmal die »größte Dirne der Welt« nannte. Aus ihm sprach wohl auch die Eifersucht, machte doch zu jener Zeit das Gerücht die Runde, die Schwedin habe ein Liebesverhältnis mit seiner Gemahlin. Die neuseeländische Schriftstellerin Veronica Buckley vermutet dagegen in ihrer Biografie der schwedischen Exzentrikerin, die Königin hätte bei Männern wie Frauen das »unvollendete Spiel« der tatsächlichen Affäre, das Werben und Kokettieren, dem Geschlechtsakt vorgezogen.

In Rom, wo sich Christina eines Tages als frisch von ihrem Volk geschiedene Exkönigin niederlassen wird, spielen solche Feinheiten freilich keine große Rolle. Das Gemunkel über ihre Affären mit Angehörigen beiderlei Geschlechts wird zum festen Bestandteil der in der Ewigen Stadt mit besonderer Hingabe verbreiteten Klatschgeschichten.

Für die Königin ohne Land | Christinas Konvertierung zum Katholizismus war ein Triumph für den Papst. Ihr zu Ehren wurden Feste abgehalten, wie diese Parade im Hof des Palazzo Barberini in Rom am 2. Februar 1656. Gemälde von Filippo Gagliardi und Filippo Lauri.

Zunächst aber muss sich Christina ab 1644 offiziell um die Regierungsgeschäfte in Stockholm kümmern. Ihr Land litt zu diesem Zeitpunkt bereits unter akutem Geldmangel. Zum einen hatte natürlich der Krieg laufend horrende Kosten verursacht, zum anderen hatte ihr Vater zur Finanzierung diverser Modernisierungs- und Reformvorhaben Land und Manufakturen sowie Steuerrechte der Krone verkauft. Dass die neue Königin ein verschwenderisches Naturell besaß, verschlimmerte die Lage. Um dringend benötigte Mittel in ihre Kassen zu spülen, handelte Christina mit Adelspatenten. »Die Wappen und Schilder gehen nun in die Hunderte«, notierte ein Höfling. »Innerhalb von sieben Jahren hatte sie die Zahl der schwedischen Grafen versiebenfacht, die neun alten Barone mit 41 neuen überflutet und die Zahl der adeligen Familien fast verdreifacht«, listet Veronica Buckley auf. Zugleich wurde phasenweise das Gehalt der Beamten halbiert und der Sold mancher nicht an Kampfhandlungen beteiligter Truppenteile über Monate nicht ausbezahlt. Vorübergehend trug sich Christina sogar mit dem Gedanken, große Teile der schwedischen Flotte zu veräußern.

Ihre Verschwendungssucht strapazierte indes keineswegs nur die schwedische Staatskasse. Als Christina nach ihrer Abdankung als »die ambulante Königin« durch Europa zog, war sie so gut wie ständig von Geldsorgen geplagt. Zwar hatten ihr der schwedische Staat und ihr Nachfolger Karl Gustav Einkünfte aus mehreren Reichslehen zugesichert, die gingen jedoch höchst unregelmäßig ein. Zudem gab Christina stets mehr aus, als sie einnahm. Sie scheute sich allerdings auch zu keiner Zeit, an den Höfen Europas die benötigten Mittel zusammenzuschnorren. Kardinal Mazarin (1602-1661), der mächtige Minister Ludwigs XIV. (1638-1715), gewährte ihr ebenso großzügig Zuschüsse wie diverse Bankiers und Päpste.

Christina plündert die Prager Kunst

Der Stockholmer Hof verwandelte sich während ihrer Regentschaft in einen der prächtigsten Europas. Als »Minerva des Nordens«, wie sie sich nun gerne bezeichnen ließ, lud sie Künstler, Dichter und Denker aus ganz Europa an ihren Hof, an dem es bald von Engländern, Schotten, Holländern und vor allem Franzosen nur so wimmelte. Überall auf dem Kontinent ließ sie Kunstwerke, wertvolle Bücher oder gleich ganze Bibliotheken aufkaufen, mitunter auch rauben. Im Sommer 1648 – in Osnabrück und Münster feilschten Diplomaten um die Details des Westfälischen Friedens – eroberten schwedische Truppen in einem letzten Feldzug die Stadt Prag, besetzten den Hradschin und plünderten auf Geheiß ihrer Königin, was von der legendären Sammlung Kaiser Rudolfs II. (1552-1612) noch übrig war – und das war nicht wenig: Unter anderem 760 Gemälde, 270 Statuen, 30 000 Münzen, 300 wissenschaftliche Instrumente und 600 Kristalle wurden schleunigst nach Stockholm geschafft. Die Aktion gilt einigen als der größte Kunstraub der Geschichte.

