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Drip Bars: Vitamine direkt in die Vene

Vitamininfusionen sollen gegen Kater helfen, das Immunsystem stärken oder schöner machen. Einige Promis und Influencer schwören auf Drip Bars. Doch wie wirksam sind sie wirklich, und welche Risiken bergen sie? Was Sie über den Lifestyle-Trend wissen sollten.
Zwei Personen in weißen Bademänteln sitzen in bequemen Sesseln in einem hellen Raum mit weißen Fliesenwänden. Beide erhalten eine Infusion über einen intravenösen Zugang am Arm. Zwischen ihnen steht ein kleiner Tisch mit einer Orchidee und zwei Gläsern Wasser. Sie lächeln und wirken entspannt.
In Drip Bars werden in entspannter Wellness-Atmosphäre Infusionen mit ganz unterschiedlichen Versprechen angeboten. Sie sollen mehr Energie spenden, das Immunsystem stärken, Allergien lindern, entgiften oder einen Kater vertreiben (Symbolfoto).

Der Schädel brummt und fühlt sich an, als würde er nicht zum Rest des Körpers gehören. Dazu noch diese Übelkeit – ein Kater, wie er im Buche steht. Wie praktisch wäre es, die Folgen einer durchzechten Nacht von jetzt auf gleich loszuwerden? »Hangover Drips« versprechen genau das. Dabei handelt es sich meist um eine Mischung verschiedener Vitamine, Mineralstoffe und Aminosäuren. Doch der Cocktail wird nicht getrunken, sondern gespritzt: Über einen dünnen Schlauch tropfen (englisch: to drip) die Inhaltstoffe direkt in die Blutbahn, ohne den Umweg über den Magen-Darm-Trakt zu nehmen. Der Trend kommt ursprünglich aus den USA. Inzwischen gibt es so genannte »Drip Bars« oder »Drip Spas« aber auch in allen großen deutschen Städten.

Ihr Angebot ist längst nicht nur auf Anti-Kater-Infusionen beschränkt: Viele Anbieter haben ein breites Portfolio. Manche Drips sollen dem Immunsystem auf die Sprünge helfen, andere dem Altern vorbeugen oder schöner machen. Auch wer gestresst ist, ein dünnes Nervenkostüm hat oder seine sportliche Leistung steigern möchte, wird fündig. Für optimale Ergebnisse empfehlen die Anbieter regelmäßige Anwendungen; die Kosten liegen zwischen 100 und 400 Euro pro Sitzung, je nach Zusammensetzung des Drips. Einige bieten auf Wunsch sogar Hausbesuche an.

Der Hype um die Drip Spas

Sportler, Promis und Influencer schwärmen von ihren Drip-Erfahrungen. »Der GOAT Drip hat mich sofort gepusht. Ich fühlte mich superfit und konnte meinen deutschen Fans eine großartige Show liefern«, schreibt etwa US-Sänger Justin Timberlake nach dem Besuch einer Drip Bar in Hamburg.

Aber auch außerhalb der Promiszene greift der Trend um sich. Die 46-jährige Dagmar Maier aus Baden-Württemberg war zwar in keiner Drip Bar, erhielt die Vitamininfusionen aber über ihre Heilpraktikerin. Mit dem Ergebnis ist sie zufrieden. »Mein Immunsystem war total im Eimer, ich war dauernd krank«, erzählt Maier. Nach einer Corona-Infektion sei sie im letzten Jahr einfach nicht mehr richtig auf die Beine gekommen. Anhand ihrer Blutwerte habe die Heilpraktikerin sechs Infusionen zusammengestellt, die sie im Abstand von je einer Woche bekam. »Vitamin B, C, D und K waren eigentlich immer dabei. Und ein oder zweimal zusätzlich Magnesium«, erzählt sie. Danach sei es »endlich aufwärts« gegangen. Ob sie das auch mit ihrem Hausarzt besprochen habe? Ja, aber der habe das eher belächelt, sagt Maier.

Wer darf sich Heilpraktiker nennen?

Nach dem Heilpraktikergesetz darf in Deutschland jede Person die Bezeichnung »Heilpraktiker« oder »Heilpraktikerin« führen, die eine Heilpraktikerprüfung abgelegt hat. Diese stellt fest, »ob von ihrer Tätigkeit (…) eine Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung im Allgemeinen oder die Patientinnen und Patienten im Besonderen ausgehen kann«. Zwar werden dabei grundlegende anatomische und pharmakologische Kenntnisse abgefragt; eine medizinische Ausbildung ist aber nicht vorgeschrieben.

