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News: Die Science-Top-Ten des Jahres 1999

Jahr für Jahr kürt die Science-Redaktion besonders herausragende Forschungsergebnisse des vergangenen Jahres. Unangefochten auf Nummer eins als 'Durchbruch des Jahres' liegt 1999 die Forschung an Stammzellen. Mehr als ein Dutzend wichtige Veröffentlichungen sind in diesem Jahr dazu erschienen. Die bemerkenswerten Eigenschaften der Zellen, sich im unausgereiften Zustand vermehren zu können und zu spezialisierten Geweben auszureifen, haben Hoffnungen auf neue medizinische Anwendungen geweckt. Und einige Ergebnisse führten dazu, daß Wissenschaftler ihre Vorstellungen vom Zellwachstum noch einmal gründlich überdenken mußten.
Eigentlich begann der Siegeszug der Stammzellenforschung schon Ende 1998. Damals sorgte die Nachricht für Furore, daß es zwei Arbeitsgruppen gelungen war, embryonale und fötale menschliche Stammzellen in Kultur zu halten. Diese Zellen sind in der Lage, zu jedem beliebigen Zelltyp im Körper auszureifen.

Eine überraschende Entdeckung schon kurz darauf brachte die bisherigen Vorstellungen über Zellwachstum und Differenzierung ins Wanken. Im Januar 1999 nämlich berichteten italienische und amerikanische Forscher, daß sich auch Stammzellen ausgewachsener Tiere noch teilen und "umprogrammieren" können. Bisher hielt man das nur bei embryonalen Stammzellen für möglich. Die Forscher hatten Stammzellen aus dem Gehirn von ausgewachsenen Mäusen erfolgreich in den Blutkreislauf und das Knochenmark verpflanzt, wo sie zu ausgereiften Blutzellen wurden. Auch andere Wissenschaftler meldeten erfolgreiche "Umsiedlungsversuche", bei denen Signale aus der unmittelbaren Umgebung der Zellen ihre bisherige Geschichte praktisch auslöschten. Nun untersuchen Forscher in aller Welt, ob die Stammzellen Erwachsener dieselben Erwartungen erfüllen können wie embryonale.

Mit den neuen Erkenntnissen wurden Stammzellen auch zu begehrten Forschungsobjekten in klinischen Versuchen, in denen sie sich in einigen Fällen auch bewährten. So konnten gesunde Knochenmarkzellen – die Zellen, aus denen sich Knochen bildet – bei drei an Osteogenesis imperfecta erkrankten Kindern die Knochen verstärken und Brüche verhindern. Auch für Patienten mit Duchenne-Muskeldystrophie gibt es neue Hoffnung: Eine Forschergruppe induzierte bei genetisch veränderten Mäusen erfolgreich die Bildung des Proteins Dystrophin, das den Betroffenen fehlt. Und im Dezember berichteten amerikanische Forscher, daß sie mit embryonalen Stammzellen von Mäusen bei teilweise gelähmten Ratten sogar die Bewegungsfähigkeit wieder verbessern konnten.

Doch diese Ergebnisse stießen nicht immer auf einhellige Zustimmung. Zahlreiche Menschen – Wissenschaftler wie Laien – äußerten sich zunehmend besorgt über die Forschung an menschlichen Embryonen und die Gefahr des Mißbrauchs der neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse. Nicht zum ersten Male tauchten Fragen auf wie: Läßt sich die Forschung an menschlichen Embryonen ethisch und moralisch rechtfertigen? Heiligt der Zweck – Fortschritt in der Medizin – jedes Mittel?

Auf der anderen Seite beklagen sich einige Wissenschaftler über zu restriktive Gesetze. In manchen Ländern wie zum Beispiel Frankreich wird eine Lockerung der Bestimmungen gefordert. In den USA dagegen dürfen für die Forschung an Embryonen keine staatlichen Mittel verwendet werden. In Deutschland fällt die Forschung und Verwendung von embryonalen Stammzellen unter das Embryonen-Schutzgesetz, welches besagt, daß eine Eizelle allein zu dem Zweck befruchtet werden darf, den Kinderwunsch eines Paares durch Herbeiführen einer Schwangerschaft zu erfüllen. Die Diskussion um ethische Fragen, gesetzliche Bestimmungen und medizinischen Fortschritt wird uns sicher noch weit über das Jahr 1999 hinaus begleiten.

