Drehimpuls: Warum drehen sich Schwarze Löcher?

Einer der bemerkenswertesten Aspekte unseres Planeten – wenn man ihn von außen betrachtet – ist, dass er sich dreht. Die Drehung der Erde bestimmt unsere Tage und gibt den grundlegenden Rhythmus des Lebens auf unserer Welt vor.
Auch der Mond dreht sich. Ebenso die Planeten und alle ihre Monde. Auch die Sonne dreht sich, sowie alle Sterne. Sogar Galaxien drehen sich; die Milchstraße rotiert, während die Sterne in mehreren Millionen Jahren um ihr Zentrum kreisen.
Es scheint also offensichtlich, dass sich kosmisch gesehen alles dreht – aber diese grundlegende Tatsache wird im Fall von Schwarzen Löchern geradezu bizarr. Wie sich herausstellt, ist der Drehimpuls eine der wichtigsten Eigenschaften dieser Gravitationsmonster und hat weitreichende Auswirkungen. Er beeinflusst wie sich schwarze Löcher von Materie ernähren und Art und Weise, wie sie die Struktur von Galaxien formen können.
Der Drehimpuls ist das zentrale Konzept, das man verstehen muss, wenn man über rotierende Schwarze Löcher nachdenkt. Das ist genau wie der Impuls, den Sie aus Ihrem Alltag kennen, aber für ein sich drehendes Objekt. Am einfachsten ist es, sich das Ganze in Form von Trägheit vorzustellen – das heißt, wie schwer es ist, ein Objekt am Drehen zu hindern. Je schneller sich etwas dreht – und je massiver dieses Etwas ist – , desto größer ist seine Trägheit und desto schwieriger ist es, die Drehung zu stoppen.
Der Drehimpuls ist eine besondere Eigenschaft eines Objekts, da er erhalten bleibt. Das bedeutet, ohne eine äußere Kraft wird sich etwas, das sich um sich selbst dreht, immer weiter drehen. Wenn Sie versuchen, es zu verlangsamen oder zu beschleunigen, indem Sie es z. B. anfassen, wird ein Teil seines Drehimpulses auf Sie übertragen, so dass sich der Gesamtdrehimpuls zwischen Ihnen und dem Objekt nicht ändert.
Der Drehimpuls eines Objekts hängt von seiner Drehzahl, seiner Masse und – für unsere Diskussion am wichtigsten – von seiner Größe ab. Schlittschuhläufer sind ein klassisches Beispiel: Sie werfen ihre Arme weit aus, um eine Drehung zu beginnen, und wenn sie dann ihre Arme nahe an den Körper heranführen, steigt ihre Drehgeschwindigkeit in schwindelerregende Höhen. Auf diese Weise bleibt der Drehimpuls erhalten: Die Größe nimmt ab, die Drehgeschwindigkeit steigt.
Gleiches gilt für Sterne, die sich an der Schwelle zwischen einer Explosion nach außen aufgrund ihrer Strahldichte und einem Kollaps nach innen aufgrund ihrer inneren Schwerkraft befinden. Wenn einem massereichen Stern der Brennstoff ausgeht, wird dieses Gleichgewicht gestört, und der Kern kollabiert, was zu einer gigantischen Explosion – einer Supernova – führt, die die äußeren Schichten des Sterns wegsprengt. Während der Kern schrumpft, fängt er an sich schneller zu drehen. Und wenn seine Masse mehr als das Dreifache der Sonnenmasse beträgt, wird der Kern (der früher zehntausende von Kilometern breit war) zu einem Schwarzen Loch mit einem Durchmesser von nur etwa 10 Kilometern.
Diese dramatische Verkleinerung kann den Spin des Schwarzen Lochs um einen Faktor von mehreren Millionen gegenüber seinem ruhigeren stellaren Vorläufer erhöhen, so dass es sich Hunderte Male pro Sekunde dreht. Und da der Drehimpuls erhalten bleibt, bleibt der Spin erhalten, obwohl fast alles andere des Sterns bei der Geburt des Schwarzen Lochs vernichtet wird.
Tatsächlich kann ein Schwarzes Loch nur durch drei Faktoren definiert werden: seine Masse, seinen Drehimpuls und seine elektrische Ladung. In der Realität ist diese Ladung neutral oder kommt ihr sehr nahe, so dass in der Praxis die ersten beiden Faktoren ausschlaggebend sind. Aus diesem Grund erwarten wir, dass sich die meisten, wenn nicht sogar alle Schwarzen Löcher sehr schnell drehen.
