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Wearables: Die Technik rückt uns auf die Pelle

Die nächste Eskalationsstufe der persönlichen Elektronik ist schon in Arbeit: So genannte Tech-Tattoos, auf der Haut getragene Elektronik, könnten die nächsten "Wearables" werden.
RFID-Chip

Es klingt ein bisschen wie der Beginn der Neuromancer-Trilogie. Dort werden den Menschen Biochips eingepflanzt, die ihnen den Zugang zur so genannten Matrix erlauben sollen, ohne dabei einen Computer benutzen zu müssen. Ganz so schlimm ist es sicherlich noch nicht. Aber der Weg dahin scheint sich zu ebnen. Verschiedene Unternehmen und Universitäten arbeiten daran, elektronische Schaltkreise auf die Haut aufzutragen, um eine Verbindung zwischen Mensch und Maschine erschaffen zu können.

Das Unternehmen Chaotic Moon aus Austin in Texas zum Beispiel entwickelt seit einiger Zeit so genannte Tech-Tattoos. Diese "Tattoos" – noch können die Schaltkreise nicht unter die Haut gestochen, sondern müssen aufgetragen werden – sollen beispielsweise Blutdruck, Puls oder die Körpertemperatur messen und verschicken die Daten dann direkt an ein anderes Gerät. Nach Angaben von Ben Lamm, CEO des Unternehmens, stellt eine elektrisch leitende Paste eine Verbindung zwischen Mikroprozessorschaltkreisen und einer Anzahl verschiedener Sensoren her. Alles zusammen ergebe dann ein Tattoo, welches sich kaum von den üblichen Körperkunstwerken unterscheiden lasse.

Theoretisch wären sogar tatsächliche Tattoos in der Haut möglich, so Lamm, allerdings müssten zuvor noch eine Reihe weiterer Probleme gelöst werden. "Die Leitfähigkeit der Tattoos geht durch den natürlichen Hautwiderstand verloren." Darüber hinaus müsse wohl auch das Material überarbeitet werden, das derzeit dafür benutzt wird.

Noch nicht unter der Haut

Auch in Korea wird an dieser Technologie intensiv geforscht. Eine Arbeitsgruppe unter Führung von Park Jang-ung vom Ulsan National Institute of Science and Technology (UNIST) untersucht momentan, wie sich eine hauchdünne elektrisch leitende Folie auf Graphenbasis auf die Haut auftragen lässt. Eines Tages müsste man die ankommende SMS nicht mehr auf dem Smartphone lesen, sondern direkt auf einem Monitor auf dem Unterarm. Bei dem Material handelt es sich, anders als im Konzept des Unternehmens aus Texas, um eine durchsichtige Folie, auf die die Schaltkreise aufgedruckt werden. Neben der Anwendung als Tech-Tattoo wäre es auch vorstellbar, so die Forscher, die Folie samt Schaltkreisen auf Glas, Pflanzen oder andere empfindliche Materialien aufzutragen.

Insbesondere die Verbindung zwischen Smartphone und Tech-Tattoo hat es den verschiedenen Wissenschaftlerteams angetan. Das in Schaumburg, Illinois, sitzende Unternehmen Motorola hat sich kürzlich das Patent auf eine Technologie gesichert, mit deren Hilfe ein Mikrofon auf den Hals tätowiert werden soll. Dieses soll dann über Bluetooth, WLAN oder ein anderes Protokoll eine Verbindung zwischen Sprecher und Smartphone herstellen. Die Funktionsweise des Mikrofons ist dabei zunächst einmal nichts Neues. Es nimmt die Schwingungen am Hals auf und leitet sie dann an das Smartphone weiter. Der Vorteil des innigen Hautkontaktes: Durch die Nähe zum Sprecher werden deutlich weniger Hintergrundgeräusche mitübertragen als bei herkömmlichen Mikrofonen.