Tatsächlich gibt es keine wissenschaftlichen Belege dafür, dass intravenös verabreichte Vitamine und Mineralstoffe das Immunsystem stärken oder die Gesundheit fördern. Zwar haben mehrere Studien den Effekt auf verschiedene Erkrankungen wie Covid-19 oder Krebs untersucht – vor allem den von Vitamin C. Doch die meisten konnten keine signifikanten Unterschiede im Vergleich zu einer Placebo-Gruppe feststellen. Dennoch ist der Einsatz von hochdosiertem, intravenösem Vitamin C in der Komplementär- und Alternativmedizin weit verbreitet. Kleinere Studien und Fallberichte deuten darauf hin, dass hohe Vitamindosen die Lebensqualität von Krebspatienten verbessern können. Große, hochwertige Studien, die dies belegen, fehlen allerdings. In den aktuellen Leitlinien zur Komplementärmedizin in der Onkologie heißt es daher: »Es kann keine Empfehlung für oder gegen die Anwendung von hochdosiertem intravenösem Vitamin C gegeben werden.«

Sind Vitamininfusionen sinnvoll?

Unstrittig ist: Vitamine und Mineralstoffe erfüllen im Körper wichtige Aufgaben, oft sogar mehrere zugleich. Vitamin C etwa schützt die Zellen vor Schäden durch freie Radikale, sorgt für ein stabiles Bindegewebe und unterstützt das Immunsystem, indem es die Reifung und Vermehrung der weißen Blutkörperchen fördert. Ein Vitamin-C-Mangel kann also durchaus anfälliger für Infekte machen. Das ist in unseren Breiten allerdings sehr selten, zumal viele Lebensmittel das Vitamin unter dem Namen Ascorbinsäure oder E300 als Antioxidationsmittel enthalten. Trotzdem greift Umfragen zufolge die Hälfte bis zwei Drittel der Menschen in Deutschland zu Nahrungsergänzungsmitteln, oft mit Vitamin C.

»Wer gesund ist und sich halbwegs gesund ernährt, hat höchstwahrscheinlich keinen Nährstoffmangel«Sara Ramminger, Ernährungswissenschaftlerin

Grundsätzlich sollte man nur dann zusätzliche Vitamine und Mineralstoffe einnehmen, wenn tatsächlich ein Mangel besteht. Dies kann ein Arzt oder eine Ärztin etwa durch einen Bluttest feststellen. Laut den Nationalen Verzehrstudien ist die deutsche Bevölkerung insgesamt recht gut mit Nähr- und Mineralstoffen versorgt. »Wer gesund ist und sich halbwegs gesund ernährt, hat höchstwahrscheinlich keinen Nährstoffmangel«, sagt Sara Ramminger, die den Studiengang Ernährungstherapie und Ernährungsberatung an der SRH University am Campus Gera leitet. Der Großteil der Bevölkerung brauche also keine Vitaminpräparate – und erst recht keine Infusionen. Nur in bestimmten Fällen, beispielsweise bei Personen mit gestörter Nährstoffaufnahme im Darm, kann das sinnvoll sein.

Wirkt Vitamin C gegen Krebs?

Die orthomolekulare Medizin ist eine alternativmedizinische Methode. Sie beruht auf der Idee, dass Krankheiten durch die richtige (von altgriechisch orthós = richtig) Konzentration von Vitaminen und Mineralstoffen verhindert oder geheilt werden können. Häufig kommen dabei hohe Dosen zum Einsatz. Einer der Mitbegründer dieser Theorie ist der US-Amerikaner und Chemie-Nobelpreisträger Linus Pauling. Er nahm selbst eine Zeit lang täglich 18 Gramm Vitamin C ein. Das bewahrte ihn allerdings nicht davor, mit 93 Jahren an Krebs zu sterben.

In der Komplementärmedizin wird bis heute ein positiver Effekt von Vitamin C bei der Krebsbehandlung diskutiert. Zellkultur- und Tierstudien hatten gezeigt, dass millimolare Konzentrationen die Bildung von giftigem Wasserstoffperoxid fördern. Dies schädigt speziell Krebszellen, da gesunde Zellen das Gift meist schnell abbauen. Doch ob sich dieser Mechanismus beim Menschen nutzen lässt, ist unklar. Es fehlen bislang große, hochwertige Studien, die eindeutig belegen, dass das dies den Krebs zurückdrängen oder besiegen kann. Deshalb werden in der S3-Leitlinie zur Komplementärmedizin in der Onkologie Vitamin-C-Infusionen nicht empfohlen.