Das ist ein merkwürdiges Konzept, denn Schwarze Löcher haben keine physische Oberfläche, die sich drehen kann. Aber da der Drehimpuls nicht zerstört werden kann, müssen Schwarze Löcher ihn behalten, wenn sie entstehen.Und das muss für Schwarze Löcher gelten, die aus Sternen entstehen, sowie für die supermassiven Schwarzen Löcher, die wir in den Zentren großer Galaxien sehen, auch wenn wir nicht ganz verstehen, wie sich diese Giganten bilden. Und bemerkenswerterweise können wir in einigen Fällen diese kolossalen kosmischen Drehungen tatsächlich messen.
Der Trick besteht darin, sich klarzumachen, dass der Drehimpuls eines Schwarzen Lochs zwar nicht einfach verschwinden, aber durchaus wachsen kann. Material, das in ein Schwarzes Loch fällt, fügt dem System seinen Drehimpuls hinzu und erhöht damit den Spin des Schwarzen Lochs. Es gibt eine theoretische Grenze dafür, wie schnell sich ein schwarzes Loch drehen kann. Das ist ein kompliziertes mathematisches Konzept, aber diese Grenze ist erreicht, wenn das schwarze Loch mit Lichtgeschwindigkeit rotiert. Es ist möglich, wenn auch schwierig, den Spin eines Schwarzen Lochs anhand der Art und Weise zu messen, wie das Licht von der Materie emittiert wird, kurz bevor sie hineinfällt. Die nahe gelegene Galaxie NGC 1365 hat beispielsweise ein zentrales supermassereiches Schwarzes Loch , bei dem gemessen wurde, dass es sich sehr nahe an dieser Grenze dreht.
Aber natürlich wird es noch merkwürdiger. Ein bizarrer Aspekt von Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie ist, dass sich die Raumzeit wie ein Gewebe verhalten kann, eine Substanz, in die Massen eingebettet sind. Einstein sagte voraus, dass massive Objekte bei ihrer Rotation die Raumzeit um sich herum ziehen, was als »Lense-Thirring-Effekt« oder allgemeiner als »Frame Dragging« bezeichnet wird. Der Effekt ist am stärksten in der Nähe des Ereignishorizonts des Schwarzen Lochs, seines »Point Of No Return«, und wird mit zunehmender Entfernung schwächer. Es ist, als würde man einen Handmixer in eine große Schüssel mit Honig halten; der Honig Nahe am Mixer dreht sich mit dem Mixer mit, aber da Honig so zähflüssig ist, bewegt er sich ein paar Zentimeter weiter entfernt kaum noch.
Dieser relativistische »Frame Dragging« Effekt wirkt sich stark auf die Materie außerhalb des Schwarzen Lochs aus. Materie in der Nähe des Schwarzen Lochs wird mit dem sie umgebenden Raum mitgerissen und beschleunigt, indem sie Energie aus dem Spin des Schwarzen Lochs »stiehlt«. Diese bewegte Materie erzeugt ein starkes Magnetfeld, das durch die Rotation angetrieben wird. Wenn die Materie das Schwarze Loch umkreist, wickeln sich die magnetischen Feldlinien auf und erzeugen Wirbel wie Tornados. Diese sind so stark, dass sie Materie vom Schwarzen Loch wegziehen und mit nahezu Lichtgeschwindigkeit wegbeschleunigen können! Astronomen nennen diese Strahlen »Jets«, und bei supermassiven Schwarzen Löchern können sie Hunderttausende von Lichtjahren lang sein.
Die Astronomen sind sich immer noch nicht sicher, wie supermassive Schwarze Löcher entstehen. Wachsen sie durch Material, das aus der sich noch bildenden Wirtsgalaxie hereinstürzt, oder bilden sich viele kleinere Schwarze Löcher im Zentrum und verschmelzen zu einem einzigen riesigen Loch? Der Spin des entstehenden Schwarzen Lochs könnte uns die Antwort verraten. Wenn es sich aus einer Scheibe mit einfallendem Material bildet, liegt der Spin nahe dem Grenzwert, aber wenn es sich aus anderen schwarzen Löchern gebildet hat, die sich in zufälligen Richtungen bewegen und verschmelzen, können sich ihre Spins aufheben und ein endgültiges schwarzes Loch mit niedrigerem Spin hinterlassen. Ganz so einfach ist es natürlich nicht, aber es könnte prinzipiell möglich sein, junge supermassereiche Schwarze Löcher mit einem Gerät wie dem James-Webb-Weltraumteleskop zu beobachten, um zu sehen, ob der Spin gemessen und eine der Entstehungsvarianten bestätigt oder verworfen werden kann.
Wie auch immer man sie betrachtet, Schwarze Löcher sind bizarr. Die Tatsache, dass es sie gibt und wir sie überhaupt verstehen können, ist für mich aufregend und tiefgründig. Wir leben in einer Galaxie, in deren Zentrum sich ein supermassereiches Schwarzes Loch befindet, und wir verdanken ihm vielleicht unsere Existenz. Das allein ist schon Grund genug, um zu versuchen, sie zu verstehen.
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