Innenpolitisch machte sich die Königin daran, die Modernisierungsbemühungen ihres Vaters zu vollenden oder gar zu übertreffen. So plante sie etwa eine umfassende Schulreform und die Gründung einer schwedischen Akademie nach dem Vorbild der Académie française. Doch die Pläne wurden nie vollendet, ja noch nicht einmal ernsthaft in Angriff genommen. »Wenige ihrer Ideen überlebten den Überschwang der ersten Begeisterung«, schreibt die Biografin Buckley.

Beispielhaft für ihre sprunghafte, impulsive Natur war etwa Christinas Umgang mit René Descartes (1596-1650). Dank der Vermittlung des französischen Gesandten in Stockholm, Pierre Chanut, hatte die Königin brieflichen Kontakt zu dem Begründer des modernen Rationalismus aufgenommen und ihn mehrfach eingeladen, an ihren Hof zu kommen. Descartes ließ sich wegen der weiten Reise und des harten schwedischen Klimas nur sehr widerwillig dazu überreden. Als der Philosoph schließlich ihrem Drängen doch nachgab und im Spätsommer 1649 nach Stockholm reiste, war Christina mit allerlei anderen Angelegenheiten – wie der Uraufführung eines Balletts anlässlich ihres Geburtstags – beschäftigt und konnte den Franzosen wochenlang kaum empfangen. Er schrieb derweil auf ihren Wunsch an den Statuten der Schwedischen Akademie. Schließlich erbarmte sich die Königin, der die zunehmende Niedergeschlagenheit Descartes' wohl nicht entgangen war, und setzte einen fixen Stundenplan für das gemeinsame Philosophieren an – dreimal wöchentlich, jeweils um fünf Uhr morgens! Lange musste Descartes das nicht mitmachen – er starb im Februar 1650 in Stockholm.

Diskurs mit Descartes | Christina lud den Philosophen und Wissenschaftler René Descartes an ihren Hof nach Stockholm, interessierte sich anschließend aber kaum für ihn. Erst nach langem Hin und Her trafen sich die beiden zu einer Art philosophischem Frühsport (rechts im Bild). Gemälde nach Pierre Louis Dumesnil (1698–1781).

Im Januar des Vorjahres hatte sie den schwedischen Reichstag mit entschlosseneren Worten von ihrer Entscheidung bezüglich etwaiger Hochzeitspläne in Kenntnis gesetzt: »Es ist mir nicht möglich zu heiraten. So verhält es sich damit. Über meine Gründe schweige ich. Mir steht nicht der Sinn nach einer Ehe.« Allen Versuchen sowohl des versammelten Reichstags als auch des treuen Oxenstierna zum Trotz ließ sie sich von ihrem Entschluss nicht mehr abbringen. Vielmehr erzwang die Königin die Ernennung ihres Vetters Karl Gustav zum Thronfolger und Erbprinzen von Schweden, da sie ohne Gemahl auch keine Nachkommen haben werde, die Kontinuität aber gesichert sein müsse. Zu diesem Zeitpunkt war Christina jedoch wahrscheinlich schon mit den Vorbereitungen für ihren nächsten Coup beschäftig: dem möglichst reibungslosen Verzicht auf Krone und Thron – dabei war sie da noch nicht einmal gekrönt worden.

Christina arbeitet im Geheimen an Konvertierung und Thronverzicht

Noch kurz vor ihrer formellen Krönung im Oktober 1650 vertraute sie dem französischen Gesandten Chanut ihre Absicht an, auf den Thron zu verzichten, der davon Mazarin unterrichtete. Schon im folgenden Jahr teilte sie ihren Entschluss auch dem schwedischen Reichsrat mit, ließ ihn aber über alles Weitere im Dunklen. Insgeheim hatte sie wahrscheinlich sogar schon entschieden, zum Katholizismus zu konvertieren. Doch diese Bombe platzte erst später.

Warum sich die Anfang 20-Jährige – gerade einmal zwei Jahre, nachdem sich der Kontinent in einem Krieg der Konfessionen förmlich zerfleischt hatte – zu einem solch skandalösen Schritt entschloss, ist heute schwer nachzuvollziehen. Ein frommes Erweckungserlebnis scheint jedenfalls nicht der Grund gewesen zu sein. Sie selbst betonte noch Jahre später, als sie längst in Rom lebte, sie sei keine »Betschwester« – und werde auch niemals eine sein. An ihrer Frömmigkeit zweifelte auch der Papst selbst, unter dem sie konvertierte: Alexander VII. (1599-1667) nannte sie »eine Königin ohne Reich, eine Christin ohne Glauben und eine Frau ohne Scham«.

