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Altern: Doch kein längeres Leben durch Kalorienverzicht?

Eine kalorienarme Ernährung fördert die Gesundheit und verlängert das Leben, so lauteten die Ergebnisse früherer Studien an Säugetieren, darunter auch Primaten. Eine Langzeitstudie an Rhesusaffen allerdings hat nun keinen Effekt auf die Lebensspanne festgestellt.
Drei Erbsen auf einem Teller, daneben Besteck

Seit mehr als 75 Jahren ist bekannt, dass reduzierte Kost die Lebensspanne von Mäusen und Ratten verlängert und sich auch positiv auf ihre Gesundheit auswirkt. Viele Forscher nutzten diesen Effekt, um die zu Grunde liegenden Mechanismen des Alterns zu erkunden. Für andere Wissenschaftler und große Teile der Bevölkerung barg dies jedoch vor allem die Hoffnung, dass eine kalorienarme Ernährung auch beim Menschen gesundheitsfördernd und lebensverlängernd wirken könnte – und damit der ersehnte Jungbrunnen in Form eines mager gefüllten Tellers direkt vor einem steht.

Um zu überprüfen, ob ein solch einfacher Eingriff in die Ernährungsgewohnheiten auch bei langlebigen Primaten positive Folgen zeigt, starteten gegen Ende der 1980er Jahre in den USA zwei unabhängige Studien an Rhesusaffen: am US National Institute on Ageing (NIA) in Bethesda im Bundesstaat Maryland und am Wisconsin National Primate Research Center (WNPRC) in Madison. Zwischenergebnisse lieferten Hinweise auf eine bessere Gesundheit [1,2] und wahrscheinlich auch verlängerte Lebensspanne [3]. In einem nun vorab online veröffentlichten Artikel in "Nature" berichten allerdings Julie Mattison vom National Institute on Ageing und ihre Kollegen, dass die NIA-Daten keinen lebensverlängernden Effekt von Diät erkennen lassen.

Nur ein marginaler Unterschied

In der NIA-Studie erhielten Rhesusaffen verschiedenen Alters um 30 Prozent kalorienreduzierte Nahrung. Die Forscher ordneten die Daten in zwei Gruppen: eine, bei denen die Tiere in jungen Jahren bereits mit der Diät begonnen hatten (unter 14 Jahre), die zweite mit spätem Beginn (16 bis 23 Jahre). Zur Einordnung: Rhesusaffen erreichen mit etwa vier bis fünf Jahren die Geschlechtsreife, und die mittlere Lebensspanne wird mit 27 Jahren angegeben [5]. Mattison und ihr Team stellten nun fest, dass sich die Lebensspanne in beiden Altersgruppen nicht unterschied – die mit Magerkost ernährten Tiere lebten also nicht länger als ihre normal fressenden Artgenossen. Beinahe die Hälfte der Affen aus der jüngeren Altersgruppe sind zwar noch am Leben, doch anhand der bisherigen Sterbedaten errechneten die Forscher eine Wahrscheinlichkeit von weniger als 0,1 Prozent für ein längeres Überleben der Diätgruppe.

Rhesusaffen | Die Forscher der NIA-Studie stellten fest, dass ihre kalorienarm ernährten Rhesusaffen (links) nicht länger lebten als Artgenossen mit normaler Kost (rechts). Die hier gezeigten Männchen sind beide 27 Jahre alt.

Um positive Gesundheitseffekte der Magerkost zu untersuchen, nahmen die Wissenschaftler regelmäßig Blutproben der Tiere, in denen sie die Konzentrationen von Glukose, Cholesterin und Triglyceriden ermittelten. Die Cholesterinspiegel männlicher Tiere auf Diät lagen signifikant niedriger als bei normal ernährten Geschlechtsgenossen, bei Weibchen allerdings zeigte sich kein Unterschied. In der Gruppe mit spätem Diätstart waren zudem die Triglyceridwerte signifikant geringer, und auch die Glukoselevel lagen etwas unter denen der Tiere aus den Kontrollgruppen. Bei den Rhesusaffen, die früh mit Magerkost gestartet waren, gab es hingegen keine Unterschiede bei den Glukosekonzentrationen, und ihre Triglyceridwerte lagen nur bei den Männchen geringfügig niedriger als bei normal ernährten Tieren gleichen Alters.

Die kalorienarme Ernährung wirkte sich nicht auf die Todesursache aus. Auch wenn es angesichts vieler noch lebender Tiere in der einen Gruppe voreilig sein mag, die endgültigen Gesundheitseffekte auf altersbedingte Krankheiten bereits vorherzusagen: Die kalorienarme Ernährung scheint die Häufigkeit von Krebs und wahrscheinlich auch von Diabetes gesenkt zu haben. Andererseits hat sie womöglich das Auftreten von Herz-Kreislauf-Erkrankungen leicht gefördert. Insgesamt traten diese Krankheiten bei den auf Diät gesetzten Affen jedoch geringfügig später auf.