Das Problem des Mikrofons, ebenso wie aller anderen Tech-Tattoos, ist bislang noch die Energieversorgung. Momentan plant Motorola dafür ein Batteriepack ein, das umständlich verstaut werden müsste. Auch andere Hersteller hadern mit diesem Problem und können daher ihre Entwicklungen nur unter Laborbedingungen testen.

Strom aus dem Blut

Eine mögliche Lösung offeriert ein Team von Wissenschaftlern an der University of California in San Diego. Nach ihren Erkenntnissen können Tech-Tattoos nicht nur Daten sammeln und weitergeben, sie sind auch in der Lage, Energie zu erzeugen. Die Gruppe aus Kalifornien hat eine Biobatterie entwickelt, die aus Schweiß elektrische Ladung erzeugen kann.

Biegsame Elektronik | Eines Tages könnten selbst ganze Computer und andere elektronische Bauteile biegsam und durchsichtig sein. Doch dem stehen derzeit noch einige technische Hürden entgegen.

Sie enthält ein Enzym, welches Elektronen aus Laktat im Blut sammelt und damit elektrische Spannung erzeugt. Ursprünglich war das kalifornische Tech-Tattoo nur dafür geplant, Leistungssportler besser trainieren zu können. Bei diesen muss während intensiver Trainingsphasen regelmäßig der Laktatgehalt im Blut gemessen werden, und dafür muss man bisher Blut entnehmen. In San Diego wurde nun ein Sensor entwickelt, der als Tattoo auf die Haut geklebt wird und dort die Laktatkonzentration misst.

Die Biobatterie ist ein Nebeneffekt dieser Entwicklung. Tests haben ergeben, dass so Leistungsausbeuten bis zu 70 Mikrowatt pro Quadratzentimeter möglich sind: Je intensiver das Training, desto höher die Leistung des Tattoos. Ein Test mit unterschiedlich trainierten Probanden hat außerdem ergeben, dass Personen, die eher weniger und unregelmäßiger Sport trieben, mehr Energie erzeugten als solche, die das Fitnessstudio zu ihrer zweiten Heimat gemacht hatten.

Wenzhao Jia, der die Ergebnisse 2014 auf einer Tagung der American Chemical Society vorstellte, sagt: "Die derzeitige Leistung ist nicht sonderlich hoch. Aber wir arbeiten daran, dass wir irgendwann ein kleines elektronisches Gerät damit versorgen können." Das Problem läge bislang noch an der Größe der verwendeten Elektroden. Diese seien nur 2 bis 3 Millimeter groß und könnten daher nur ungefähr 4 Mikrowatt erzeugen. "Ein bisschen zu wenig, um damit eine Uhr zu betreiben, die in aller Regel etwa 10 Mikrowatt benötigt."

Doch wenn diese Energieprobleme einmal gelöst sind, bieten Tech-Tattoos bislang noch ungeahnte Möglichkeiten – dessen sind sich Ben Lamm und die anderen Tech-Tattoo-Pioniere sicher. Sie werden, so Lamm, eines Tages so alltäglich sein wie das Smartphone bereits heute. Potenzielle Anwendungen sieht er fast überall. So könne beispielsweise die Temperatur eines kranken Kindes gemessen und bei Bedarf ein Alarm auf dem Tablet der Eltern ausgelöst werden.

Möglich wäre natürlich auch, die eigenen Körperfunktionen aufzuzeichnen, um sie anschließend mit dem Fitnesstrainer analysieren zu können. Auch militärischen Anwendungen sieht Lamm durchaus positiv entgegen. So sei es mit Tech-Tattoos vorstellbar, Soldaten zu markieren, um sie besser auf dem Schlachtfeld verfolgen und damit zielgenauer einsetzen zu können. "Diese Technologie hat das Potenzial, zu einem Teil des alltäglichen Lebens zu werden", sagt Lamm. Er glaubt, dass eines Tages jeder ein solches Tattoo tragen wird.

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