Teilchenphysik: Die Supersymmetrie ist am Ende

Seit etwa 50 Jahren ist die Supersymmetrie der Superstar der theoretischen Physik. Sie könnte einige der hartnäckigsten physikalischen Rätsel lösen, wie das der Dunklen Materie. Entsprechend hoch waren die Erwartungen, als der größte und leistungsfähigste Teilchenbeschleuniger der Welt, der Large Hadron Collider LHC des europäischen Kernforschungszentrum CERN, in Betrieb genommen wurde. Nach dem Nachweis des Higgs-Bosons im Jahr 2012 erwarteten einige Fachleute, dass nun auch die Dutzenden an neuen Teilchen gefunden werden, welche die Supersymmetrie vorhersagt. Doch nach nun mehr als zehn Jahren akribischer Suche fehlt immer noch jede Spur dieser hypothetischen Teilchen.
Es ist stets schwierig, das konkrete Ende einer Theorie auszumachen - vor allem, wenn sie so beliebt ist wie die Supersymmetrie. Aber allmählich könnte dieser Moment gekommen sein. Die Teams der ATLAS- und CMS-Experimente am CERN haben inzwischen ihre Forschungsgruppen aufgelöst, die sich alleine mit der Suche nach der Supersymmetrie beschäftigten.
In den frühen 2010er Jahren, als der LHC gerade in Betrieb genommen wurde, waren die Supersymmetrie-Fachgruppen ein spannender Ort für Forschende, die nach neuer Physik suchten. Der Bereich erhielt viele Ressourcen und genoss große Aufmerksamkeit. »Die Forschung an der Supersymmetrie war von den 1990er Jahren bis etwa 2015 eine riesige Industrie. Aber das Ausbleiben der vorhergesagten Entdeckungen war ein Wendepunkt für den Großteil der Community«, resümiert der theoretische Physiker Adam Falkowski vom Laboratoire de Physique des 2 Infinite Irène Joliot-Curie in Orsay.
Etliche neue Teilchen
Um die Faszination der Supersymmetrie zu verstehen, muss man in die frühen 1970er Jahre zurückblicken. Damals hatten Fachleute gerade das Standardmodell entwickelt, eine Theorie, die alle bekannten Elementarteilchen und ihre Beziehungen zueinander beschreibt. Und schon damals war bekannt, dass das Standardmodell nicht ausreicht, um alle physikalischen Phänomene zu erklären. Deswegen schlugen Physikerinnen und Physiker die Supersymmetrie, kurz SUSY, als Möglichkeit vor, die gängigen Theorien zu erweitern.
Schnell erkannte die Fachwelt, dass die mathematischen Werkzeuge der SUSY viele Probleme beseitigen könnten. So folgt aus der Symmetrie, dass jedes Elementarteilchen ein zusätzliches »Partnerteilchen« besitzt - und diese könnten Kandidaten für Dunkle Materie sein. Zudem ist die Supersymmetrie ein wichtiger Bestandteil der Stringtheorie, eines Anwärters für eine Weltformel, und war eines der Hauptargumente für den Bau des LHC. Als die Zahl der Veröffentlichungen zu dem Thema in die Höhe schoss, wurde die Theorie geradezu zu einem kulturellen Phänomen: Es erschienen Bücher, Artikel und Interviews, in denen die Bestätigung von SUSY als ausgemachte Sache dargestellt wurde. »Als ich noch studierte«, erinnert sich Falkowski, »war die Existenz von SUSY für einen Großteil derjenigen, die sich mit dem Thema beschäftigten, fast eine Tatsache.«
»Zeitweise schien der Glaube an die Supersymmetrie geradezu biblisch«Sheldon Glashow, Nobelpreisträger
Doch die angepriesenen experimentellen Entdeckungen blieben aus. Zudem schien es quasi unmöglich, die supersymmetrischen Modelle zu widerlegen oder zu bestätigen, weil sie viele frei wählbare Parameter enthalten. Immer wieder passten Fachleute diese an, um das Ausbleiben der Partnerteilchen zu erklären. »Physiker neigen dazu, Trends zu folgen«, sagt der Nobelpreisträger Sheldon Glashow, der an der Boston University arbeitet und einer der Begründer des Standardmodells ist. »Zeitweise schien der Glaube an die Supersymmetrie geradezu biblisch.«
Verzweifelt auf der Suche nach SUSY
Eigentlich sollten die leichtesten Partnerteilchen in den einfachsten SUSY-Modellen in Reichweite des LHC liegen - andernfalls könnten die Modelle nicht die Probleme lösen, für die sie überhaupt entwickelt wurden. Im Jahr 2015 wurde die Kollisionsenergie des LHC auf 13 Teraelektronenvolt erhöht. Aber auch die Analysen dieser Daten blieben erfolglos. Die einst starke Begeisterung für SUSY begann zu schwinden.
