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Plankton: Verborgene Wanderungen

Nacht für Nacht steigen Myriaden von Kleinstlebewesen aus den Tiefen des Meeres auf, um dann wieder abzusinken. Diese koordinierten Wanderzüge wirken sich auf die gesamte Biosphäre unseres Planeten aus.
Unzählige Kleinstlebewesen des Zooplanktons schwimmen Nacht für Nacht aus den Tiefen des Meeres an die Oberfläche und dann wieder zurück.
Unzählige Kleinstlebewesen des Zooplanktons schwimmen Nacht für Nacht aus den Tiefen des Meeres an die Oberfläche und dann wieder zurück. Jede Spezies folgt dabei ihrem eigenen Rhythmus, der nach Jahreszeit sowie nach Alter und Geschlecht des einzelnen Tieres variieren kann.

Jeden Abend schweben Billionen kleinster Meerestiere – etliche davon winziger als ein Reiskorn – in hunderten Meter Tiefe und warten auf ihr Signal. Dieses Zooplankton (griechisch: zoon = Tier; plagktós = umherirrend) galt lange als Ansammlung passiver Wesen, die lediglich von den Gezeiten und Strömungen umhergetrieben werden. Doch weit gefehlt: Kurz vor Sonnenuntergang machen sich die Schwärme unbemerkt auf den Weg in Richtung Wasseroberfläche.

Während des Aufstiegs schließen sich mehr und mehr solcher Planktonorganismen wie Ruderfußkrebse, Krill, Salpen oder Fischlarven der Wanderung an. Die Nacht verbringen sie an der Wasseroberfläche, aber wenn morgens das erste Sonnenlicht aufs Meer fällt, sind sie bereits wieder unterwegs in die Tiefe. Während der Sonnenaufgang alle 24 Stunden von Ost nach West gleitet – vom Indischen Ozean über den Atlantik zum Pazifik –, unternehmen die Schwärme nacheinander dieselbe Reise hinab und wieder zurück nach oben.

Die meisten Menschen ahnen nichts vom täglichen Auf und Ab in den Weltmeeren, das als tagesperiodische Vertikalwanderung bezeichnet wird. Dabei handelt es sich um die größte regelmäßige Migration von Lebewesen auf unserem Planeten: Fachleute schätzen die dabei bewegte tierische Biomasse auf etwa eine Milliarde Tonnen. Einige der beteiligten Spezies steigen aus über 1000 Meter Tiefe auf. Eine erstaunliche Leistung – entspräche doch eine vertikale Wegstrecke von 300 Metern, die eine millimetergroße Fischlarve in nur einer Stunde zurücklegt, beim Menschen fast 100 Kilometern. Auf ihrer Pendeltour durchqueren die Tiere Meereszonen mit völlig unterschiedlichen Bedingungen: In einer Tiefe von 300 Metern herrscht ein Wasserdruck von 30 Bar, die Wassertemperatur beträgt etwa 4 Grad Celsius. In den Wellen ganz oben liegt dagegen ein Druck von lediglich einem Bar vor, und das Wasser ist womöglich 15 Grad warm. Warum machen sich so viele winzige Tiere Tag für Tag auf eine solch beschwerliche Reise?

Die kurze Antwort lautet: um zu fressen und um nicht gefressen zu werden. Tagsüber verbirgt sich das Zooplankton in den dunklen Tiefen des Meeres vor Raubtieren wie Kalmaren oder Fischen. Sobald die Nacht anbricht, wandern die kleinen Meerestiere Richtung Wasseroberfläche und vertilgen dort im Schutz der Dunkelheit Phytoplankton – mikroskopisch kleine, teils einzellige Wasserpflanzen, die in den obersten, tagsüber von Licht durchfluteten Schichten leben.

Doch das ist nur der Hauptstrom der Wanderzüge. Daneben gibt es noch zahlreiche Quer- und Kreisbewegungen. Mit Hilfe hochauflösender Sonargeräte, autonomer Unterwasserfahrzeuge und modernster Techniken der DNA-Sequenzierung untersuchen Forscherinnen und Forscher nun, wie diese Abläufe das Nahrungsnetzwerk der Ozeane, den globalen Kohlenstoffhaushalt sowie die gesamte Biosphäre beeinflussen.

