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Verhaltensforschung: Doppeltes Muttchen

Was bei Menschen noch für erregte Diskussionen an Stammtischen oder in der Politik sorgt, praktizieren Tiere mitunter schon lange und erfolgreich: das Aufziehen von Kindern in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung. Und zumindest bei einem pazifischen Vogel profitiert davon die ganze Art.
Laysan-Albatros
Die Zeit um die vorletzte Jahrhundertwende war keine gute für Seevögel wie den Laysan-Albatros: Seefahrer schlachteten sie jährlich zu hunderttausenden ab, um an ihre in Europa, Japan und Nordamerika beliebten Federn und Eier zu gelangen. Ihr Blutzoll war so hoch, dass Brutkolonien wie auf der Insel Wake oder dem Johnston-Atoll erloschen. Andere dünnten extrem aus. Nachdem die Jagd verboten wurde, rückten andere Gefährdungsursachen in den Vordergrund: Die Albatrosse ertranken in Treibnetzen oder an den Haken von Langleinenfischern, verendeten an mannigfaltig aufgenommenem Plastikmüll oder vergifteten sich an Bleiplättchen, die zuhauf von den ehemaligen Baracken eines US-Fliegerhorstes auf ihrem wichtigsten Brutplatz im Midway-Atoll bröselten.

Zärtliches Albatros-Pärchen | Wegen Männerknappheit gehen Laysan-Albatrossweibchen häufig auch gleichgeschlechtliche Beziehungen ein.
Über die Jahrzehnte blieb so von mehreren Millionen Brutpaaren nur eine knappe Million zurück. Trotz der ausgedünnten Bestände bleiben die Laysan-Albatrosse (Phoebastria immutabilis) damit noch immer eine der häufigsten Arten ihrer Familie. Einen möglichen Grund für diesen relativen Erfolg haben nun womöglich Lindsey Young von der University of Hawaii in Honolulu und ihre Kollegen auf Oahu entdeckt. Sie studierten dort die Paarbindungen der eleganten Hochseesegler, die nur zur Brutzeit Land ansteuern und ansonsten weit draußen über dem offenen Meer leben.

Laysan-Albatros auf Eiern | Die rein weiblichen Bindungen können sogar eigenen Nachwuchs großziehen – der von beiden Müttern stammen kann. Das Männchen muss allerdings immer noch die Spermien liefern.
Üblicherweise gehen Albatrosse eine Ehe für ihr langes Leben ein, in der sich Männchen wie Weibchen stets gemeinsam um die Sprösslinge kümmern. Sie binden sich sogar so eng aneinander, dass sie nur beim ersten Mal ausgiebig balzen und sich in den Folgejahren mit wenigen einfachen Begrüßungsgesten begnügen, bevor sie zur Paarung schreiten. Dummerweise herrscht bei den Laysan-Albatrossen mitunter Männermangel – vor allem in kleinen Kolonien, die erst vor relativ kurzer Zeit gegründet wurden. Unter den Zuwanderern befinden sich überproportional viele Weibchen: Auf Oahu beispielsweise liegt ihre Zahl um die Hälfte höher als jene der Männchen. Womöglich sind sie mobiler, weil in ihrer alten Heimat schon alle potenziellen Partner vergeben waren und sie deshalb auf die Suche gingen.

Fütternder Laysan-Albatros | Gleichgeschlechtliche Albatrospaare ziehen zwar weniger Junge groß als ihre heterosexuellen Genossen. Dennoch leisten sie ihren Beitrag zum Arterhalt.
Droht den Verschmähten oder Zuspätgekommenen also ein kinderloses Schicksal in ewiger Jungfräulichkeit und ohne Chance, die eigenen Gene der Nachwelt zu hinterlassen? Nicht unbedingt, schließt Youngs Team aus seinen Beobachtungen und Blutproben von erwachsenen und jugendlichen Albatrossen. Überzählige Albatrosdamen schließen sich einfach selbst zu Paaren zusammen: Ein knappes Drittel aller Beziehungen auf Oahu war gleichgeschlechtlicher Natur – ein bislang einmalig hoher Wert im Vogelreich, wo homosexuelle Bindungen eher selten auftreten.

Ihre Vereinigungen sind kein Techtelmechtel für kurze Zeit, sondern oft durchaus auf Dauer angelegt – die Hälfte aller rein weiblichen Paare bestand während der gesamten vierjährigen Studienzeit, und von der Hawaii-Insel Kauai sind Ehen über mindestens acht und in einem Fall sogar 19 Jahren überliefert. Und damit nicht genug: Vielfach ziehen die doppelten Mütter sogar eigenen Nachwuchs groß – von 39 erfassten Paaren gelang dies immerhin ein knappes Drittel. Damit sind sie zwar deutlich weniger erfolgreich als die gemischten Beziehungen (dort lag der Erfolg doppelt so hoch), dennoch ist es "eine bessere Alternative als Kinderlosigkeit", wie es die Autoren auf den Punkt bringen.

Jungfernzeugung unter Albatrossen ist allerdings noch nicht bekannt, weshalb die Forscher zusätzlich mit einer romantischen Vorstellung aufräumen: Zumindest Phoebastria immutabilis ist bei Weitem nicht so monogam, wie es das bisherige Bild dieser Seevögel suggerierte. Eigentlich anderweitig liierte Männchen zeugten 10 der 16  geschlüpften Küken in den gleichgeschlechtlichen Ehen, ohne sich anschließend um ihren Nachwuchs zu kümmern – womöglich einer der Gründe für die geringere Überlebensrate der Jungen, da zwei Weibchen womöglich nicht genügend Nahrung heranschaffen können. Immerhin haben beide mit den Seitensprüngen die Option auf ein Küken vom eigenen Blut, denn es gibt kein festgefügtes Rollenbild: Jede darf kopulieren und ihr Ei legen. Mitunter finden sich deshalb auch zwei Eier im Nest, von denen jedoch stets nur eines ausgebrütet wird. Die Wahrscheinlichkeit ist trotzdem hoch, dass über die Jahre hinweg von beiden Müttern mindestens ein Junges das Erwachsenenalter erreicht.

Diese Strategie bewahrt die Laysan-Albatrosse womöglich vor dem Schicksal der meisten ihrer Verwandten, vermuten die Forscher: Von den 22 Arten 19 auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Tiere stehen. Schließlich tragen über die Homo-Ehen auch unvermählte Laysan-Weibchen zum Erhalt ihrer Sippe bei. Und da gerade sie wanderfreudiger sind und zu neuen Ufern aufbrechen, kolonisieren sie so vielleicht einmal wieder erfolgreich Wake und das Johnston-Atoll, wo ihre Vorfahren einst blutig vernichtet wurden.

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  • Quellen
Young, L. et al.: Successful same-sex pairing in Laysan albatross. In: Biology Letters 10.1098/rsbl.2008.0191, 2008.

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