Auf dem zweiten Platz landet nach Ansicht der Science-Redaktion die Genomforschung:

Als im Dezember 1998 das erste vollständige Genom eines vielzelligen Organismus, des Nematoden Caenorhabditis elegans, veröffentlicht wurde, begann eine neue Ära im Vergleich komplexer Genome. 1999 durchdrang die Genomik alle biologischen Teildisziplinen, als Forscher die Sequenzen wie die Expressionsmuster tausender Gene auf einmal verglichen. Das Humangenomprojekt verspricht für März 2000 eine erste Rohfassung von mindestens 90 Prozent des drei Milliarden Basenpaare umfassenden menschlichen Genoms. Anfang Dezember 1999 veröffentlichten Wissenschaftler die Sequenz des Chromosoms 22, des ersten fast vollständig entschlüsselten menschlichen Chromosoms. Auch die Genome einer ganzen Reihe mikrobieller Pathogene konnten 1999 sequenziert werden.

Die weiteren von Science plazierten wissenschaftlichen Entdeckungen (ohne besondere Reihenfolge):

  • Wie die andere Hälfte abkühlt
  • Vor vier Jahren kühlten Wissenschaftler Rubidium-Atome so ab, daß sie sich zu einem quantenmechanischen Superteilchen namens Bose-Einstein-Kondensat zusammenlagerten. 1999 erreichten die Physiker des selben Labors einen weiteren Meilenstein, als sie Fermionen-Dampf abkühlten. Damit sind sie einem weiteren, noch merkwürdigerem makroskopischen Quantenzustand einen Schritt näher gerückt.

  • Ribosomen unter der Lupe
  • Dieses Jahr lüftete sich der Schleier über den Proteinfabriken der Zellen, den Ribosomen. Drei Arbeitsgruppen konnten mit Hilfe der Röntgenkristallographie teilweise die Struktur der beiden Unterheiten aufklären. Eine vierte Gruppe beschrieb etwas weniger detailliert die Struktur des gesamten Ribosoms und wie die beiden Untereinheiten miteinander wechselwirken.

  • Haufenweise neue Planeten
  • Das ganze Jahr über flatterten Meldungen über neu entdeckte extrasolare Planeten herein, deren Zahl sich nun auf nahezu 30 erhöhte. Einen davon überraschten die Astronomen dabei, wie er vor seinem Stern vorüberzog. So konnten sie einen direkteren Blick erhaschen als sonst bei den indirekten Beobachtungen extrasolarer Planeten.

  • Bleibende Erinnerungen
  • Mit neuen Methoden filmten Forscher, wie Moleküle in die Zwischenräume zwischen Nervenzellen, die sogenannten Synapsen, hinein- und wieder herausströmen. Diese Bewegungen können die Bindung zwischen zwei Nervenzellen verstärken und sind die molekulare Grundlage für das Lernen. 1999 konnten Wissenschaftler auch die Wichtigkeit dieser Molekülbewegungen nachweisen: Genetisch veränderte Mäuse, die ein bestimmtes Rezeptormolekül in größeren Mengen besaßen, zeigten deutlich bessere Gedächtnisleistungen.

  • Das Universum ist flach
  • Messungen einer der grundlegenden Größen des Kosmos bestätigen eines der elegantesten Modelle zur Entstehung des Weltalls, die Inflations-Theorie. Ihr zufolge hat eine unheimlich schnelle Expansion in den ersten Momenten des Universums den Raum nahezu perfekt flach ausgedehnt.

  • Photonen im Rampenlicht
  • 1999 gelangen Wissenschaftlern eine ganze Reihe Fortschritte in der Herstellung photonischer Kristalle. Diese Strukturen können Photonen ähnlich beeinflussen wie Halbleiter Elektronen und könnten die Kommunikations- und Computerindustrie revolutionieren.

  • Spuren der Vergangenheit
  • Die Geschichte komplexer Zellen ist eine Milliarde Jahre älter als bisher gedacht, wie Geochemiker 1999 nachweisen konnten. Sie entdeckten in 2,7 Milliarde Jahren alten Gesteinen Spuren eukaryotischer Zellen – aus denen Pflanzen, Pilze und Tiere einschließlich des Menschen bestehen.

    • Spektrum Ticker vom 13.8.1999
      "Uralte Einzeller"
      (nur für Ticker-Abonnenten zugänglich)

  • Geheimnisvolle Gammastrahlen
  • Mit einer ganzen Armee von Teleskopen sind Astronomen der wahren Natur von Gammastrahlenausbrüchen näher gekommen. Diese kosmischen Explosionen setzen in wenigen Sekunden mehr Energie frei als die Sonne in zehn Milliarden Jahren. Einige zumindest stammen offensichtlich von der Entstehung schwarzer Löcher, die sich beim Zusammenbruch schnell rotierender, sehr massereicher Sterne bilden.

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