Wandernder Meeresboden

Die ersten Beobachtungen der tagesperiodischen Vertikalwanderungen stammen aus dem Zweiten Weltkrieg. Marinesoldaten, die mit Sonargeräten die Ozeane nach feindlichen Unterseebooten absuchten, entdeckten Merkwürdiges: Teile des Meeresbodens schienen in langsamem Rhythmus ihre Tiefe zu verändern. Eine »Streuschicht«, die Sonarsignale reflektierte, bewegte sich täglich um bis zu 1000 Meter auf und ab – ein zunächst unerklärliches Phänomen. Nach Kriegsende begann der Ozeanograf Martin Johnson (1893–1984) von einem Forschungsschiff aus, zu unterschiedlichen Tageszeiten in verschiedenen Meerestiefen Planktonproben zu sammeln. »Aus diesen vorläufigen Beobachtungen geht hervor, dass ein direkter Zusammenhang zwischen den Planktontieren und der Streuschicht besteht«, schrieb er 1948.

Die Idee, die rätselhafte Schicht könne aus Lebewesen bestehen, warf jedoch weitere schwierig zu beantwortende Fragen auf. Schließlich sind die beteiligten Tiere winzig klein, sie unternehmen ihre Wanderungen im Dunkeln, und die tiefen Zonen des Ozeans bleiben schwer zugänglich. Schwärme mückengroßer Organismen in lichtlosen Tiefen zu beobachten, erwies sich als kniffliger, als Wale bei ihren Wanderungen über die Erdhemisphären hinweg zu verfolgen. Erst in den 1990er Jahren konnten modernere Sonargeräte mit höherer Auflösung einzelne Tiergruppen und subtilere Bewegungsmuster erfassen. Damit ließ sich allerdings nicht unterscheiden, welche Arten der winzigen Tiere jeweils unterwegs sind. Anhand von Wasserproben konnten Biologen wie Johnson zwar die beteiligten Planktonspezies bestimmen. Dabei blieben aber die zeitlichen und örtlichen Nuancen unberücksichtigt, so dass nicht klar wurde, wohin die Reise der einzelnen Tiere jeweils ging.

Seeschmetterling | Die Menagerie des wandernden Zooplanktons umfasst eine hochdiverse Vielfalt winziger Tiere. Hier ein zu den Schnecken gehörender Seeschmetterling (Corolla spectabilis) aus der See vor den Kanarischen Inseln.

Trotz dieser Hemmnisse gelang es, verborgene Feinheiten der massenhaften Migrationen aufzuklären. So ist das Phänomen offenbar eng mit dem Geschehen am Himmel verknüpft: Wenn die Sonne im Polarwinter wochenlang ausbleibt, richten etliche Tiere ihre Wanderungen nach dem Mondzyklus aus. Auch eine Sonnenfinsternis kann sie dazu veranlassen, Richtung Oberfläche zu schwimmen. Eine leichte Bewölkung genügt und das Zooplankton in Meerestiefen unterhalb von 300 Metern, wo die Lichtintensität auf 0,012 Prozent abfällt, verschiebt seine vertikale Position um bis zu 60 Meter, erklärt Deborah Steinberg vom Virginia Institute of Marine Science. Dabei waren die veränderten Beleuchtungsbedingungen für die Mannschaft an Bord ihres Forschungsschiffs gar nicht erkennbar, bemerkt die Biologin: »Für uns war jeder Tag auf See bedeckt, grau und nieselig.« Doch das Zooplankton in der Tiefe registrierte offenbar selbst feinste Schwankungen der Lichtverhältnisse.

Mittels autonomer Unterwasserfahrzeuge lassen sich heute Bilder aus der Tiefe mit Umweltdaten verknüpfen. Forscherinnen und Forscher wie Kelly Benoit-Bird vom Monterey Bay Aquarium Research Institute und Mark Moline von der University of Delaware gewinnen so neue Einblicke in die Migrationen aus der Perspektive der beteiligten Organismen. Sonarmessungen von vertikal wanderndem Zooplankton im Catalina-Becken vor Kalifornien in 300 Meter Tiefe zeigten Überraschendes: Die Tiere waren offenbar in gut abgegrenzten Clustern organisiert, die nach Spezies geordnet aufstiegen.

Ruderfußkrebs | (Euaugaptilus antarcticus)

»Wir sollten das nicht mehr als simple Massenströmung betrachten, sondern als eine individuelle und artspezifische Aktivität«, sagt Benoit-Bird über die Vertikalwanderungen. Und das wanderfreudige Zooplankton ist bei seinen nächtlichen Ausflügen längst nicht allein. »Zahlreiche Tiere nutzen diese Strategie«, betont die Meeresbiologin. Mollusken, Laternenfische, Staatsquallen und verschiedenste andere Tiefseetiere machen sich ebenfalls nachts auf den Weg, um ihren Fressfeinden zu entgehen oder um Beute zu jagen – etwa andere Vertikalwanderer.

