Stalagmiten: Die überraschend simple Mathematik der Tropfsteinhöhlen

Tropfsteinhöhlen gehören zu den spektakulärsten Naturwundern. Betritt man sie, steht man oft in einem ganzen Wald aus bizarren Steinsäulen, von denen die auffälligsten in vielen Ländern fantasievolle Namen wie »Geburtstagskuchen« oder »Teufelsfinger« tragen. Tatsächlich jedoch stecken hinter der scheinbaren Formenvielfalt lediglich drei Grundformen, die wiederum auf eine einzelne Zahl zurückgehen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Arbeitsgruppe um Piotr Szymczak von der Universität Warschau anhand eines mathematischen Modells wachsender Stalagmiten. Wie das Team in der Fachzeitschrift »PNAS« berichtet, wachsen in einer idealen Höhle entweder schmale Säulen, spitz zulaufende Kegel oder breite Podeste mit flacher Oberfläche. Welche Form sich bildet, hängt von der Damköhler-Zahl ab, die man aus physikalischen Größen berechnet. Anhand des Modells ließen sich außerdem genauere Klimadaten aus Stalagmiten gewinnen, schreiben die Fachleute.
Hinter den faszinierenden Gesteinsformationen der Tropfsteinhöhlen steckt ein relativ einfacher Vorgang. Wasser, das in die Erde einsickert, nimmt Kohlendioxid von Bodenlebewesen auf und wird dadurch saurer. Tiefer im Gestein löst es dadurch Kalziumkarbonat. Wenn das Wasser schließlich in die Höhle gelangt, gast das Kohlendioxid wieder aus und der Kalk kann nicht mehr gelöst bleiben. So bilden sich aus dem Kalziumkarbonat eindrucksvolle Strukturen, die an Wasserfälle oder Kathedralen erinnern, Stalaktiten und eben Stalagmiten. Wie das Team um Szymczak anhand ausführlicher Rechnungen ermittelte, hängt die Wuchsform der Stalagmiten von nur drei Faktoren ab: der Geschwindigkeit, mit der sich der Kalk aus dem Wasser an Oberflächen ablagert, der Fläche der Stalagmitenbasis und der Rate, mit der das Wasser aus der Decke tropft. Teilt man die ersten beiden Größen durch die dritte, erhält man die Damköhler-Zahl.
Wenn die Bedingungen in der Höhle konstant bleiben, entstehen bei Damköhler-Zahlen unter eins spitz zulaufende Stalagmiten, über eins hingegen solche mit flacher Spitze und bei Damköhler-Zahlen nahe eins Säulen mit etwa halbrunder Spitze. Die Fachleute geben allerdings zu bedenken, dass das Modell einige Schwächen hat. So funktioniert es nur, wenn die Stalagmiten von einem durchgehenden Wasserfilm benetzt sind, was nicht immer der Fall ist. Außerdem ändern sich die Bedingungen in Höhlen mit der Zeit. Das allerdings macht das Ergebnis wiederum relevanter. Denn die über Jahrtausende gewachsenen Gesteinsformationen in Tropfsteinhöhlen nutzt man auch als Klimaarchiv, indem man ihre »Wachstumsringe« zum Beispiel auf geänderte Isotopenzusammensetzungen untersucht. Mithilfe der vom Wasserfluss und der Kohlendioxidkonzentration abhängigen Damköhler-Zahl lassen sich möglicherweise auch aus der Form weitere Schlüsse auf das frühere Klima ziehen.
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