Die Ergebnisse von Mattison und ihren Kollegen widersprechen zum Teil denen aus der WNPRC-Studie, in die nur junge Affen (7 bis 14 Jahre alt) aufgenommen wurden. Die WNPRC-Forscher fanden bisher keinen statistisch signifikanten Effekt einer Kalorienreduktion auf die Gesamtlebensspanne (wobei die Hälfte der Tiere noch lebt), doch die Überlebensmuster weisen auf einen klaren Trend zu längeren Lebenszeiten bei Diät hin. Noch deutlicher wird dieses Bild, wenn aus den Sterbedaten nicht altersbedingte Todesursachen wie innere Blutungen oder Narkose herausgerechnet wurden: Dann zeigte sich bei Kalorienreduktion ein statistisch signifikanter positiver Effekt auf das Überleben.

Widersprüchliche Ergebnisse

Viele Forscher sahen die Interpretation der Daten jedoch kritisch. Diese in der Analyse nicht berücksichtigten Daten machten fast die Hälfte der Todesfälle aus, und noch dazu waren sie in der Diätgruppe häufiger als in der Kontrollgruppe. Es wäre also möglich, dass zumindest manche dieser Todesfälle mit der geänderten Ernährung zusammenhingen. Auch Mattison und ihre Kollegen verzeichneten mehr nicht altersbedingte Todesfälle in ihrer "jungen" Diätgruppe als bei der Kontrolle.

Woher könnten die Unterschiede in den Ergebnissen der beiden Studien kommen? Eine Ursache könnte die Nahrungszusammensetzung sein. Denn obwohl die Kost in ihrem Gehalt an Kohlenhydraten, Proteinen und Fett weit gehend übereinstimmte, unterschied sie sich in den spezifischen Typen dieser Nährstoffe: Die WNPRC-Diät enthielt beispielsweise 28,5 Prozent Rohrzucker, die NIA-Kost hingegen wies nur 3,9 Prozent auf. Womöglich damit zusammenhängend, entwickelten mehr als 40 Prozent der WNPRC-Kontrolltiere, aber nur 12,5 Prozent der NIA-Kontrolltiere Diabetes. Interessanterweise trat diese Stoffwechselkrankheit aber bei den auf Diät gesetzten Tieren der WNPRC-Studie überhaupt nicht auf, in der NIA-Studie hingegen schon.

Wie viel ist optimal?

Ein weiterer Unterschied zwischen den Studien besteht darin, dass die Kontrolltiere der NIA abgemessene Portionen erhielten, um Übergewicht vorzubeugen, während die WNPRC-Kontrolltiere fressen konnten, so viel sie wollten. Dementsprechend wogen die Rhesusaffen der NIA weniger und überlebten deutlich länger als ihre WNPRC-Artgenossen. Eine mögliche Interpretation wäre, dass damit auch die Kontrolltiere der NIA-Studie in gewisser Weise auf Diät waren und sich deshalb kein Unterschied in der Lebensspanne zwischen den Gruppen mehr beobachten ließ. Gleichwohl wogen sämtliche Versuchstiere in beiden Studien – normal wie kalorienarm ernährte – mehr als freilebende Verwandte [6].

Wenn diese Interpretation stimmt, wirft das eine faszinierende Frage bezüglich der Hintergründe kalorienarmer Ernährung in Primaten auf: Besteht ihr Geheimnis womöglich einfach nur darin, überflüssiges Körperfett zu vermeiden? Hält man mit reduzierter Diät ein "gesundes" Körpergewicht, wirkt sich jede weitere Kalorienreduzierung nicht mehr zusätzlich auf die Lebensspanne aus? Wissenschaftler, die an Ratten forschen, vermuten jedoch schon seit Langem, dass kalorienarme Ernährung mehr bewirkt als nur eine schlanke Figur, und dass es die Lebensspanne über das normale Maß hinaus verlängert. So ist unter anderem bekannt, dass Kalorienreduktion das Überleben sowohl in fettleibigen als auch normal gewichtigen Mäusen und Ratten verlängert [7], sogar bei sehr strenger Diät [8], und dass Kalorienreduktion das Überleben auf andere Weise beeinflusst als durch Bewegung ausgelöste Gewichtsabnahme.

Dieselbe Frage stellt sich für laufende Studien, bei denen übergewichtige [10,11] oder sehr schlanke [12] mit normalgewichtigen Menschen verglichen werden. Falls hinter kalorienreduzierter Ernährung nicht mehr steckt als einfach nur diejenige Nahrungsmenge, mit der ein gesundes Körpergewicht erhalten bleibt, dann würde eine pharmakologische Mimikry dieses Effekts womöglich nur den Übergewichtigen helfen. Und in diesem Fall wäre dann keine spektakuläre Verbesserung der Gesundheit und der Lebensspanne zu erwarten – ein bisschen enttäuschend.

Der Orginalartikel erschien unter dem Titel "Mixed results for dieting monkeys" als Nature Advance Online Publication (DOI 10.1038/nature11432) am 29. August 2012

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