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Synthetische Biologie: Doppelt so viele Buchstaben im DNA-Alphabet

Synthetische DNA benimmt sich wie ihr natürliches Vorbild – was bedeuten könnte, dass auch andere Biomoleküle als die uns vertrauten Lebensprozesse möglich machen.
DNA-Illustration

Die DNA jeder Lebensform auf unserer Erde speichert Informationen mit Hilfe von nur vier Schlüsselmolekülen, den Basen Guanin, Cytosin, Adenin und Thymin (gern abgekürzt als G, C, A und T). Nun haben Wissenschaftler die Zahl dieser essenziellen Bausteine im DNA-Molekül verdoppelt – und so eine ganz neue synthetische Gensprache mit acht statt vier Buchstaben geschaffen, eine Art erweitertes genetisches Alphabet, in dem Informationen offenbar ganz wie in der natürliche DNA codiert und gespeichert werden können. Theoretisch könnte der synthetische Achtbasen-Dialekt durchaus auch in lebenden irdischen Organismen funktionieren, meint nun in »Science« ein Forscherkonsortium unter der Leitung von Steven Benner, dem Gründer der Foundation for Applied Molecular Evolution in Florida.

»Es ist ein echter Meilenstein«, kommentiert der Molekularbiologe Floyd Romesberg vom Scripps Research Institute in La Jolla die Studie: Man könne demnach davon ausgehen, dass eigentlich kaum etwas Besonderes oder gar »Magisches« an den vier DNA-Basen des Lebens ist. »Das ist ein konzeptioneller Durchbruch«, fügt er hinzu.

Die vier bekannten DNA-Basen formen normalerweise Paare im Inneren der Doppelhelix, die aus zwei umeinandergewundenen DNA-Strängen besteht: A bildet Brücken mit T, G mit C. Seit Langem versuchen Wissenschaftler allerdings, diesen Vierercode mit molekularen Bastelarbeiten zu erweitern. Dabei war es zum Beispiel Benner schon in den 1980er Jahren gelungen, »unnatürliche« Basen in DNA-Doppelstränge zu integrieren. Andere Gruppen folgten: Romesbergs Labor machte 2014 Schlagzeilen, als es ein nicht natürlich vorkommendes Basenpaar in lebende Zellen integrieren konnte. Die jüngste Studie belegt nun erstmals systematisch, wie die komplementären, nicht natürlichen Basen zusammenfinden und binden – während die Doppelhelix aus DNA-Strängen ihre Struktur behält.

»Es ist ein echter Meilenstein«
Floyd Romesberg

Zu Benners Team gehören Forscher verschiedener US-amerikanischer Unternehmen und Institute, welche die synthetischen Buchstaben in einer Gemeinschaftsaktion schufen. Dafür mussten sie die Molekülstruktur regulärer Basen zunächst optimieren, damit sie auch als fest integrierter DNA-Buchstabe Wasserstoffbrücken zu ihrer Partnerbase ausbilden können. Die Wasserstoffatome müssen zu diesem Zweck so arrangiert sein, dass sie von den Teilladungen der Stickstoff- oder Sauerstoffmoleküle einer Partnerbase angezogen werden: Ein wenig so wie beim Zusammenbau von Legosteinen, wo Löcher und Noppen passen müssen, erklärt Benner.

Am Ende des Umarrangements molekularer Noppen und Löcher hatten die Teammitglieder zuletzt mehrere neue DNA-Basen erzeugt – inklusive der zueinander passenden Paare »S« und »B« sowie »P« und »Z«. In der jüngsten Studie beschreiben sie nun, wie diese synthetischen Basenpaare mit den natürlichen Varianten kombiniert werden können. Am Ende stand dabei die molekulare Kunstsprache »Hachimoji«, getauft nach den japanischen Bezeichnungen für »acht« und »Buchstabe«. Die zusätzlichen Basen ähneln strukturell jeweils einer natürlichen DNA-Base, haben aber leicht abweichende Eigenschaften bei der Wasserstoffbrückenbindung.

Daten auslesen

Nun führten die Forscher eine Reihe von Experimenten durch, um die synthetische DNA mit der natürlichen Variante zu vergleichen. Im Blick hatten sie dabei Eigenschaften, die für Lebensprozesse unabdingbar sind. Zunächst: Um als Informationsspeichersystem zu funktionieren, muss die DNA vorhersagbaren Konstruktionsregeln folgen. Das Team testete also, ob die synthetischen Basen ähnlich zuverlässig wie reguläre Basen Paare bildeten – und tatsächlich entstanden hunderte synthetische DNA-Moleküle, in denen sich die Basen wie vorgesehen an ihren jeweiligen Partner banden.

