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News: Die richtigen Schwingungen für mehr Fingerspitzengefühl

Chemie ist nicht nur, wenn es knallt und stinkt, sondern vor allem sind es Prozesse, die unheimlich schnell ablaufen. So ein Farbumschlag mag sich langsam ausbreiten im Reagenzglas, auf der molekularen Ebene geht die Reaktion blitzschnell vonstatten, wenn die Partner mit der richtigen Energie und im geeigneten Winkel aufeinander treffen. Selbst relativ einfache Vorgänge lassen sich daher nur mit gewaltigem experimentellen Aufwand verfolgen. Die Spaltung oder Bildung von Wasser ist der erste wirklich gut untersuchte Vorgang, für den nun sowohl empirische Daten als auch eine gute Simulation vorliegen. Beide Arbeiten deuten an, dass es vor allem auf die Schwingungen einer einzelnen Bindung ankommt.
Die klassischen chemischen Reaktionsgleichungen sehen so einfach aus:
OH + D2 -> HOD + D     (I)
H + D2O -> D + HOD     (II)
Will man allerdings genau wissen, was bei diesen Prozessen passiert, dann wird es kompliziert – richtig kompliziert. Der Blick in Lehrbücher hilft meist nicht weiter. Dort beschreiben Diagramme den Weg der Ausgangsstoffe über einen energetisch ungünstigen Zwischenzustand zu den stabilen Produkten. Als Antrieb dient zugeführte Wärme.

Nun wissen Chemiker aber schon seit langem, dass manche Abläufe mit ein bisschen zusätzlicher Schwingungsenergie viel leichter in Gang zu bringen sind als durch Erhitzen. In einigen Fällen lässt sich dabei sogar steuern, in welche von mehreren möglichen Richtungen die Reaktion verläuft. Und gerade das erscheint Wissenschaftlern und Ingenieuren natürlich verlockend, zumal Wasserstoff als Energieträger anscheinend eine vielversprechende Zukunft vor sich hat.

Gleich zwei voneinander unabhängige Arbeitsgruppen vermelden in Science vom 3. November 2000 wichtige Details zu den oben angeführten Reaktionen mit schwerem Wasser. Michael Collins von der Australian National University und Doghui Zhang von der National University of Singapore haben den beschwerlichen Weg über die Theorie gewählt. So ein Molekül ist nun mal kein starres Gebilde, sondern ein höchst dynamisches System, das um mehrere Achsen rotiert, sich verbiegt und entlang seiner Bindungen schwingt. Sollen zwei Teilchen miteinander reagieren, müssen sie sich nicht nur nahe genug kommen – wie es die Lehrbücher zeigen –, auch alle anderen Parameter müssen zueinander passen. Für den Austausch eines Deuteriumatoms durch ein Wasserstoffradikal (oben Reaktion II) sowie einige andere Prozesse berechneten die beiden Forscher 1000 Molekülgeometrien. Mehrere Monate waren ihre Computer damit beschäftigt, dann erstellten Collins und Zhang eine genaue multidimensionale Karte der potenziellen Energie – sozusagen die ernstzunehmende Variante des Lehrbuchdiagramms. Sie enthält alle sechs internen Freiheitsgrade der Reaktionen und macht Voraussagen für deren Verläufe.

Die hohe Qualität der Simulation wird eindrucksvoll durch die experimentellen Daten bestätigt, die Floyd Davis und seine Mitarbeiter von der Cornell University gewonnen haben. In ihrem aufwendigen Versuch kreuzten sie je einen Molekülstrahl mit Deuterium (D2) und mit Hydroxylradikalen (OH) (oben Reaktion I). Vier Laserstrahlen registrierten die Zustände der Ausgangsmoleküle und der Endprodukte. Das Ergebnis hätte vor einem Jahr für noch größere Aufregung in der physikalischen Chemie gesorgt. Bis vor kurzem nahmen Wissenschaftler nämlich an, die Energie im HOD-Molekül würde sich statistisch verteilt in allen Schwingungmoden niederschlagen, erklärt Davis. Doch sein Team fand heraus, dass sie bevorzugt in die Streckung der O-D-Bindung fließt, nicht in eine Verformung des ganzen Moleküls. Erst in diesem Jahr hatte eine neue theoretische Arbeit das Gleiche vorhergesagt. Und auch Collins und Zhang hatten auf Grund ihrer Simulation diese Verteilung der Energie erwartet.

Die untersuchten Reaktionen sind natürlich keine typischen Vorgänge aus dem täglichen Leben. Sie dienen den Wissenschaftlern vor allem als einfache Modelle, an denen sich grundlegende Prinzipien erkennen und studieren lassen. Doch gerade wenn es um Wasserstoff geht, lesen Vertreter der angewandten Forschung aufmerksam mit. Denn als ein möglicher Energieträger der Zukunft wird dieses Element eifrig in jeder Hinsicht getestet. Und selbst Grundlagenforscher Davis gibt zu: "Natürlich ist es letztendlich unser Ziel, effizientere Wege zu entwickeln, um eine Form von Energie in eine andere zu überführen..."

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