Fehlende Nährstoffe

Doch nicht nur Tiere begeben sich routinemäßig auf Wanderschaft. Schon seit Jahrzehnten ist bekannt, dass sich zahlreiche Spezies des pflanzlichen Planktons ebenfalls in der Senkrechten fortbewegen – sei es, indem sie ihren Auftrieb durch Fettabsonderung oder Größenveränderung regulieren; sei es, indem sie mit Geißeln schlagen. Betrachtet man den Ozean im Profil, so gibt es an der Oberfläche viel Sonnenenergie, aber wenig Nährstoffe. In die tieferen bodennahen Zonen hingegen dringt nicht genug Licht für die Fotosynthese betreibenden Algen vor; andererseits findet sich dort unten eine Fülle von Nährstoffen. Wie Forscher um den Ökosystemmodellierer Kai Wirtz vom Institut für Küstensysteme in Geesthacht 2016 berechneten, reicht die Zirkulation des Ozeanwassers allerdings nicht aus, um genügend Stickstoff und Phosphor aus der Tiefe nach oben zu transportieren und so den riesigen und für das Leben auf der Erde essenziellen Phytoplanktonteppich an der Oberfläche mit ausreichend Nährstoffen zu versorgen. Warum also, dachte Wirtz, sollten nicht auch die pflanzlichen Meeresbewohner ihre gut entwickelten Fortbewegungsmöglichkeiten nutzen, um zwischen den beiden Zonen hin- und herzupendeln? Tatsächlich, so sagt er, »ist dies die einzig plausible Erklärung«.

Nach Wirtz' Schätzungen dürfte die Hälfte der marinen Phytoplanktonarten regelmäßige vertikale Wanderungen von bis zu 100 Metern unternehmen, um Nährstoffe von unten und Sonnenlicht von oben zu nutzen. Die mikroskopisch kleinen Organismen könnten für solche Reisen Stunden, Tage oder gar Wochen brauchen, wobei sich einige von ihnen unterwegs fortpflanzen und es ihren Nachkommen überlassen, das Ziel zu erreichen. Solche Erkenntnisse veränderten radikal das wissenschaftliche Verständnis über das Phytoplankton, das bislang eher undifferenziert betrachtet wurde statt als komplexe Gemeinschaft zahlloser Einzelorganismen mit unterschiedlichen Verhaltensweisen.

Pfeilwurm | Ein Lebewesen, das in allen Ozeanen in sämtlichen Tiefen vorkommt.

Laboruntersuchungen bestätigten nicht nur, dass sich Vertreter des pflanzlichen Planktons vertikal im Wasser bewegen, sondern zeigten zudem, wie sie dabei ihr Verhalten hervorragend an die jeweiligen Bedingungen anpassen können: Ein Team der Washington State University um Stephen Bollens setzte in zwei Salzwassertanks Dinoflagellaten ein, die einen wesentlichen Teil des marinen Phytoplanktons darstellen. In einen der beiden Behälter entließ es zusätzlich räuberische Ruderfußkrebse. Wenn die Beleuchtung einen typischen Tag-Nacht-Zyklus simulierte, schwammen die hungrigen Krebse erwartungsgemäß bei Dunkelheit zur Oberfläche und bei Licht hinunter. Das Phytoplankton in den beiden Behältern verhielt sich genau umgekehrt: »Tagsüber« bewegte es sich nach oben und »nachts« hinab in die Tiefe – um einerseits möglichst viel Lichtenergie einzufangen und andererseits dem Risiko auszuweichen, von nachtaktiven Räubern gefressen zu werden.

Zum Erstaunen der Forscher zogen sich die Dinoflagellaten im Tank mit den Ruderfußkrebsen bei Dunkelheit sogar in noch tiefere Zonen zurück als im Becken ohne Fressfeinde – und gewannen so einen möglichst großen Abstand zu ihnen. Niemand weiß, wie die pflanzlichen Einzeller das Verhalten der Räuber registrieren. Doch laut den Studienautoren »könnte diese hier erstmals beschriebene Verhaltensreaktion wichtige ökologische Konsequenzen haben«.

Biologisches Förderband

Als sicher gilt jedenfalls, dass die Phytoplanktonwanderungen das Klima beeinflussen. Deborah Steinberg und ihre Kollegen hatten in den 1990er Jahren versucht, die globale Kohlenstoffbilanz mariner Ökosysteme zu ermitteln, also die Differenz zwischen der CO2-Menge, die in die Atmosphäre abgegeben wird, und der, die ihr entzogen wird. Die Zahlen schienen nicht zu stimmen: Es verschwand mehr Kohlenstoff von der Meeresoberfläche, als die Berechnungen erwarten ließen.

