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Energie: Dreckige Kohlekraftwerke und gefährliche Reaktorunfälle

Europas schmutzigstes Kraftwerk
Zehn der dreißig "schmutzigsten" Kohlekraftwerke der Europäischen Union stehen in Deutschland, berichtet die Naturschutzorganisation WWF. Sie beruft sich dabei auf eine Studie des Öko-Instituts Berlin, welche die Kraftwerke mit den höchsten Kohlendioxid-Emissionen ermittelte [1].

Niederaußem | Das Kraftwerk Niederaußem stößt nicht nur absolut gesehen am meisten Kohlendioxid der deutschen Kohlekraftwerke aus, es führt die Liste auch bei den Emissionen pro Kilowattstunde an.
Hinsichtlich der absoluten CO2-Mengen führt das polnische Braunkohlekraftwerk Belchatow, das laut Emissionsdaten von 2006 insgesamt über 30 Millionen Tonnen des Treibhausgases in die Luft pustete, gefolgt von dem RWE-Kraftwerk Niederaußem und dem Vattenfall-Kraftwerk Jänschwalde, die beide ebenfalls mit Braunkohle betrieben werden. Vergleicht man die Werte jedoch pro Kilowattstunde, liegen die beiden kleineren griechischen Braunkohlekraftwerke Agios Dimitrios und Kardia vorn. Auf den Plätzen drei bis sieben und zehn stehen deutsche Braunkohlekraftwerke: Nach den beiden bereits genannten kommen Frimmersdorf, Weisweiler, Neurath und Boxberg. Die beiden Steinkohlekraftwerke Scholven und Mannheim belegen die Plätze 20 und 28.

Agios Dimitrios | Das griechische Kohlekraftwerk Agios Dimitrios führt die Liste der ineffizientesten Kohlekraftwerke in der Europäischen Union an.
Insgesamt stießen die "dreckigen Dreißig" fast 400 Millionen Tonnen CO2 aus, das sind zehn Prozent der europäischen Kohlendioxid-Emissionen. Würden die jetzigen Anlagen durch modernere Kohlekraftwerke ersetzt, fielen die Emissionen bis 2030 um etwa ein Fünftel. Bei einem Umstieg auf Gas wäre eine Reduktion um 54 Prozent möglich, und ersetzte man die Anlagen durch erneuerbare Energien, errechneten die Wissenschaftler des Öko-Instituts eine Abnahme der Kohlendioxid-Emissionen um fast achtzig Prozent.

In einer weiteren Studie unter Öko-Institut-Beteiligung weisen Wissenschaftler darauf hin, dass seit dem Tschernobyl-Unfall von 1986 weitaus mehr Störfälle in Kernkraftwerken aufgetreten sind als öffentlich wahrgenommen [2]. Die Risikoabschätzung wird dadurch erschwert, dass es keine objektive, international anerkannte Definition für besonders schwer wiegende Ereignisse gibt: Störfälle werden seitens der nationalen Aufsichtsbehörden gemeldet, aber nicht unabhängig bewertet und variieren in der Einschätzung daher stark von Land zu Land. Zudem richtet sich die Einstufung auf der Internationalen Nuklearen Ereignisskala (INES) nach den unmittelbaren radiologischen Auswirkungen und schließt daher zahlreiche bedenkliche Zwischenfälle aus, bei denen keine Radioaktivität austrat.

Wie unterschiedlich die Einschätzung ausfällt, zeigt sich am Vergleich von Frankreich, Deutschland und den USA: So hat der französische Kernkraftwerksbetreiber EDF in den letzten Jahren 600 bis 800 "signifikante Zwischenfälle" jährlich gemeldet. Von den über 10 000 seit 1986 genannten Ereignissen wurden die meisten unterhalb oder auf Stufe 0 der INES-Skala eingestuft, 1615 Zwischenfälle auf Level 1 und 59 auf Level 2. Die deutschen Behörden kamen seit der Einführung von INES 1991 auf 2200 Störungsmeldungen, von denen 72 den INES-Level 1 oder höher erhielten, während die USA im selben Zeitraum insgesamt nur 22 Ereignisse an die INES-Datenbank weitergegeben hatten.

Anhand von 16 Beispielen verdeutlichen die Wissenschaftler, wo die Gefahren der Kernkraftnutzung liegen. Dazu zählen Materialverschleiß und regelrechte Lecks in den Kühlkreisläufen, Abweichungen von den Betriebsvorgaben oder Fehler in der Steuerung des eigentlichen Reaktors, Schäden an den Brennelementen außerhalb des Druckbehälters oder auch Feuer und Explosionen – wie im Fall Brunsbüttel, wo 2001 eine Wasserstoff-Explosion die Rohrleitungen des Sprühsystems des Siedewasserreaktors schwer beschädigte.

Totaler Stromausfall führte beispielsweise zur Beinahe-Katastrophe im Juli 2006 im schwedischen Forsmark, während 1999 heftige Stürme und Überschwemmungen die Abschaltung des Kernkraftwerkes Blayais an der Westküste Frankreichs nötig machten. Neben Naturereignissen sehen die Forscher aber auch zunehmende Gefahren durch Menschen: So war ein Eindringling in einem Auto bis ins Turbinengebäude des Kraftwerks Three Mile Island in den USA vorgedrungen und konnte erst vier Stunden später gefasst werden. Ebenfalls in den USA, in Farley, konnten die Sicherheitsteams bei gestellten Angriffsübungen nicht verhindern, dass die gegnerischen Mannschaften in zwei von vier Übungen ganze Zielsätze zerstörten und damit eine Kernschmelze ausgelöst hätten.

Die Studie war von den Grünen im Europäischen Parlament in Auftrag gegeben worden. 1988 wurde in den 27 Ländern der heutigen Europäischen Union mit 177 Reaktoren der Höchststand bei Kernkraftwerken erreicht, inzwischen sind es noch 145. (af)

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  • Quellen
[1] Dirty Thirty. Ranking of the most polluting power stations in Europe (Mai 2007), Volltext (PDF)
[2] Restrisiko. Ereignisse in Atomkraftwerken seit dem Tschernobyl-Unfall 1986 (April 2007), Zusammenfassung (PDF), Volltext (PDF)

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