Fast zehn Jahre später, im Jahr 2024, wurde das ATLAS-Team umstrukturiert. Die Untersuchungen zur Supersymmetrie teilen sich seither drei Forschungsgruppen, die sich zudem mit anderen Themen beschäftigen. In ähnlicher Weise hat auch die SUSY-Gruppe beim CMS-Experiment im Jahr 2023 begonnen, Analysen außerhalb der Suche nach SUSY durchzuführen.
»Die Umstrukturierung hatte zwei Hauptgründe: Erstens sollten die Gruppen etwa gleich groß sein, und zweitens sollten sie ihre Ideen über Analysen zu unterschiedlichen Themen mit ähnlichen Methoden austauschen«, sagt die Forscherin Cécile Caillol, die eine der neuen Gruppen am CMS leitet. Die Physikerin Sara Alderweireldt, die am ATLAS-Experiment arbeitet, nennt ähnliche Gründe für die dortige Umstrukturierung.
Falkowski vermutet hinter den Entscheidungen noch etwas anderes: »Es gibt einfach nicht genug motivierte Leute, welche die SUSY-Forschung am Laufen halten. Außerdem macht es aus praktischer Sicht wenig Sinn, die Suche nach SUSY separat von anderen Suchvorhaben zu halten, da sich die Techniken oft überschneiden. Alles in allem war dies die einzig vernünftige Entscheidung.«
Wie gehen die Wetten aus?
Die Teams am ATLAS- und am CMS-Experiment haben ermittelt, welche Spuren die einfachsten SUSY-Modelle in den Daten vorhersagen - aber nichts davon gefunden. Dennoch zeigen sich einige Fachleute wie der Physiker Howard Baer von der University of Oklahoma weiterhin hoffnungsvoll. Wie Baer erklärt, gebe es plausible, komplexere supersymmetrische Modelle mit subtilen Signaturen, die vielleicht in den kommenden Jahren in neuen LHC-Daten entdeckt werden. »Es ist bedauerlich, dass die Zunahme vereinfachter Modelle zu einer geringeren Kommunikation zwischen Theoretikern und Experimentatoren geführt hat«, sagt er. Das Problem sei, dass »neuartige, aber höchst unplausible Theorien gleichwertig neben Theorien wie SUSY bewertet werden, die grundlegende Schwierigkeiten der Physik lösen könnten.«
Längst haben einige prominente Physiker Wetten auf ganz bestimmte supersymmetrische Entdeckungen - oder deren Ausbleiben - am LHC abgeschlossen. Es gibt jedoch eine größere Wette, die über die Streitigkeiten über einzelne Details hinausgeht und die gesamte Teilchenphysik betrifft: die Wette, dass ein möglicher Erfolg der Supersymmetrie den Weg zu einer neuen Generation von Teilchenbeschleunigern ebnen könnte. Stattdessen erschwert es das Ausbleiben von SUSY-Signaturen, gepaart mit dem Nachweis aller vorhergesagten Elementarteilchen des Standardmodells, die enormen internationalen Investitionen zu rechtfertigen, die für einen leistungsfähigeren Beschleuniger erforderlich sind.
»Für die gesamte Physik jenseits des Standardmodells wird es weniger Interesse geben, weniger Veröffentlichungen, weniger Experimentatoren«Adam Falkowski, Physiker
Und selbst wenn ein solches Projekt zu Stande käme, müssen sich die Fachleute entscheiden: Soll sich der Collider auf höhere Kollisionsenergien konzentrieren, die typischerweise für die Entdeckung neuer Teilchen erforderlich sind, oder auf die präzisere Messung bekannter Teilchen wie dem Higgs, um neue Effekte zu entdecken? In der Regel wird ein einzelner Beschleuniger nicht beiden Aufgaben gerecht.
Falkowski hat eine klare Prognose: »Für die gesamte Physik jenseits des Standardmodells wird es weniger Interesse geben, weniger Veröffentlichungen, weniger Experimentatoren«, so der Forscher. »Die Verschiebung wird in Richtung Präzisionsphysik und damit weg von der Collider-Physik gehen.«
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