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News: Dieser Keramikfaser macht Hitze nichts aus

Die Effizienz von Gas- und Flugzeugturbinen hängt von der Verbrennungstemperatur ab. Diese wird von den Materialeigenschaften der verwendeten Bauteile bestimmt. Die häufig eingesetzten Metallegierungen erreichen bei 1200 Grad Celsius die Grenze ihrer Belastungsfähigkeit. Als Alternative werden Keramikverbundwerkstoffe verwendet, die auch noch wesentlich höhere Temperaturen aushalten, dafür aber sehr spröde sind. Wissenschaftler haben neue Keramikfasern entwickelt, die sehr hohe Temperaturen aushalten und dabei kriechfest und oxidationsstabil bleiben.
Die Arbeitstemperatur in Kraftwerksturbinen hängt von der Hitzebeständigkeit ihrer Bauteile ab, die heute zumeist aus Metallegierungen oder Keramikverbundwerkstoffen bestehen. Wissenschaftlern vom Max-Planck-Institut für Festkörperforschung, vom Fraunhofer-Institut für Silikatforschung und von der Bayer AG ist es gelungen, neuartige Keramikfasern aus Siliciumborcarbonitrid (SiBN3C) zu entwickeln, das wesentlich höheren Temperaturen als herkömmliche Werkstoffe standhält und dabei kriechfest und oxidationsstabil bleibt (Science vom 30. Juli 1999).

Die neue Keramik eignet sich deshalb sowohl als Verstärkungsfaser und vollkeramisches Bauteil in Flugzeug- und Gasturbinen als auch für eine kostengünstige korrosionsbeständige Beschichtung von Oberflächen. Wie effizient Gas- und Flugzeugturbinen Energie erzeugen und welche Menge an schädlichen Abgasen sie dabei ausstoßen, wird unmittelbar von ihrer Verbrennungstemperatur bestimmt. Die Höhe der Verbrennungstemperatur wiederum hängt von den Eigenschaften der verfügbaren Materialien ab. Obwohl der Preis ein wichtiger Faktor bei der Auswahl von Werkstoffen ist, sind es vor allem physikalische und chemische Werkstoffeigenschaften, die Hochtemperaturanwendungen einschränken: Dafür werden Materialien gebraucht, die bei hohen Temperaturen auch über einen langen Zeitraum ihre Härte, Elastizität, Kriechfestigkeit und ihren Korrosionswiderstand nicht verlieren.

Lange Zeit waren deshalb Metalle und intermetallische Verbindungen die wichtigsten Werkstoffe für den Bau von Gas- und Flugzeugturbinen. Doch bei Temperaturen oberhalb von 1200 Grad Celsius erreichen auch sie die Grenze ihrer mechanischen und chemischen Belastbarkeit. Die Entwicklung der nächsten Generation von Turbinen erfordert deshalb neue Materialien, die Temperaturen bis zu 1500 Grad Celsius über viele Tausende von Stunden widerstehen können. Solche Anforderungen können nur durch keramische Materialien erfüllt werden.

Keramiken haben viele Vorteile: Sie sind hart, abriebfest und korrosionsbeständig. Sie können bei hohen Temperaturen eingesetzt werden und haben eine geringe Dichte. Aufgrund ihrer Hitzebeständigkeit könnte der Treibstoffverbrauch in Flugzeugen um sechs bis acht Prozent und in Kraftwerksturbinen um 10 bis 15 Prozent gesenkt werden. Doch Keramiken haben auch erhebliche Nachteile. Insbesondere die ihnen immanente Sprödigkeit bereitet Probleme.

Forschungsarbeiten zur Verbesserung des sogenannten Sprödbruchverhaltens von Keramiken gehen heute zwei Wege: Einerseits wird versucht, die Mikrostruktur der Keramik zu verbessern, indem man die Zahl und die Größe der Risse im Material reduziert. Auf dem anderen, oft komplementären Weg versucht man, mit keramischen Fasern verstärkte Verbundwerkstoffe (sogenannte ceramic matrix composites CMC) zu entwickeln. Diese Forschungsrichtung ist inzwischen weit verbreitet. Doch leider überleben die bisher entwickelten Keramikfasern unter Lufteinwirkung keinen Dauereinsatz bei Temperaturen höher als 1200 Grad Celsius.

Den Wissenschaftlern um Martin Jansen vom Max-Planck-Institut für Festkörperforschung, Stuttgart, ist es nun gelungen, eine neue Art von Keramik – unter Einsatz chemischer Techniken – als amorphes Netzwerk unmittelbar auf atomarer Ebene zu strukturieren. Bor (B), Silicium (Si), Stickstoff (N) und Kohlenstoff (C) sind die Elemente, die für den Aufbau solcher Netzwerke prädestiniert erscheinen. Wie konnten die Forscher ein Netzwerk aus diesen Elementen knüpfen? Allgemein gilt: Ausgehend von einer verhältnismäßig einfachen, anorganischen (Vorläufer-) Substanz werden diejenigen Brückenbindungen, die in dem amorphen Netzwerk angestrebt werden, – hier also Silicium-Stickstoff-Bor-Brücken – bereits im Molekül vorgebildet.

