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News: Drama in drei Akten

Wie aus dem Nichts tauchte es auf, brachte in rasanter Geschwindigkeit weltweit Gesundheitssysteme und Volkswirtschaften an den Rand ihrer Kapazitäten, um dann vermeintlich, aber doch nicht ganz, wieder im Nichts zu verschwinden. Zu den nachträglichen Aufräumarbeiten gehört nun auch die molekulare Geschichte des SARS-Virus.
Letztes Jahr um diese Zeit beherrschte eine seltsame Lungenkrankheit die Medien: SARS, das schwere akute Atemwegssyndrom. Monatelang flimmerten Bilder von verängstigten Augen über weißen Gesichtsmasken über den Fernseher, immer neue erschreckende Zahlen tauchten auf, Reisen in manche Regionen wurden zum Krisenfall oder, sofern irgend möglich, ganz abgesagt. Als im Juli 2003 schließlich Entwarnung gegeben wurde, hatte der Erreger nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation 8098 Menschen rund um den ganzen Erdball infiziert, 774 davon überlebten die daraus resultierende schwere Lungenentzündung nicht.

Die Atempause war kurz: Im September trat ein neuer SARS-Fall in Singapur auf, als sich ein Forscher offenbar im Labor ansteckte. Und im Dezember schien die Epidemie von neuem in China aufzuflackern – ebendort, wo sie auch im Jahr zuvor ihren Anfang genommen hatte. Wird SARS nun ein jährlicher ungebetener Gast?

Um die Gefahr der Zukunft abschätzen zu können, ist eine Kenntnis der Vergangenheit sehr hilfreich. Darum machten sich Wissenschaftler um Guo-Ping Zhao von den Shanghai Institutes of Biological Sciences daran, die molekulare Geschichte des gefährlichen Erregers Schritt für Schritt aufzuzeichnen. Sie untersuchten das Virenmaterial von 22 Patienten aus der Guangdong-Provinz, die zu verschiedenen Zeiten infiziert wurden, und verglichen die Befunde mit den inzwischen entzifferten Sequenzen von 32 humanen SARS-Coronaviren und zwei SARS-ähnlichen Coronaviren aus Larvenrollern (Paguma larvata), jenen mancherorts als Delikatesse geschätzten Schleichkatzen, die als möglicher Ursprung des Erregers gelten.

Drei Phasen wurden bisher für den Ausbruch unterschieden, und jene Dreiteilung zeigte sich auch in der Veränderung des viralen Erbguts: Wie in einem Musikstück konnten die Wissenschaftler für jeden Abschnitt charakteristische molekulare Motive ausfindig machen.

So war das Virus in der ersten Phase, von Mitte November 2002 bis Ende Januar 2003, offenbar damit beschäftigt, sich von seinem zuvor wohl tierischen Wirt an sein neues Opfer "Mensch" anzupassen. Die Ähnlichkeit zu dieser Zeit zu SARS-vergleichbaren Viren bei Tieren ist unverkennbar, doch der Erreger mutierte: Insbesondere die Bauanleitung für das Spike-Protein, das eine entscheidende Rolle beim Eindringen in die anvisierte Zelle spielt, wurde eifrig umgemodelt. Dementsprechend lag auch die Infektionsrate durch direkten Kontakt zunächst noch sehr gering, doch schnellte sie innerhalb der Monate schließlich von etwa drei auf beinahe siebzig Prozent.

Die mittlere Phase begann mit dem ersten schweren Ausbruch am 31. Januar 2003 in einem Krankenhaus in Guangzhou, bei dem 130 Menschen erkrankten, wobei sich 106 davon in dem Hospital selbst infizierten. Außerdem verschleppte ein Arzt das Virus am 21. Februar in ein Hotel in Hongkong, wodurch sich der Erreger schließlich mitsamt der nun infizierten ehemaligen Hotelgäste begann, weltweit auszubreiten.

Dieser zweite Abschnitt zeigt, dass die Evolution des Virus ihm inzwischen beste Eigenschaften für seinen neuen Wirt mitgegeben hatte: Die Erbanlagen für das Spike-Protein veränderten sich zwar weiter, doch deutlich langsamer. Außerdem dominierte von nun an ein bereits zuvor beobachteter Stamm, der durch das Fehlen einer Sequenz von 29 Basenpaaren gekennzeichnet war. Jenes fehlende Erbgutstück liegt in der so genannten Ofr-8-Region des viralen Genoms, doch wissen die Forscher bisher nicht, ob überhaupt und wenn ja, welche Funktionen dieser Abschnitt erfüllt.

In der letzten Phase schließlich, die nach dem Hotelausbruch begann und unter anderem auch die Fälle des Wohnkomplexes Amoy Gardens in Hongkong umfasst, hatte sich die Zahl der im Umlauf befindlichen Stämme offensichtlich weiter reduziert, und auch die Mutationsrate hatte sich weiter verlangsamt: Das zunehmend angepasste Spike-Protein schien beste Arbeit zu leisten, und weitere kleine Veränderungen – insgesamt letztendlich beinahe 300 – hatten das Virus erfolgreich gemacht.

Die neuen Fälle, die nun Ende letzten Jahres auftraten, weisen ihrerseits wieder mehr Ähnlichkeit mit den SARS-ähnlichen Viren der Schleichkatzen auf und bestätigen damit einmal mehr die Vermutung, dass hier ein Reservoir zu erwarten ist. Entsprechende Schutzmaßnahmen scheinen daher dringend notwendig, um ein weiteres Überspringen des Erregers auf den Menschen zu verhindern.

Die Ergebnisse der chinesischen Forscher geben auch ihren Kollegen in der Impfstoffentwicklung wichtige Hinweise: Es sieht so aus, als könnte sich das Spike-Protein als Achillesferse des Virus erweisen. Gelänge es, ein Vakzin zu entwickeln, das gegen dieses Eiweiß wirkt, wäre vielleicht ein kleiner Vorsprung gewonnen.

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