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Paläolinguistik: Neandertaler haben Sprache wahrscheinlich gut hören können

Konnten Neandertaler sprechen - und wenn ja, wie hat sich das angehört? Man könnte es vielleicht am Innenohr der alten Menschen ablesen, spekulieren Forscher.
Neandertaler

Ob Neandertaler sprechen konnten oder nicht, wird seit mehr als fünf Jahrzehnten untersucht – und immer noch weiter erforscht, weil offenbar niemand eine endgültige Antwort auf die Frage geben konnte. Klar ist, dass unser menschlicher Verwandter zu enorm komplexen kulturellen Leistungen in der Lage war, von denen man sich kaum vorstellen kann, wie sie ohne eine sehr leistungsfähige Kommunikation untereinander möglich gewesen sein sollen. Auch genetisch war der Neandertaler gegenüber dem modernen Menschen nicht benachteiligt, wenn es um bekannte Voraussetzungen der Sprechfähigkeit im Erbgut geht. Einige ältere Studien hatten dagegen in Zweifel gezogen, ob die Anatomie des Neandertalers überhaupt geeignet war, Sprachlaute zu produzieren – etwa weil der Kehlkopf höher lag als beim modernen Menschen. Als wahrscheinlich galt zumindest, dass die ältere Menschenart recht vielfältige Laute produzieren konnte – ob die als leistungsfähige Sprache durchgehen können, blieb aber umstritten.

Ein Team um Mercedes Conde-Valverde von der Universidad de Alcalá in Madrid hat sich dem Problem nun von einer anderen Seite genähert: Die Forscher haben versucht herauszufinden, ob der Neandertaler komplexe Sprachinhalte besonders gut hören konnte – wenn ja, dann liegt nahe, dass er diese Eigenschaft auch gebraucht und eingesetzt hat. Die Gruppe um Conde-Valverde hat sich daher angesehen, wie es um die Akustik im Inneren eines typischen Neandertaler-Innenohrs bestellt war. Die Ergebnisse und Schlussfolgerungen präsentiert sie im Fachblatt »Nature Ecology and Evolution«.

Eine exakte 3-D-Analyse des Innenohrs erlaubt abzuleiten, wie die Übertragung der Schallleistung in diesem Ohr funktioniert. Die Übertragungsleistung (sound power transmission, SPT) hängt deutlich von den Dimensionen der einzelnen Schallräume im Ohr ab, die den Schall brechen, dämpfen und filtern – und sie gibt Auskunft darüber, wie gut einzelne Tonfrequenzen beim Vordringen des Schalls von außen über das Mittelohr vorankommen und sich überlagern, bis sie am Eingang der Hörschnecke ankommen. Man kann daraus nun auch ableiten, auf welche Frequenzbandbreite ein Ohr ausgerichtet ist, also bei welchen Tonhöhen es besonders gut funktionierte. Anzunehmen ist, dass sich in ebendiesem Frequenzband wichtige Dinge für das Lebewesen tun: Der anatomisch moderne Homo sapiens etwa hört in jenen Frequenzen am genauesten, auf die das Ohr anatomisch getunt ist und in denen die menschliche Sprache ihre Informationen codiert. Je breiter das optimierte Frequenzband, desto mehr hörbare Unterschiede lassen sich darin übrigens verstecken – und desto mehr Bedeutungsinhalte sind dann auch in einem akustischen Code erlaubt.

Beim Schimpansen, aber auch bei verschiedenen sehr alten Menschenverwandten wie dem Australopithecus africanus und dem Paranthropus robustus sind die Innenohren nicht gestaltet, um das Frequenzband der Sprache besonders gut auflösen zu können. Tatsächlich sind auch die Ohren des Homo heidelbergensis aus der mittleren Altsteinzeit noch ähnlich unbegabt zum Sprachenhören. Und die Neandertalerohren?

Mercedes Conde-Valverde und ihr Team haben nun neue 3-D-Scans des Innenohrs von fünf Neandertalern angefertigt und die Schallübertragung in diesen Ohren mit der im Ohr des modernen Menschen und von älteren Hominiden und Schimpansen verglichen. Das Ergebnis war eindeutig: Die Frequenzbandbreite von Menschen und Neandertalern unterscheidet sich nicht wesentlich, die der anderen Arten erkennbar.

Neandertaler konnten demnach Sprache genauso gut hören wie wir Menschen – mit einem akustischen Sensorium, das auf die dabei besonders relevanten Frequenzen optimal abgestimmt ist. Anders als etwa die zum Vergleich analysierten Ohren von Homo heidelbergensis aus der Höhle Sima de los Huesos liegen bei Neandertalern auch noch Frequenzen von vier bis fünf Kilohertz im optimierten Frequenzband des Innenohrs. Das Frequenzband der Neandertaler ist zudem ähnlich breit wie das des Menschen.

Die Ergebnisse sind weiter nur Indizien für eine Sprachfähigkeit unserer älteren Verwandten, aber: Wenn Neandertaler sprechen konnten, dann konnten sie auch eine ähnlich große Bandbreite von Lauten hören und auseinanderhalten. Neandertaler verfügten über »ein ebenso komplexes und effizientes Kommunikationssystem wie die Sprache des modernen Menschen«, sagt Conde-Valverde in einer Pressemeldung.

Unsicher bleiben Spekulationen darüber, wie eine Neandertaler-Sprache sich wohl angehört hat. Eine Idee dazu haben die Forscher aus Spanien aber nach ihren Analysen: Es sei gut vorstellbar, dass sie Wörter mit mehr Konsonanten und deutlich weniger Vokalen benutzt haben als wir heutzutage. Die Analysen der Schallübertragung legen nahe, dass unsere älteren Verwandten auch in den Bereichen zwischen drei und fünf Kilohertz subtile Unterschiede hören konnten. Hier hören wir typische Sprachlaute von so genannten hochfrequenten Konsonanten, darunter stimmlose Verschlusslaute (»Plosive«) wie bei den englisch ausgesprochenen t und k sowie stimmlose Reibelaute (»Frikative«) wie beim englischen f, s und th.

Solche stimmlosen Konsonanten-Laute sind übrigens in den meisten menschlichen Sprachen sehr verbreitet. Wie Fachleute vermuten, könnten sie zu den ältesten Phonemen menschlicher Sprache gehören. Moderne Sprachen transportieren akustische Information auch stark in Frequenzbereichen, in denen die Formanten zu hören sind, an denen sich einzelne Vokale unterscheiden lassen: bei etwa 2,5 Kilohertz. Wenn Neandertaler in diesem Frequenzbereich weniger gut und Konsonanten besser hören konnten, dann wäre dies ziemlich außergewöhnlich: Denn zum Beispiel Schimpansen und überhaupt viele Säugetiere produzieren eher Vokale, um sich zu verständigen.

Immerhin würde eine konsonantenzentrierte Kommunikation erklären, warum viele Untersuchungen früher zu dem Schluss gekommen sind, der Neandertaler sei sprachlich unbegabt gewesen: Hier hatten Wissenschaftler oft nach anatomischen Merkmalen gesucht, die zur Produktion von Vokalen gut taugen.

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