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Top-Innovationen 2020: Mit Apps Krankheiten erkennen und behandeln

Was uns plagt, das können nicht nur Ärzte erkennen, sondern auch Apps. Gerade in der Pandemie wurde deutlich, wie nützlich das sein kann.
Arzt als App

Wer weiß, vielleicht verschreibt Ihnen Ihr Arzt demnächst einmal eine App per Rezept. Zumindest gibt es »medizinische« Apps schon recht zahlreich, und immer mehr werden gerade entwickelt: Programme, die psychische oder körperliche Störungen autonom erkennen und überwachen oder schon eine Therapie einleiten können. Diese Art »digitaler Medizin« hat das Potenzial, die herkömmliche medizinische Versorgung zu verbessern und Patienten zu helfen, die sonst nur eingeschränkt Zugang zur Gesundheitsversorgung bekommen. Der Bedarf hierfür ist mit der Coronakrise weiter gestiegen.

Viele mobile Anwendungen sollen zunächst einmal Anzeichen für Krankheiten erkennen. Dazu sammeln sie Daten der User: Merkmale wie die Stimmlage und ihren Gesichtsausdruck, ihren Aufenthaltsort und Bewegungsmuster, die Schlafdauer und -qualität; aber auch die Häufigkeit, mit der sie Messenger-Dienste einsetzen – zum Beispiel, um mit Freunden oder der Familie zu kommunizieren. Selbstlernende Algorithmen werten die Daten aus und melden, wenn ein Nutzer nach ihrer Auswertung womöglich gerade am Beginn einer Krankheitsepisode steht oder sich sein Gesundheitszustand verschlechtert.

Die spannendsten Technikinnovationen des Jahres 2020

Welche technischen Fortschritte haben das Potenzial, das Gesundheitswesen, ganze Industriezweige oder gar Gesellschaften in drei bis fünf Jahren zu revolutionieren? Die zehn besten aus 75 nominierten »Innovationen des Jahres 2020« hat ein Team aus Fachleuten gewählt, einberufen vom Weltwirtschaftsforum sowie vom US-Wissenschaftsmagazin »Scientific American«.

Wir stellen die Top-10 in den letzten zwei Wochen des Jahres vor:

In Smartwatches liefern Sensoren Infos an Apps, die ein Vorhofflimmern erkennen können, eine lebensgefährliche Störung des Herzrhythmus. Bestenfalls warnen sie Betroffene rechtzeitig, bevor diese das Bewusstsein verlieren. Ähnlich reagieren Apps auf Atemstörungen, Depressionen, Parkinson, Alzheimer, Autismus und andere Krankheiten.

Zielgenau auf Erkrankungen zugeschnitten

Solche Hilfsmittel auf der Basis einer »digitalen Phänotypisierung« werden Ärzte auf absehbare Zeit nicht ersetzen können. Immerhin lenken sie den Blick aber auf Anzeichen oder Symptome, die bei einer Therapie relevant sind. Ganz ähnlich arbeiten Systeme auf der Basis von mit Sensoren ausgestatteten Pillen: mikrobioelektronischen Geräten, die etwa Tumorgene, Magenblutungen oder von Darmmikroben ausgestoßene Gase aufspüren oder die Körpertemperatur und den Sauerstoffgehalt messen. Auch hier wertet eine App aus, was an Daten von den Pillensensoren weitergeleitet wird.

Einige Apps sollen nicht nur überwachen, sondern auch therapieren. Das erste verschreibungspflichtige digitale Therapeutikum, das von der US-Arzneimittelbehörde FDA zugelassen wurde, war die reSET-Technologie von Pear Therapeutics zur Behandlung von Suchterkrankungen. ReSET wurde 2018 als Ergänzung zu Therapien zugelassen, die von medizinischen Fachkräften überwacht werden. Die App unterstützt die Mediziner im Rahmen einer kognitiven Verhaltenstherapie mit Hinweisen; sie sendet etwa in Echtzeit Daten, die Rückschlüsse auf das Suchtverlangen der therapierten Personen zulassen oder auf Triggerreize, denen diese ausgesetzt sind.

Somryst, eine App zur Therapie von Schlafstörungen, und EndeavorRX, ein videospielbasierter Therapieansatz für Kinder mit einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS), sind Anfang 2020 ebenfalls in den USA von der FDA genehmigt worden. Das Start-up Luminopia hat eine Virtual-Reality-App zur Behandlung der Sehschwäche Amblyopie bei Kindern entwickelt. Sie könnte möglicherweise eine Alternative zu der häufig therapeutisch verschriebenen Augenklappe sein.

Smartwatches könnten auch jungen Erwachsenen Hilfestellung bieten: etwa, indem sie darauf drängen, sich medizinische Hilfe zu suchen, sobald Daten darauf hindeuten, dass sich die Sprach- und Sozialisationsmuster verändern, was ein Anzeichen für eine leichte Depression sein kann. In so einem Fall könnten sich die Betroffenen an eine »Woebot«-Chat-App wenden, ein textbasiertes Dialogsystem, das gegen Depressionen und Angstzustände entwickelt wird.

Gründliche Studien zur Sicherheit und Wirksamkeit

Unterschieden werden müssen Wellness-Apps für das Wohlbefinden und echte medizinische Apps. Digitale Arzneimittel müssen sich in klinischen Studien als sicher und wirksam erweisen und brauchen eine behördliche Zulassung, bevor sie zur Diagnose oder Behandlung von Krankheiten eingesetzt werden können. Eine App kann zudem zusätzlich verschreibungspflichtig sein. Während der Corona-Pandemie hat die FDA im April 2020 in diesen Punkten vorübergehende Ausnahmen für Apps gemacht, die ein geringes Risiko für ungewollte Nebeneffekte mitbringen.

Covid-19 hat das Potenzial digitaler Medizin noch einmal unterstrichen: Dutzende von Apps zur Erkennung von Depressionssymptomen wurden verfügbar, während das Virus sich global ausgebreitet hat. In dieser Situation setzten Krankenhäuser und Behörden auf Systeme wie den Healthcare-Bot-Service von Microsoft: einen Chat-Bot, mit dem sich Menschen mit Symptomen wie Fieber und Husten austauschen konnten, statt in der Warteschleife einer Hotline oder in einer Notaufnahme festzuhängen. Der Bot prognostiziert auf der Basis der Auskunft des Patienten mit KI-Input mögliche Ursachen der Symptome und organisiert bei Bedarf eine Online-Sitzung mit einem Arzt. Bis Ende April 2020 waren bereits mehr als 200 Millionen Nachrichten zu Covid-Symptomen und Therapien beim Bot eingegangen. Dies hat die Gesundheitssysteme erheblich entlastet.

Ohne Frage: Die Gesellschaft muss die digitale Medizin mit Bedacht entwickeln. Anwendungen müssen gründlich getestet, die privaten Daten von Patientinnen und Patienten geschützt bleiben und die Anwendungen reibungslos in die Arbeitsabläufe des Gesundheitssystems integriert werden. Wenn dies gewährleistet ist, kann die digitale Medizin Kosten sparen und ungesunde Verhaltensweisen aufspüren, die man ändern könnte, bevor sie krank machen. Künstliche Intelligenz kann helfen, die Versorgung von Patienten und Patientinnen zu personalisieren und zu verbessern. Vielleicht deckt sie sogar bisher übersehene Muster auf, die neue Ansatzpunkte für die medizinische Forschung liefern.

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