Einen bedeutsamen Fortschritt brachte in dieser Hinsicht die Verbindung "trichlorosilylaminodichloroboran", kurz TADB. TADB enthält mit Silicium, Stickstoff und Bor bereits drei der vier chemischen Elemente, aus denen sich die neue Keramik SiBN3C zusammensetzt. Der weitere Weg ist ein schrittweiser Aufbau, gewissermaßen "Stein auf Stein". Molekulare Einheiten von TADB werden mit anderen Chemikalien, wie mit "Sekundenklebern" (in diesem Fall Ammoniak oder Methylamin) zu einem regellosen polymeren Netzwerk verknüpft. In diesem sind allerdings noch Wasserstoffatome und andere thermisch austreibbare Gruppen enthalten. Werden diese Netzwerkverbände hohen Temperaturen ausgesetzt, spalten sich flüchtigere Bestandteile ab. Neue, besonders stabile Atombindungen werden dabei geknüpft. Resultat dieser Pyrolyse ist das keramische Material. Die Atombindungen im Vorläufernetzwerk geben dabei die Richtung beim thermischen Umorganisationsprozeß vor und verleihen so der Keramik ihre außerordentliche Härte, Temperatur- und Korrosionsbeständigkeit. Diese Reaktionsfolge hat eine Reihe von Vorteilen: Die Ausgangsmaterialien sind billig, alle Nebenprodukte sind wiederverwendbar und – die Synthese ist technisch umsetzbar.

Im Vergleich zu anderen nichtoxidischen Keramiken hat SiBN3C wesentlich bessere thermophysikalische und chemische Eigenschaften. Die amorphe Mikrostruktur des Werkstoffes bleibt in nichtoxidierender Umgebung bis zu einer Temperatur von 1800 Grad Celsius unverändert, ein wichtiger Aspekt für die Beurteilung der Einsatzfähigkeit des Werkstoffes. Denn wenn ein Material bei erhöhten Temperaturen mikrostrukturelle Umwandlungen durchläuft, kann man es bei entsprechenden Einsatztemperaturen nicht mehr verwenden.

Eine weitere wichtige Eigenschaft ist die hohe Oxidationsstabilität der neuen amorphen Keramik. Sauerstoff, bei hohen Temperaturen ein aggressives Oxidationsmittel, vermag das äußerst korrosionsbeständige Material auch bei 1500 Grad Celsius nicht anzugreifen. Dies läßt sich damit erklären, daß während der Oxidation auf der Keramikoberfläche eine Passivierungsschicht entsteht. Diese doppelte Deckschicht ist außen SiO2-reich und darunter reich an Bornitrid. Diese Doppelschicht wirkt als Diffusionsbarriere gegenüber Sauerstoff von außen und gegenüber Kationen von innen.

Und die SiBN3C -Keramik ist als einzige bisher bekannte Nichtoxidkeramik stabil gegenüber flüssigem Silicium, d.h. SiBN3C- Verbundwerkstoffe können durch sogenannte Flüssigsilicierung hergestellt werden. Man nimmt dazu ein Gewebe aus SiBN3C-Fasern und stellt daraus durch Formgebung mit Harz ein mit Keramikfasern verstärktes Polymerbauteil her. Durch Verkokung erhält man daraus ein mit Keramikfasern verstärktes Kohlenstoffbauteil. Da der Kohlenstoff sehr porös ist, kann er bei 1600 bis 1700 Grad Celsius mit flüssigem Silicium zu SiC reagieren. Damit erhält man ein fertiges Bauteil aus keramischem Verbundmaterial.

SiBN3C kann technisch in einem Schmelz-Spinn-Verfahren und anschließender Pyrolyse aus dem Polymer N-Methylpolyborosilazan (PBS-Me) zu Fasern verarbeitet werden. Der Grundstoff dafür, Polyborosilazan (PBS), wird bereits in größeren Mengen produziert. Die Fasern selbst werden am Fraunhofer-Institut für Silikatforschung in Würzburg hergestellt, da dort spezielles Know-how auf dem Gebiet keramischer Fasern vorhanden ist.

Die neuen Fasern mit dem Handelsnamen "Siboramic" zeigen äußerst vielversprechende Eigenschaften für ihren Einsatz als Verbundwerkstoffe in Hochleistungsturbinen: exzellenter Widerstand gegen Oxidation, was einen Einsatz unter Luft bei bis zu 1500 Grad Celsius ermöglicht, Widerstand gegen flüssiges Silicium bei 1600 Grad Celsius, weshalb die Keramik unter Luftabschluß sogar bei Temperaturen bis 1800 Grad Celsius eingesetzt werden kann, keine mikrostrukturellen Veränderungen bis 1800 Grad Celsius, geringer thermischer Ausdehnungskoeffizient (3 x 10-6/K), geringe Dichte (~ 1,8 g/cm3, das heißt etwa sechzig Prozent der Dichte anderer keramischer Fasern und dreißig Prozent der Dichte einer Superlegierung).

Der neue Werkstoff erfüllt damit alle Voraussetzungen für eine praktische Anwendung, wann immer Hochtemperaturbeständigkeit gefordert ist, und dies jenseits der Einsatzgrenzen bisher bekannter, kommerziell verfügbarer Werkstoffe. Jansen sieht große Chancen für die neue Keramik insbesondere in der Luft- und Raumfahrt, in der Kraftwerkstechnik, aber auch im Maschinenbau: Zum einen geht es künftig bei Einsatztemperaturen von über 1400 Grad Celsius in Triebwerken und Turbinen um den Ersatz herkömmlicher Metallegierungen. Der Einsatz der keramischen Verbundmaterialien würde – neben der Gewichtseinsparung und einer erhöhten Korrosionsbeständigkeit – erhebliche Treibstoffeinsparungen und eine starke Reduktion der Stickoxid-Emissionen ermöglichen. Da sich auf der neuen Keramik bei Oxidation von selbst eine schützende Doppelschicht bildet, ist SiBN3C darüber hinaus sehr gut als kostengünstige oxidationsbeständige Beschichtung, zum Beispiel im Maschinen- und Anlagenbau, geeignet.

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