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Aids: Doppelter Schlag

Aids zeigt viele Gesichter. Eines davon ist die Demenz von Aids-Patienten im Spätstadium der Infektion. Doch das Virus zerstört nicht nur die Neuronen des Gehirns - es unterbindet auch die Reparatur dieser Zellen.
HIV
Es galt lange als Dogma der Neurobiologie: Jeder Mensch muss sein Leben lang mit den Hirnzellen auskommen, mit denen er seit seiner Geburt ausgestattet ist – Nachwuchs für verloren gegangene Neuronen gibt es keine. Doch wie so manches Dogma musste auch dieses abtreten. Inzwischen gilt als gesichert, dass eine adulte Neurogenese, also die Bildung neuer Nervenzellen im erwachsenen Körper, nicht nur gelegentlich stattfinden kann, sondern sogar unabdingbar für Prozesse des Lernens und des Gedächtnisses ist. Und ausgerechnet in diese subtile Mechanismen scheint sich ein Erreger einzumischen, der seit über zwei Jahrzehnten einen berühmt-berüchtigten Ruf genießt: HIV.

Dass das humane Immunschwäche-Virus auch im Gehirn zuschlägt, zeigte sich fatalerweise erst durch besser wirkende Aids-Medikamente. Denn diese können zwar die Vermehrung des Erregers im Immunsystem mehr oder weniger gut bändigen, ins Gehirn gelangen sie jedoch nur schwer, da die Blut-Hirn-Schranke ihnen den Zutritt verweigert. Für das Virus stellt die Passage jedoch kein Problem dar – und so findet es im Denkorgan ein sicheres Exil.

Die sich langsam einschleichenden Folgen bleiben nicht aus: Die Patienten können sich zunehmend schlechter konzentrieren, sie leiden unter Gedächtnisverlust und depressiven Verstimmungen, sie bewegen sich nur langsam und unsicher, sie ziehen sich immer mehr aus ihrem sozialen Umfeld zurück. Am Ende droht schwere Demenz mit totaler Pflegebedürftigkeit. Schätzungsweise bis zu einem Drittel der Aids-Patienten sind von dieser HIV-Enzephalopathie betroffen.

HIV | Aufbau des HI-Virus: In einer äußeren Lipoproteinhülle aus den Glykoproteinen gp120 (SU) und gp41 (TM) und dem Protein p17 (MA) liegt der konische Viruskern aus den Proteinen p7 (NC), p9 (VPr) und p24 (CA) sowie einer reversen Transkriptase, einer Integrase und einer Protease. Im Kern ist die RNA des Virus verpackt.
Wie der Aids-Erreger die grauen Zellen vernichtet, blieb lange unklar. Bislang vermuteten die Mediziner hauptsächlich indirekte Effekte, beispielsweise eine Attacke der Neuronen durch HIV-infizierte Immunzellen des Gehirns. Doch dann tauchte der Verdacht auf, dass ein Protein der Virushülle die Nervenzellen direkt angreift. Dieses Eiweiß namens gp120 ist Aids-Forschern schon lange bekannt, da der Erreger damit an Immunzellen bindet und in sie eindringt. Doch wieso soll gp120 Neuronen schädigen?

Um diese Frage zu beantworten, kreierten Forscher um Shu-ichi Okamoto vom Burham-Institut im kalifornischen La Jolla gentechnisch veränderte Mäuse, die das Protein gp120 selbst herstellten. Tatsächlich ähnelten Hirnschnitte dieser Tiere dem mikroskopischen Bild, das Pathologen von der HIV-Enzephalopathie beim Menschen kennen.

Und nicht nur das: Auch die Neurogenese im Hippokampus war bei den gentechnisch veränderten Mäusen gestört. Dieses Hirnareal spielt für das Gedächtnis eine zentrale Rolle, wobei – wie Neurobiologen inzwischen akzeptieren – die Bildung neuer Nervenzellen aus neuralen Stammzellen ein wichtiger Schritt ist.

Tatsächlich konnten die Forscher den Mechanismus aufklären, über den das virale Protein in die Neurogenese eingreift: gp120 bindet an zwei Rezeptormoleküle auf der Oberfläche der neuralen Stammzellen, wodurch wiederum eine fatale Enzymkaskade ausgelöst wird.
"Es ist ein doppelter Schlag gegen das Gehirn"
(Marcus Kaul)
Beteiligt daran ist das Protein p38, das normalerweise Krebszellen lahm legt, indem es ihre Teilung stoppt. Offensichtlich unterbindet das durch gp120 aktivierte p38 auch die Vermehrung der Stammzellen im Hippokampus; der Nachschub neuer Nervenzellen bleibt somit aus. Gleichzeitig treibt es bereits ausdifferenzierte Neuronen in den Selbstmord – ein Schutz vor wuchernden Tumoren kehrt sich somit in sein Gegenteil um.

"Es ist ein doppelter Schlag gegen das Gehirn", erklärt Okamotos Kollege Marcus Kaul. "Das HIV-Protein löst Hirnschäden aus und verhindert gleichzeitig deren Reparatur."

Diese zunächst beängstigend erscheinenden Erkenntnisse bergen aber auch neue Hoffnung. Denn der p38-Weg ist Medizinern vertrautes Terrain – Medikamente, die ihn blockieren, sind bereits für andere Krankheiten in der Entwicklung. "Falls sie sich als wirksam erweisen", hofft Ko-Autor Stuart Lipton, "könnten sie auch beim Schutz des Gehirns funktionieren."

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