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News: Die Zelle wird berechenbar

Tagtäglich generieren die Biowissenschaftler eine Fülle neuer Daten. Wie aus der Summe der zellulären Einzelteile und ihrer Wechselwirkungen das beobachtbare Verhalten entsteht, bleibt dabei jedoch offen. Mit einer theoretischen Analyse der Netzwerkstrukturen in einer Bakterienzelle konnten Wissenschaftler nun wichtige Aspekte des Zellverhaltens, seiner Flexibilität und der Genregulation quantitativ vorhersagen.
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Lebende Zellen zeichnen sich durch eine außerordentliche Komplexität von Stoffwechsel- und Regulationsnetzwerken aus. Schon bei einfachen Bakterien umfassen diese Netzwerke mehrere tausend Komponenten, die miteinander wechselwirken. Systembiologen versuchen, diese intuitiv nicht mehr erfassbare Komplexität mit mathematischen Modellen zu beschreiben.

Für detaillierte Modelle, welche tatsächlich auch die Dynamik des Systems wiedergeben können, müssen die Bindungsstärken zwischen den einzelnen Komponenten und die Reaktionsgeschwindigkeiten weitgehend bekannt sein. Für ein gröberes Modell, das davon ausgeht, dass sich die Reaktionen innerhalb der Zelle im Gleichgewicht befinden, reicht jedoch die Kenntnis der Netzwerkstruktur aus.

So können Wissenschaftler mit Netzwerkstrukturanalysen untersuchen, inwieweit sich Gendefekte auf die Lebensfähigkeit eines Organismus auswirken. Dabei richtete sich das Augenmerk der Forscher vor allem auf jene Gene, welche die Bauanleitung für Enzyme tragen. Fundamentale Fragen blieben allerdings bislang unbeantwortet: Legt die Struktur des Stoffwechsels bereits die hohe Anpassungsfähigkeit der Organismen an wechselnde Umweltbedingungen fest? Und welche Rolle spielt hierbei die genetische Regulation? Genau mit diesen Fragen beschäftigten sich Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Dynamik komplexer technischer Systeme in Magdeburg sowie des Max-Delbrück-Zentrums für molekulare Medizin in Berlin.

Im Mittelpunkt der Untersuchungen stand der zentrale Stoffwechsel des Darmbakteriums Escherichia coli, eines gut untersuchten Modellorganismus. Das Stoffwechselmodell umfasste 89 Komponenten und 110 Reaktionen und ermöglichte die Beschreibung von Nährstoffaufnahme, -umsetzung und Zellwachstum. Die Analyse dieses Netzwerkes ergab, dass es sich – je nach dem verwerteten Nährstoff – in bis zu eine halbe Million Funktionseinheiten zerlegen lässt.

Mit diesem Modell konnte die Wissenschaftlergruppe unter der Leitung von Jörg Stelling nun simulieren, was im Falle eines Gendefekts passiert und inwieweit Zellen mit genetischen Defekten überlebensfähig sind. Allein aus der Struktur des Stoffwechsels ließ sich mit der Netzwerkanaylse vorhersagen, wann die Zellen welche Gene ablesen. Dabei zeigte sich, warum Organismen in der Regel sehr robust auf interne oder externe Störungen reagieren: Weil viele Stoffwechselwege in der Zelle mehrfach vorliegen, beeinträchtigen etliche Gendefekte das Wachstum der Zelle nur wenig. Vermutlich maximieren die Zellen bei einer Störung nicht nur die momentane Wirksamkeit ihres Stoffwechsels, sondern können gleichzeitig mögliche Störungen quasi vorausahnen.

Die Wissenschaftler hoffen, dass ihr Modell zu einem tieferen Verständnis von Grundprinzipien der Funktionsweise lebender Zellen verhilft. Direkte Anwendungsmöglichkeiten könnten sich auch bei der Suche nach Eingriffsmöglichkeiten in zelluläre Systeme bieten, um beispielsweise mögliche Ziele für neuartige Medikamente zu identifizieren oder biotechnologische Prozesse zu optimieren.

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