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News: Die rauhe Wirklichkeit des Klebens

Warum klebt der Tesafilm, warum bleibt der Kaugummi unter dem Straßenbahnsitz jahrzehntelang dort haften? Die bisherigen wissenschaftlichen Erklärungen dieser wichtigen Fragen ließen noch manches offen. Doch jetzt gibt es eine zufriedenstellendere Erklärung, warum manches klebriger ist als anderes. Schuld ist nicht der zähe Kleister selbst, sondern die Luft darin.
Die wichtigste Größe in der Theorie des Klebens ist die Grenzflächenenergie. Auf Moleküle an der Oberfläche eines Körpers wirkt eine Kraft, die auf die Teilchen im Inneren des Körpers nicht wirkt. Berührt die Oberfläche des Körpers nun aber etwas festeres als bloße Luft, wird die Kraft auf die Oberflächenmoleküle schwächer, und das System geht in einen bevorzugten Zustand mit niedrigerer Gesamtenergie über. Die logische Schlußfolgerung: Alle uns umgebenden Gegenstände und auch wir selbst müßten begierig sein aneinanderzukleben.

Was es uns erspart, in einer solchen klebrigen Welt zu leben, ist die Tatsache, daß Oberflächen rauh sind. Selbst blankpolierte Glasscheiben haben mikroskopische Erhebungen und Vertiefungen. Zwei feste Dinge kommen sich deshalb einfach nicht nahe genug, um einen nennenswerten Energiegewinn aus ihrer Berührung zu ziehen. Wirklichen Kontakt haben sie stets nur mit einem winzigen Bruchteil ihrer Gesamtfläche. Schon ein kleines bißchen Schwerkraft reicht aus, und sie fallen wieder auseinander.

Ein Klebstoff muß deshalb eine zähe Masse oder ein gelöster Stoff sein, der diese Erhebungen und Vertiefungen ausgleichen kann und so der Oberfläche den angestrebten Energiegewinn verschafft. Die Qualität eines Klebers sollte man also, ordentliches Ausfüllen der Poren vorausgesetzt, relativ einfach aus dem Gewinn an Grenzflächenenergie ermitteln können. Nun gibt es aber Substanzen, die zum Teil zehntausendmal klebriger sind als es diese einfachen Überlegungen voraussagen.

Neue Berechnungen von Cyprien Gay und Ludwik Leibler von Centre National de la Recherche Scientifique und Elf Atochem in Levallois-Perret in Frankreich berücksichtigen Phänomene, die in diesem einfachen Modell nicht vorkommen und gelangen so zu erstaunlichen Übereinstimmungen von Klebetheorie und klebriger Praxis (Physical Review Letters, 1. Februar 1999).

Da die Oberflächen des zu klebenden Körpers und des Klebstoffes ursprünglich rauh sind – die des Klebstoffes sogar noch mehr, wie man beim Betrachten von Heftpflaster oder Klebeband selbst mit bloßem Auge sehen kann – werden beim Aneinanderdrücken Luftblasen eingeschlossen. Versucht man, die Verbindung nun wieder zu trennen, tritt ein Effekt wie bei Saugnäpfen ein. Die Luftblasen werden gestreckt, ihr Volumen vergrößert sich, und in ihnen entsteht ein Unterdruck. Darüber hinaus bilden sich durch die Ausdehung Verbindungen zwischen den Blasen und viele kleinere Hohlräume beginnen sich zu großen zu vereinigen. Irgendwann einmal ist in diesem Prozeß die Kante des festen Körpers erreicht, Luft dringt in das gesamte Netz von Blasen ein. Man hört ein typisches Geräusch, und die Verbindung ist gelöst.

Bei ihrem Modell berücksichtigten Gay und Leibler nicht nur das Vakuum in den sich dehnenden Blasen, sondern auch die Brüche, die durch das weiche Material laufen und die energetischen Phänomen bei der Vereinigung der kleinen Bläschen zu größeren. Damit konnten sie eine "Haftenergie" berechnen, die gut mit den Meßergebnissen bei typischen Klebstoffen übereinstimmt. So haftet wieder eine Theorie ein bißchen enger mit der Praxis zusammen.

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