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Teilchenphysik: Doppelt exotische Atome

CERN-Forscher haben Atome erzeugt, in denen weder Protonen noch Elektronen umeinanderkreisen. Das soll die Eigenschaften von Atomkernen verstehen helfen.
Doppelt-exotische Atome entstehen nur für Sekundenbruchteile in Beschleunigern

Bei normalen Atomen umkreist ein Elektron einen Atomkern, der seinerseits aus Protonen und Neutronen besteht. Bei exotischen Atomen hingegen ist das Elektron durch ein anderes Teilchen ausgetauscht. Ersetzt man etwa bei Wasserstoff das Elektron durch sein schweres Schwesterteilchen, das Myon, so entsteht "myonischer Wasserstoff". Mit solchen exotischen Atomen, die aber allesamt sehr kurzlebig sind, lassen sich etwa die Durchmesser von Wasserstoffkernen besser bestimmen als mit gewöhnlichen Atomen.

Eine Besonderheit stellen doppelt exotische Atome dar: Bei ihnen ist nicht nur das Elektron, sondern auch der Atomkern durch ein anderes Teilchen ersetzt. Solche doppelt exotischen Atome sind zwar schwer herzustellen und nachzuweisen und noch dazu äußerst kurzlebig. Trotzdem stehen sie schon lange auf der Wunschliste einiger Forscher. Denn sie erlauben die Messung physikalischer Eigenschaften, die man aus der Theorie nicht mathematisch ableiten kann. Die Theorie, die die Kräfte von Kernmaterie beschreibt, besitzt nämlich eine entscheidende Schwierigkeit, die andere physikalische Theorien nicht aufweisen: Bei niedrigen Energien führt sie zu unendlich vielen Termen, die keinen klar bestimmbaren Wert ergeben. Nur Messungen können den Wissenschaftlern Aufschluss darüber geben, wie sich Kernmaterie unter solchen Bedingungen verhält.

"Wir wollen mit diesen exotischen Atomen die starke Kernkraft bei kleinen Energien untersuchen", sagt Jürg Schacher von der Universität Bern, der im Rahmen der DIRAC-Kollaboration (DImeson Relativistic Atom Complex) an diesen Materiezuständen forscht. Denn einige doppelt exotische Atome sind hierfür bestens geeignete Kandidaten.

Die Wissenschaftler der DIRAC-Kollaboration nutzen das Proton Synchrotron am Europäischen Kernforschungszentrum CERN, einen der Vorbeschleuniger des großen Large Hadron Collider, an dem unter anderem das Higgs-Teilchen entdeckt wurde. Das Proton Synchrotron erreicht zwar nur einen Bruchteil der Energie des großen Teilchenbeschleunigers, aber immer noch ausreichend zur Produktion solcher doppelt exotischer Atome. Dafür schicken die Forscher den hochenergetischen Teilchenstrahl auf eine nur 100 Mikrometer dicke Folie aus Nickel oder Platin. Dabei entstehen hin und wieder auch doppelt exotische Atome.

Exotisch und strange

Im Augenblick untersuchen die Forscher vor allem Pionium und Pi-K-Atome. Pionium ist ein doppelt exotisches Atom, das aus zwei Pionen besteht. Eines davon ist positiv, das andere negativ geladen. Dadurch ziehen sie sich gegenseitig elektrisch an und umkreisen einander.

Bei Pi-K-Atomen ist eines der Pionen durch ein Kaon ersetzt. Der Unterschied liegt im Detail: Pionen bestehen aus einem up- und einem down-Quark, das heißt aus derselben Kernmaterie wie gewöhnliche Protonen und Neutronen. Kaonen hingegen haben neben einem up- oder down-Quark ein so genanntes strange-Quark. Deshalb sind sie etwas schwerer und kurzlebiger als Pionen.

Kaonen (auch K-Mesonen genannt) besitzen eine mittlere Lebensdauer von gerade einmal zehn milliardstel Sekunden. Auch die etwas leichteren Pionen (beziehungsweise Pi-Mesonen) leben nur unwesentlich länger, sie brauchen im Schnitt nur etwa doppelt so lange, bevor sie zerstrahlen. Diese Lebensspanne ist zwar sehr kurz, aber deutlich länger als die Lebensdauer der entstehenden doppelt exotischen Atome. Diese zerfallen im Schnitt innerhalb einer Femtosekunde wieder – das entspricht gerade einmal einer millionstel milliardstel Sekunde. Was die Forscher beobachten, sind darum die beiden Fragmente, die entstehen, wenn die doppelten Exoten zerfallen. Die Eigenschaften der Zerfallsprodukte können sie mit Hilfe des magnetischen Doppelarm-Spektrometers untersuchen.

Inzwischen funktionieren die Experimente so gut, dass die Wissenschaftler bereits über 300 Pi-K-Atome aufzeichnen konnten. Zwar hatten frühere Experimente auch schon Hinweise auf solche exotischen Atome geliefert, allerdings nicht mit der statistischen Sicherheit, die für eine Entdeckung erforderlich ist. Aus den Messdaten wiederum wollen die Forscher nun die Kraft zwischen den Pionen beziehungsweise zwischen Pion und Kaon bestimmen.

"In Zukunft wollen wir auch nach weiteren exotischen Atomen Ausschau halten", erklärt Schacher. Hierzu gehören Atome aus positiv und negativ geladenen Kaonen, aus Protonen und Antiprotonen sowie aus Pionen und Myonen. Eventuell wird die DIRAC-Kollaboration mit ihrem Doppelarm-Spektrometer dafür in die nächstgrößere Experimentierhalle am CERN ziehen: Gegenwärtig gibt es Planungen, das Experiment vom Proton Synchrotron an das Super Proton Synchrotron zu verlegen, das noch deutlich höhere Energien liefert und den letzten Vorbeschleuniger für den Large Hadron Collider darstellt.

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