Tatsächlich dürfte sie in der Konvertierung wie auch im Thronverzicht ein Mittel zur persönlichen Befreiung gesehen haben, einen Schritt in die Unabhängigkeit. Zudem hatte sie schon als Kind eine große Sehnsucht nach Italien entwickelt. Im katholischen Süden, so hoffte sie nicht zu Unrecht, wäre nicht nur das meteorologische, sondern auch das geistige Klima milder als in ihrer streng protestantischen Heimat. »Vermutlich hatte sie sich von Anfang an eher von der katholischen Welt als vom katholischen Glauben angezogen gefühlt«, meint Verena von der Heyden-Rynsch in einem biografischen Essay über die »rätselhafte Monarchin«.

In den Verhandlungen mit dem schwedischen Reichsrat über die Modalitäten ihres Thronverzichts verschwieg sie diesen Teil ihres Plans wohlweislich. Als Königin war sie schließlich nicht nur das Oberhaupt der schwedisch-lutherischen Kirche, sie war auch die Monarchin eines Landes, in dem die Ausübung der römisch-katholischen Religion verboten war, und Herrscherin über ein Volk, das im Krieg gegen den Katholizismus zehntausende Leben hatte opfern müssen. Als man in Rom über geheime Kanäle von ihrem Vorhaben erfuhr, wurden zwei naturwissenschaftlich gebildete Jesuiten losgeschickt, die als Kaufleute getarnt an Christinas Hof gelangten und mit ihr in langen (selbstverständlich geheimen) Gesprächen die Grundzüge des katholischen Glaubens erörterten. Gleichzeitig wollten sich sowohl Frankreich als auch Spanien Einfluss auf die Königin sichern. An den Höfen von Versailles und Madrid wusste man zu dieser Zeit mehr als in Stockholm.

Zum Bankett mit dem Papst | Auch nach ihrer Abdankung betrachtete sich Christina als Königliche Hoheit. Äußeres Zeichen dafür war unter anderem ihr kostspieliger Hofstaat. Hier tafelt sie 1668 mit Papst Clemens IX.

Als Grund, sich außerdem der schwedischen Krone zu entledigen, nannte sie ihr Geschlecht. »Es ist fast unmöglich für eine Frau, den Pflichten dieses Amtes würdig zu genügen«, sollte sie in ihren Memoiren schreiben. »Die Unwissenheit der Frauen, ihre seelische, geistige und körperliche Schwäche taugt nicht für den Fürstenberuf.« Gleichwohl würde sie sich in späteren Jahren mehrmals darum bemühen, ihr Haupt wieder zu krönen. So versuchte sie etwa mit Hilfe der Franzosen, Königin von Neapel zu werden, oder mit Unterstützung Karl Gustavs zu jener Polens.

Eine Hoheit ohne Land

Nach jahrelangen Verhandlungen mit dem schwedischen Reichsrat verzichtete Christina schließlich 1654 auf Thron und Krone, blieb aber absolute Königin ihres Hofstaats und – das war ihr besonders wichtig gewesen – wurde nicht die Untertanin eines anderen Monarchen. Nach wie vor war sie von ihrer angeborenen Hoheit überzeugt, sah sich als Souveränin, den mächtigen Königen von Spanien oder Frankreich so ebenbürtig wie dem Kaiser in Wien.

Unmittelbar nach ihrer Abdankung verließ sie erstmals ihre Heimat und reiste über Hamburg und Antwerpen nach Brüssel, wo sie am Weihnachtsabend 1654 vorerst heimlich zum Katholizismus übertrat. Im folgenden Jahr ließ sie sich in Innsbruck ein zweites Mal – diesmal öffentlich – katholisch taufen und zog danach in einem Triumphzug in Rom ein. Für den Papst und die katholische Kirche war die Konvertierung der Tochter Gustav Adolfs schließlich ein propagandistischer Erfolg sondergleichen. Für ihre schwedischen Verwandten und ihre früheren Untertanen ein Schock.

Den Rest ihres Lebens verbrachte sie größtenteils in Rom: Hier lebte sie mit ihrem Hofstaat, gab Anlass zum Gerede und verschwendete Geld, das sie eigentlich nicht hatte. Am 19. April 1689 starb Christina von Schweden 62-jährig in der Ewigen Stadt und wurde mit großem Prunk im Petersdom bestattet. Noch im Jahr 1965, als am Rande von Baumaßnahmen ihr Sarkophag geöffnet wurde, untersuchten schwedische Wissenschaftler ihr Skelett auf Anomalien. Sie stellten einwandfrei fest: Die Königin war eine Frau.

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