Im nächsten Schritt zeigten die Forscher dann, dass die Struktur dieser Doppelhelices stabil bleibt – auch unabhängig von der Reihenfolge der synthetischen Basen. Das ist wichtig: Damit sich Leben entwickeln kann, sind hochvariable Basensequenzen unabdingbar, ohne dass deswegen das gesamte DNA-Konstrukt auseinanderfällt. Mit Hilfe von Röntgenbeugung an Molekülkristallen bestätigte das Team, dass synthetischen DNA-Stränge mit drei verschiedenen Sequenzen die gleiche Struktur beibehalten.

Das ist ein großer Fortschritt, findet Philipp Holliger, ein Experte für synthetische Biologe am MRC Laboratory of Molecular Biology im englischen Cambridge: Alternative Methoden zur Erweiterung des genetischen Alphabets eigneten sich strukturell weniger gut. Bei solchen Versuchen waren lipophile, also nicht wasserlösliche Moleküle eingesetzt worden, die sich nicht per Wasserstoffbrücken verpaaren. Man konnte sie zwar in gewissen Abständen zueinander zwischen natürlichen Basen in die DNA-Kette platzieren – nicht aber direkt nebeneinander, weil dies die Helixstruktur zerstörte.

Schließlich zeigten Benner und Kollegen auch noch, dass die synthetische DNA buchstabengetreu in RNA transkribiert werden kann. Aus Sicht der Evolution, so Benner, sei es »schließlich nicht wesentlich, Informationen nur zu speichern – man muss diese Information auch in ein Molekül übersetzen können, mit dem dann etwas anzufangen ist«.

Die Umwandlung von DNA in RNA ist ein wichtiger Schritt, um genetische Informationen in Proteine, die Arbeitspferde des Lebens, zu übersetzen. Auch einige RNA-Sequenzen, so genannte Aptamere, können allerdings selbst an bestimmte Moleküle binden. Benners Team entwickelte nun synthetische DNA-Abschnitte, die für ein bestimmtes Aptamer codieren – und konnte bestätigten, dass diese mit korrekter RNA-Sequenz per Transkription produziert wurden und auch arbeiteten wie geplant.

Holliger sieht in der Arbeit einen spannenden Ausgangspunkt – doch es sei noch ein weiter Weg bis zu einem echten synthetischen Gen-Code mit acht Buchstaben. Eine Schlüsselfrage werde beispielsweise sein, ob die synthetische DNA durch Polymerasen repliziert werden kann – also durch die Enzyme, die für die Synthese von DNA in Organismen vor der Zellteilung verantwortlich sind. Anderen Methoden, etwa die von Romesberg und Kollegen mit ihren hydrophoben Kunstbasen, konnten dies schon leisten.

Vielfalt des Lebens

Immerhin, so Benner: Seine Arbeit zeigt nun, dass Leben möglicherweise auch auf der Grundlage von anders gestalteten als den natürlichen DNA-Basen möglich ist. Und das dürfte auch bei der Suche nach Signaturen des Lebens anderswo im Universum relevant sein.

Eher bodenständige Ziele könnten mit Hilfe der neu hinzugefügten DNA-Buchstaben ebenfalls erreicht werden. Womöglich erlaubt die größere Vielfalt an genetischen Bausteinen auch vielfältigere RNA- oder DNA-Sequenzen, mit denen Wissenschaftler dann vielleicht andere Funktionen – jenseits der Datenspeicheraufgabe – besser erledigen könnten als mit dem natürlichen Vierercode. Beispiele hat Benners Gruppe schon geliefert: DNA-Stränge mit Z und P binden etwa besser an manche Krebszellen als Sequenzen mit nur den vier Standardbasen. Benner hat bereits ein Unternehmen gegründet, das synthetische DNA für den Einsatz in der medizinischen Diagnostik vermarktet.

Im Prinzip könnten die Forscher ihre synthetische DNA nutzen, um sowohl neue Proteine als auch neue RNA zu produzieren. Benners Team hat zudem noch weitere Paare neuer Basen entwickelt: Sie eröffnen die Möglichkeit, DNA-Strukturen mit zehn oder sogar zwölf Buchstaben zu konstruieren. Wobei schon die Tatsache, dass die Forscher das genetische Alphabet auf acht erweitert haben, an sich bemerkenswert ist, findet Romesberg: Dies »verdoppelt bereits das, was die Natur bietet«.

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