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News: Die Summe macht's

Seit über 100 Jahren versuchen Biologen die Beziehung zwischen Stoffwechsel und Körpergröße mathematisch zu erfassen - mit mehr oder weniger großem Erfolg. Denn die Messdaten wollen partout nicht in das theoretische Modell passen. Jetzt schlagen Wissenschaftler eine verblüffend einfache Erklärung für diesen Fehlschlag vor: Die gemessenen Umsatzraten setzen sich aus verschiedenen Stoffwechselaktivitäten zusammen, für die jeweils unterschiedliche Parameter gelten.
Im Jahr 1883 untersuchte der deutsche Physiologe Max Rubner die Stoffwechselintensität verschieden großer Hunde. Wie erwartet, zeigten große Hunde einen höheren Umsatz als ihre kleineren Artgenossen. Als Rubner jedoch die spezifische Stoffwechselintensität berechnete – also den Umsatz bezogen auf die Körpermasse –, drehte sich das Bild um: Kleinere Hunde zeigten eine höhere spezifische Stoffwechselrate als größere Tiere.

Rubner erklärte diese Beziehung mit der im Verhältnis zur Körpermasse größeren Oberfläche der kleinen Tiere. Da Groß und Klein als gleichwarme Tiere die gleiche Körpertemperatur aufrecht erhalten, müssen die Kleinen, um den Verlust aufgrund ihrer größeren relativen Oberfläche auszugleichen, mehr Wärme produzieren und damit einen höheren Stoffwechsel aufweisen als die großen. Die Hypothese ging als Rubner'sche Oberflächenregel in die Geschichte der Biologie ein.

Leider ist sie falsch – oder zumindest nicht ganz richtig. Mathematisch formuliert, ergibt die Rubner'sche Oberflächenregel ein Potenzgesetz, nach dem der Stoffwechselumsatz proportional zur 2/3-Potenz der Körpermasse sein müsste. Trägt man den Logarithmus der Stoffwechselintensität gegen den Logarithmus der Körpermasse auf, dann sollten sich daher die Messwerte der unterschiedlich großen Organismen um eine Gerade mit der Steigung 0,67 scharen. Tun sie aber nicht, wie schon Max Kleiber 1932 feststellte: Die resultierende Gerade hat vielmehr eine Steigung von 0,75; der Exponent liegt demnach bei 3/4 und nicht, wie von Rubner postuliert, bei 2/3.

Warum sich Praxis und Theorie hier nicht vertragen, blieb Generationen von Physiologen ein Rätsel. Jetzt versucht Charles Darveau aus der Arbeitsgruppe von Peter Hochachka von der University of British Columbia zusammen mit anderen Forschern einen neuen Ansatz, die Nuss zu knacken. Nach Ansicht der Wissenschaftler liegt der Schlüssel in der Unterscheidung zwischen Grundumsatz und maximaler Stoffwechselrate.

Gemessen wird die Stoffwechselintensität meist über den Sauerstoffverbrauch der Tiere, und dieser hängt stark von deren Aktivitäten ab: Um sein Überleben aufrecht zu erhalten, verbraucht der Körper Energie für grundlegende Prozesse, wie die Proteinbiosynthese oder die Ionenpumpen der Zellmembranen. Sobald der Körper sich bewegt, verschiebt sich sein Energiebedarf. Jetzt verlangen vor allem die Muskeln Nachschub in Form von ATP – mit der Folge, dass sie stärker durchblutet werden. Da die anderen Organe jedoch weiterhin nach Sauerstoff dürsten, steigt der Sauerstoffverbrauch des Tieres entsprechend an.

Und in dieser Verschiebung sieht Darveau die Erklärung für den rätselhaften Exponenten 3/4. Nur der Grundumsatz folgt der Rubner'schen Oberflächenregel mit seinem Exponenten 2/3; die maximale Stoffwechselrate ist dagegen weniger von der Oberfläche abhängig und steigt mit der Körpermasse stärker an. Ihr Exponent nähert sich dem Wert von 0,86. Die gemessene Stoffwechselrate setzt sich demnach als eine Summe verschiedener Raten mit jeweils verschiedenen Exponenten zusammen.

"Ob Darveaus Modell wirklich der Weisheit letzter Schluss ist, bleibt abzuwarten", meint Ewald Weibel von der Universität Bern. "Aber es räumt – vielleicht bedauerlicherweise – mit dem Mythos auf, in der vergleichenden Biologie könnte eine einzige magische Zahl der Schlüssel für alle Geheimnisse der Natur sein."

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