Durch ihre Forschungsarbeit am Bermuda Institute of Ocean Sciences hatte Steinberg bei zahlreichen Tauchgängen die dort tagsüber zu beobachtende Meeresfauna gut kennen gelernt. Dann tauchte sie einmal in der Nacht. Nachdem sie von einem kleinen Boot aus in das dunkle Wasser gesprungen war, das sich fast 4000 Meter tief unter ihr erstreckte, fand sie sich plötzlich in einer ganz anderen Welt als tagsüber wieder. »Ich schwamm inmitten von Tieren der unterschiedlichsten Arten«, erinnert sie sich mehr als ein Vierteljahrhundert danach noch voller Begeisterung.

Diese Nacht veränderte Steinbergs wissenschaftliche Laufbahn. Sie beschloss, von nun an die täglichen Wanderungsbewegungen im Meer zu studieren. Dabei ahnte sie bereits, dass hier ein Schlüssel zur Erklärung der unplausiblen Kohlenstoffbilanz liegen könnte. Denn an der Meeresoberfläche nimmt das Phytoplankton eine enorme Menge Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre auf, gibt aber einen Großteil davon bald wieder – oft binnen weniger Tage – an die Luft ab. Wenn nun das auf- und abwandernde Zooplankton nachts an der Oberfläche Phytoplankton frisst, fungiert es als eine Art biologisches Förderband, das gebundenen Kohlenstoff in die Tiefsee transportiert, wo er für Hunderte oder gar Tausende von Jahren gespeichert bleibt.

Um den Kohlenstofftransport näher zu untersuchen, verbringt der Planktonexperte Michael Stukel von der Florida State University viel Zeit damit, die Exkremente von Zooplankton unter dem Mikroskop zu betrachten. So winzig die einzelnen Fäkalpartikel auch sein mögen, spielen sie doch eine globale biogeochemische Rolle, wenn sie massenhaft produziert werden. Die kohlenstoffreichen Ausscheidungen sinken durch die Wassersäule in die Tiefe. Andere biologische Partikel gesellen sich dazu und bilden gemeinsam eine Art »Meeresschnee«, der langsam, aber stetig auf den Meeresboden rieselt. Zusammen mit dem schwimmenden Zooplankton selbst, das seine kohlenstoffhaltigen Mahlzeiten mit hinunternimmt, sorgt diese Bindung von Kohlenstoff dafür, dass es auf unserem Planeten »nicht so heiß ist, wie es sonst wohl wäre«, betont Stukel.

Blau lumineszierendes Zooplankton | aus der Arktis

Die Schätzungen, welche Kohlenstoffmengen wandernde Meeresorganismen binden, gehen weit auseinander, denn viele Aspekte des täglichen Auf und Ab sind noch ungeklärt. Deren Erforschung wird dazu beitragen, die globalen Klimamodelle zu verbessern, womit sich wiederum exakter vorhersagen lässt, wie der Klimawandel das Verhalten der marinen Wanderer – und damit das Erdklima selbst – verändert.

Antworten auf solche Fragen könnten die Forschungen aus Kakani Katijas Labor am Monterey Bay Aquarium Research Institute liefern. Die Bioingenieurin nutzt autonome Unterwasserfahrzeuge mit stereoskopischen Kameras, um die Bewegungen einzelner Migranten aufzuzeichnen. Dank Bildverarbeitungsalgorithmen kann der schwimmende Roboter selbstständig ein einzelnes Tier orten und stundenlang verfolgen.

Katijas Team optimierte diese Technik anhand von Staatsquallen. Die gallertartigen Wesen, die durch ihr halbtransparentes Gewebe geisterhaften Würmern ähneln, bewegen sich schnell und unvorhersehbar. Das erschwert die autonome Verfolgung – und genau die ist Katijas Ziel: »Wir versuchen, die Funktion des Systems zuverlässiger zu gestalten.« Um brauchbare Bilder und Videos aufzunehmen, muss der Roboter aktiv schwimmen und seine Umgebung beleuchten. Beides beeinflusst womöglich das Verhalten der verfolgten Organismen – »ein großes Problem«, wie Katija einräumt. Mit rotem Licht, das die meisten Tiere schlecht wahrnehmen, sowie mit einer turbulenzarmen Fahrweise versuchen die Forscher, ihr Gerät möglichst unauffällig durchs Wasser zu manövrieren. Satelliten tragen zusätzlich dazu bei, die nachts zum Fressen aufgetauchten Planktonschwärme störungsfrei zu beobachten. Ausgestattet mit der Fernerkundungstechnik Lidar (light detection and ranging) kann man so bis zu 20 Meter tief ins Wasser blicken.

