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Hurrikan Ian: Drei Faktoren machten den Sturm gefährlich

Ian ist einer der stärksten Stürme, die jemals die USA trafen. Aber es ist nicht allein der extrem starke Wind, der ihn so gefährlich macht. Ein Überblick.
Sturm Ian über Kuba, aus der ISS fotografiert.
Der Hurrikan »Ian« vor Kuba, fotografiert aus der Internationalen Raumstation.

Es war fast wie bei einem Tsunami. Statt zu schwimmen, lagen in Westflorida Schiffe im Matsch – das Meer hatte sich von der Küste zurückgezogen, abgesaugt durch den Unterdruck im Zentrum des herannahenden Hurrikans »Ian«. Als der Sturm nahe der Stadt Cape Coral auf Land traf, schob er einen gewaltigen Wasserberg gegen die Küste. Bis zu dreieinhalb Meter hoch, berichtete Floridas Gouverneur Ron DeSantis, stieg das Wasser in einigen Gebieten. Gleichzeitig lag »Ian« mit dauerhaften Windgeschwindigkeiten knapp unter 250 Kilometer pro Stunde nahe an der Grenze zur Kategorie 5 der Saffir-Simpson-Skala – einer der stärksten Stürme, der jemals die USA traf.

Dass »Ian« ein so gefährlicher Sturm ist, liegt aber nicht nur an der Gewalt seines Windes, sondern an einer Kombination von Faktoren. Normalerweise trifft nur einer oder zwei der lebensgefährlichen Effekte eine betroffene Region. So schlug der Hurrikan »Charley«, der 2004 auf nahezu der gleichen Bahn wie »Ian« über Florida zog, mit seinen starken Winden eine Schneise der Verwüstung durch den Staat. 2005 versank New Orleans in der gewaltigen Sturmflut von »Katrina«, und 2017 flutete »Harvey« die Stadt Houston mit unvorstellbaren Regenmengen. »Ian« aber schlägt an Floridas Westküste mit allen drei Effekten zu.

Starkwind, Sturmflut, Überschwemmungen

Das zeigt der Vergleich mit dem Sturm »Charley«, der auf dem Papier genauso stark war und auch fast die gleichen Orte traf. Doch dieser war klein und schnell. Sein Auge war vor dem Landfall auf nur zehn Kilometer Durchmesser geschrumpft, so dass die heftigen Winde bloß einen relativ kleinen Bereich trafen. Dadurch blieb auch die Sturmflut niedrig – etwa um anderthalb Meter stieg das Wasser. Bei »Ian« war es weit mehr als das Doppelte.

Das Auge von »Ian« dagegen maß beim Landfall über 50 Kilometer, Wind in Hurrikanstärke traf eine 120 Kilometer breite Zone des Bundesstaats. Neben der Gefahr für Gebäude in einer größeren Region hat das viel ausgedehntere Windfeld von »Ian« eine weitere Konsequenz. Der Sturm reißt die oberirdischen Stromleitungen nieder; schon jetzt sind nach Angaben der Behörden 1,9 Millionen Anschlüsse vom Netz abgeschnitten. Womöglich fällt im ganzen Bundesstaat Florida der Strom aus; für wie lange, hängt von den Zerstörungen ab.

Inzwischen hat sich der Sturm, durch das Land abgeschnitten von seiner ozeanischen Energiequelle, auf Kategorie 1 abgeschwächt. Doch das mindert nicht den dritten, verheerenden Effekt des Hurrikans: extreme, lang anhaltende Regenfälle. Während der Hurrican »Charley« einst mit einer Geschwindigkeit von rund 21 Kilometern pro Stunde die Halbinsel überquerte, bewegt sich »Ian« nur halb so schnell. Dadurch steigt vor allem die Gefahr durch ergiebigen Starkregen. Bis zu 450 Liter pro Quadratmeter fielen bereits laut Berichten in einigen Gebieten entlang des Zugwegs des Sturms. Die Behörden warnen vor Sturzfluten und großflächigen Überschwemmungen, unter anderem in den Städten Tampa und Orlando. Und nach Angaben des National Hurricane Center soll es weiter regnen.

Derzeit hat »Ian« Florida komplett überquert und zieht wieder auf den Atlantik hinaus. Gebannt ist die Gefahr allerdings noch nicht. Der Hurrikan soll laut Vorhersagen einen Schlenker nach Norden machen und in der Nacht zum Samstag auf die Küste des Bundesstaats North Carolina treffen. Derzeit geht das National Hurricane Center davon aus, dass »Ian« bis dahin nicht wieder Hurrikanstärke erreicht – doch sicher kann man sich bei den Tropenstürmen nicht sein.

Hurrikane und Klimawandel

Es gibt inzwischen gute Hinweise darauf, dass der Klimawandel einzelne Stürme wie »Ian« gefährlicher macht. Auf seinem Weg Richtung Kuba, wo er ebenfalls für Verheerungen sorgte und den Strom auf der ganzen Insel ausfallen ließ, verstärkte er sich so schnell wie noch kein Hurrikan dieser Saison. Ursache waren die hohen Wassertemperaturen in der Karibik. Mehr als 33 Grad warm war die Meeresoberfläche im Pfad des Sturms, und diese Wärme ist das, was Hurrikane antreibt. Untersuchungen zeigen, dass solche durch sehr warmes Wasser verursachten, als »rapid intensification« bezeichneten Episoden durch den Klimawandel schon jetzt immer häufiger werden.

Wärmeres Wasser bedeutet außerdem mehr Feuchtigkeit und damit stärkere potenzielle Regenfälle. Der Klimawandel, so viel kann man zuverlässig sagen, lässt also Stürme wie »Ian« schneller wachsen und insgesamt nasser werden. Außerdem gibt es Indizien dafür, dass Stürme langsamer ziehen, je wärmer der Planet wird – was die Gefahr regionaler Überschwemmungen steigen lässt. Allerdings ist es außerordentlich schwer, die Effekte des Klimawandels auf gefährliche Hurrikane insgesamt sicher zu bestimmen.

Das liegt einerseits an ihrer Seltenheit – Stürme wie »Ian« sind vergleichsweise rare Ereignisse, zu denen statistische Aussagen schwierig sind. Andererseits spielen sehr viele unterschiedliche Faktoren eine Rolle, die schwer zu bewerten und oft auch noch nicht vollständig verstanden sind. So könnten zum Beispiel Aerosole, aber ebenso Faktoren wie die Sonnenaktivität möglicherweise Stärke und Häufigkeit der Stürme beeinflussen. Eine Rolle spielen zudem atmosphärische Zyklen wie die Nordatlantische Oszillation (NAO) und die El-Niño-Southern-Oscillation (ENSO), und welche Auswirkungen der Klimawandel hier hat, ist weitgehend unklar. Nicht zuletzt beeinflussen sie die Zugbahnen der Hurrikane. Und es macht einen erheblichen Unterschied, ob ein Sturm auf Land trifft oder nicht.

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