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News: Die Wacht am Hirn

Übergänge sind häufig sensible und gut kontrollierte Gebiete. So auch zwischen Blut und Gehirn. Diese Grenze wird von der Blut-Hirn-Schranke bewacht: Sie verwehrt großen Proteinen und elektrisch geladenen Molekülen den Zugang zum zentralen Nervensystem - schon lange ein Problem für die Medizin. Denn zu den Teilchen, die keinen Passagierschein bekommen, gehören auch viele gerade dort benötigte Medikamente. Jetzt haben Wissenschaftler Hinweise auf die Funktionsweise einer 'Hintertür' ins Gehirn gefunden - vielleicht mit positiven Folgen für die Behandlung von Krebs, AIDS und anderen Krankheiten, die das Gehirn betreffen.

Die Forscher fanden heraus, daß das p-Glycoprotein (Pgp), ein Transporterprotein, mit einem weiteren, ähnlichen Protein zusammenarbeitet, um den "Durchgangsverkehr" in das Gehirn durch eine zweite Schranke zu steuern. Diese Struktur, der Plexus choriodeus, kleidet Hohlräume tief im Gehirn aus. "Der Plexus choriodeus könnte eine wichtige Oberfläche für den Austausch von Medikamenten darstellen, die durch diese Hintertür-Schranke vom Blut in die Cerebrospinalflüssigkeit gelangen", meint David Piwnica-Worms von der Washington University School of Medicine.

Der Wissenschaftler möchte klären, wie die Eigenschaften der Proteine verändert werden können, die diese Hintertür geschlossen halten. "Möglicherweise läßt sich der Transport vieler Medikamente verbessern, indem die Wächterproteine am Plexus choriodeus vorsichtig und selektiv blockiert werden", sagt er. Dann könnten beispielsweise auch die Proteasehemmer, die mit HIV infizierte Zellen abtöten, in die Cerebrospinalflüssigkeit vordringen – bislang aufgrund der Blut-Hirn-Schranke ein sicheres Rückzugsgebiet für diese Zellen, wie einige Mediziner vermuten.

P-Glycoprotein befördert in seiner Funktion als Transporter viele verschiedene Moleküle durch Zellwände hindurch. Piwnica-Worms untersuchte es ursprünglich als Marker für Krebszellen, die schlecht auf Chemotherapie reagieren. Denn auf der Oberfläche mancher Krebszellen arbeitet Pgp als molekulares Gegenstück zum Rausschmeißer in einer Diskothek: Es wirft chemotherapeutische Medikamente aus den Zellen hinaus, bevor diese den – beabsichtigten – Schaden anrichten können. Der Plexus choriodeus erregte das Interesse des Forschers, als Fotos, auf denen eigentlich Krebszellen hervorgehoben sein sollten, zeigten, daß Pgp möglicherweise auch in diesem Gewebe zu finden ist.

Eine radioaktive Imaging-Substanz, Technetium-99m-SESTAMIBI, kann aufzeigen, ob Krebszellen Pgp fehlt und sie daher mit höherer Wahrscheinlichkeit auf eine Chemotherapie ansprechen. Krebszellen ohne den "Rausschmeißer" auf ihrer Oberfläche lassen die Substanz ins Zellinnere hinein, wo ihr Zerfall Gammastrahlenphotonen produziert. Spezielle Scanner machen diese dann auf Bildern nachweisbar. Unerwarteterweise entdeckte Piwnica-Worms, daß sich das Technetium bei Patienten, denen es injiziert worden war, im Plexus choriodeus absonderte. Diese Struktur dient hauptsächlich dazu, selektiv Substanzen aus den nahegelegenen Blutgefäßen zu ziehen, um so den Liquor cerebrospinalis zu erzeugen, in der das Gehirn "schwimmt".

Piwnica-Worms wußte, daß Pgp an der Blut-Hirn-Schranke dem Imaging-Wirkstoff den Eintritt in die Gehirnflüssigkeit verwehren würde. Deshalb untersuchte er, ob Pgp auch das Protein war, das den Wirkstoff daran hinderte, durch die "Hintertür" Plexus choriodeus einzudringen. "Die Tatsache, daß man die Substanz im Plexus choriodeus findet – nicht jedoch in der Cerebrospinalflüssigkeit – sagte uns, daß es dort eine Schranke geben muß, die verhindert, daß die Substanz das Gehirn erreicht", erklärt er.

Der Wissenschaftler suchte in der Epithelzellschicht, die vermutlich als Blut-Liquor-Schranke im Plexus choriodeus dient, nach Pgp oder einem verwandten Transporterprotein. Sowohl Pgp als auch das multidrug-resistance associated protein (MRP) können das Technetium über Zellmembranen transportieren, so daß beide den Transport in den Liquor cerebrospinalis verhindert haben könnten.

Mit Hilfe von Antikörper-Imaging-Techniken wies Piwnica-Worms nach, daß Pgp auf den Epithelzellen vorhanden war. Allerdings saß der Transporter auf der Oberfläche, die nahe der Cerebrospinalflüssigkeit lag. Im Gegensatz dazu befand sich MRP auf der Seite der Zelle, die dem Blutstrom zugewandt war. Anscheinend pumpte es dort Substanzen vom Gehirn weg. Experimente mit speziell gezüchteten Zellen und selektiven Inhibitoren der beiden Transporter bestätigten, daß Pgp und MRP die Rollen spielen könnten, zu denen sie aufgrund ihrer Positionen auf den Epithelzellen prädestiniert sind. Darüber hinaus hinderte Pgp das Krebsmedikament Taxol daran, von der Oberfläche, die der Cerebrospinalflüssigkeit gegenüberliegt, in die Epithelzellen einzudringen (Proceedings of the National Academy of Sciences vom 30. März 1999, Abstract).

Diese Erkenntnisse deuten darauf hin, daß Ärzte, die Gehirnkrankheiten behandeln möchten, sowohl Pgp als auch MRP überwinden müssen, damit ihre Medikamente wirken können. Allerdings haben Pharmafirmen bisher hauptsächlich Medikamente geprüft, welche die Pgp-Funktion zur Behandlungen von Krebs im Gehirn und anderswo blockieren. "Wir wissen nicht, was geschieht, wenn wir beide Substanzen hemmen", sagt Piwnica-Worms.

Die Rollen der Transporter an der Blut-Liquor-Schranke müssen immer noch beschrieben werden. Piwnica-Worms glaubt, daß Pgp an diesem Zugang wahrscheinlich eine andere Rolle spielt, vielleicht als Natrium-Transporter dient oder an der Regulierung von Cholesterin und ähnlichen Substanzen innerhalb des zentralen Nervensystems beteiligt ist. Mit Hilfe von Tiermodellen, denen ein oder beide Transporter fehlen, will er diese Fragen klären.

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