Genetische Marker

Um die räumlich-zeitlichen Bewegungsmuster der verschiedenen Spezies zu messen, durchkämmen Meeresforscher und -forscherinnen die Wassersäule auch nach genetischen Spuren der auf- und absteigenden Organismen. Im Golf von Mexiko ließen Wissenschaftler um Cole Easson von der Middle Tennessee State University von ihrem Schiff große Sammelflaschen in verschiedene Wassertiefen ab, während sie gleichzeitig mit Sonartechnik die Verteilung der Organismen im Wasser registrierten. Mittels DNA-Analyse der gewonnenen Wasserproben bestimmten sie dann, welche Spezies sich wann wo aufgehalten hatten. Wie die 2020 veröffentlichten Daten zeigten, war das mikroskopisch kleine Zooplankton durch Ruderfußkrebse, Nessel- und Manteltiere viel stärker vertreten als die im Sonar leichter erfassten Fische oder andere relativ große Organismen.

Die Fachleute sind sich einig, dass ein globales Netzwerk die Wanderungsprozesse laufend beobachten sollte, um die Funktionssysteme des marinen Lebens genauer zu verstehen, bevor sie der Mensch noch stärker beeinträchtigt. Die industrielle Fischerei lief bisher fast ausschließlich in der Oberflächenschicht des Ozeans ab, seit einiger Zeit werden jedoch auch Grundschleppnetze eingesetzt. Doch immer mehr Länder wie Norwegen oder Pakistan erteilen kommerzielle Fangerlaubnisse auch für die mittleren Tiefen, um unter anderem hier wanderndes Plankton einzusammeln und zu Fischfarmfutter oder Fischöl zu verarbeiten.

Die Ausbreitung toter und sauerstoffarmer Zonen in den tieferen Meeresschichten raubt dem Zooplankton die tagsüber genutzten Lebensräume. Und auf Grund des Klimawandels verringert sich die Durchmischung der Wasserschichten im offenen Meer, wodurch weniger Nährstoffe für das Phytoplankton zur Verfügung stehen. Weniger Phytoplankton bedeutet aber wiederum weniger Nahrung für das wandernde Zooplankton. All das beunruhigt zunehmend die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die diese Tiere erforschen. »Wir haben nicht oft die Gelegenheit, ein ökologisches System zu verstehen, bevor es ausgebeutet wird«, meint Kelly Benoit-Bird. »Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit.«

Um die Bewegungen von Billionen Ruderfußkrebsen, Krill und den anderen nur schwer fassbaren Migranten besser zu verstehen, werden Benoit-Bird und ihre Kollegen auch im nächsten Sommer wieder in See stechen. Ihre Expeditionen mit Unterwasserrobotern, Sonartechnik und DNA-Analysen sollen dazu beitragen, herauszufinden, wie sich die winzigen Meerestiere Tag für Tag verhalten – wie sie auf- und abtauchen, sich in Schwärmen zusammentun, sich wieder verteilen und mit den Netzwerken anderer Arten verbunden bleiben.

In der Zwischenzeit wird die Sonne weiter auf- und untergehen. Dabei werden unzählige Meeresbewohner dem Rhythmus von Licht und Dunkelheit folgen, sich ernähren, Stoffwechselprodukte ausscheiden und das ökologische Gleichgewicht auf unserem Planeten maßgeblich beeinflussen.

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  • Quellen

Benoit-Bird, K. J., Moline, M. A.: Vertical migration timing illuminates the importance of visual and nonvisual predation pressure in the mesopelagic zone. Limnology and Oceanography 66, 2021

Bollens, S. M. et al.: Predator-enhanced diel vertical migration in a planktonic dinoflagellate. Marine Ecology Progress Series 447, 2012

Easson, C. G. et al.: Combined eDNA and acoustic analysis reflects diel vertical migration of mixed consortia in the Gulf of Mexico. Frontiers in Marine Science 7, 2020

Johnson, M. W.: Sound as a tool in marine ecology, from data on biological noises and the deep scattering layer. Journal of Marine Research 7, 1948

Mandal, S. et al.: A 1D physical–biological model of the impact of highly intermittent phytoplankton distributions. Journal of Plankton Research 38, 2016

Omand, M. M. et al.: Cloud shadows drive vertical migrations of deep-dwelling marine life. PNAS 118, 2021

Steinberg, D. K., Landry, M. R.: Zooplankton and the ocean carbon cycle. Annual Review of Marine Science 9, 2017

Wirtz, K., Smith, S. L.: Vertical migration by bulk phytoplankton sustains biodiversity and nutrient input to the surface ocean. Scientific Reports 10, 2020

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