Drip-Befürworter argumentieren oft, dass durch die Infusion die Nährstoffe schnell und ohne Umwege ins Blut gelangen. »Aber diese Umwege sind in den meisten Fällen gar nicht schlecht«, sagt Ernährungswissenschaftlerin Ramminger. Über Transportproteine im Darm und andere Mechanismen reguliert der Körper, dass er nicht zu viel von einem Stoff aufnimmt. Ist dieser ausreichend vorhanden, werden die entsprechenden Transporter abgebaut oder sind weniger aktiv. Bei einer Infusion gelangt kurzfristig fast alles ins Blut. Bestenfalls – wie etwa im Fall des wasserlöslichen Vitamin C – scheidet der Körper den Überschuss rasch wieder aus. Das Ergebnis: Man produziert teuren Urin.

Hochdosiertes Vitamin C erzeugt vor allem teuren Urin

Sind Drips also nur »hinuntergespültes« Geld? Oder schaden sie womöglich sogar? Ein Beispiel: Sowohl der »Immun Drip« als auch der »Hangover Drip« des Anbieters »Drip Drip« enthalten 7,5 Gramm Vitamin C. Das ist rund 70-mal, mehr als die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) Erwachsenen pro Tag empfiehlt. Zwar gilt Vitamin C als verhältnismäßig ungiftig. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit hält eine (orale!) Zufuhr von bis zu einem Gramm Vitamin C pro Tag für unbedenklich, die Einnahme ist vermutlich nicht mit Nebenwirkungen verbunden. Ab drei bis vier Gramm können laut DGE aber vorübergehend Magen-Darm-Beschwerden wie Durchfall auftreten. Bei Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen drohen sogar Nieren- oder Blasensteine.

Bei Vitamin B3 können schon 50 Milligramm (oral verabreicht) Hitzewallungen und Hautrötungen, einen sogenannten »Flush«, auslösen. »Das ist wie ein Minirausch«, sagt Sara Ramminger. Ob man davon plötzlich größere Mengen im Blut haben wolle, sei also fraglich. Im »Fitness Drip« des britischen Anbieters »Get A Drip« sollen angeblich 150 Milligramm enthalten sein. Hohe Dosen Vitamin B6 können hingegen neurologische Symptome wie Kribbeln oder Taubheit auslösen und – bei wiederholter Anwendung – sogar zu dauerhaften Nervenschädigungen führen. Viele Hersteller bieten einen »Vitamin-B-Komplex« an, bei dem schwer zu durchschauen ist, wie viel von welchem Vitamin überhaupt enthalten ist.

Auch eine Überdosis an Mineralstoffen kann zu gesundheitlichen Problemen führen, insbesondere bei Personen, die Vorerkrankungen haben oder Medikamente einnehmen. So erhöhen viele Mittel gegen hohen Blutdruck den Kaliumspiegel im Blut. »Wer sich dazu noch größere Mengen Kalium zuführt, kann Herzrhythmusstörungen bekommen«, sagt Jan Galle, Direktor der Klinik für Nephrologie und Dialyseverfahren am Klinikum Lüdenscheid. Zu viel Kalzium kann Herz und Nerven schädigen, ein Überschuss an Magnesium unter anderem Magen-Darm-Beschwerden hervorrufen. Ein anderes Symptom hat Dagmar Maier am eigenen Leib gespürt: »Mir wurde plötzlich ziemlich warm«, erzählt sie. Zum Glück die einzige Nebenwirkung, die sie wahrnahm.

Noch gefährlicher kann eine Überdosierung der fettlöslichen Vitamine A, D, E und K werden. Anders als wasserlösliche Vertreter kann der Körper sie nämlich nicht über den Urin ausscheiden. Stattdessen reichern sie sich etwa in Niere und Leber an, was im schlimmsten Fall zu Organversagen führt. Glücklicherweise sind diese Vitamine in kommerziell erhältlichen Drips eher selten enthalten, denn sie lassen sich nur schwer in wässrige Infusionslösungen einbinden. Bei Ärzten oder Heilpraktikern kann man sich aber durchaus solche Infusionen verabreichen lassen.

Fachleute wie Ramminger und Galle halten die angebotenen Mischungen oft für »abenteuerlich« oder »willkürlich«. Warum gibt es eigentlich keine klaren Regeln, wie viel von welchem Stoff in Drips enthalten sein darf? Dazu muss man wissen: Noch nicht einmal für Nahrungsergänzungsmittel (NEM) wie Vitamin-C-Tabletten, die rechtlich übrigens als Lebensmittel gelten, existieren gesetzlich geregelte Höchstmengen. Zwar hat das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) bereits Anfang der 2000er Jahre erstmals Empfehlungen für Vitamine und Mineralstoffe in angereicherten Lebensmitteln und NEM erarbeitet und diese seither mehrfach aktualisiert. Doch Hersteller sind nicht verpflichtet, sich daran zu halten. Seit einigen Jahren arbeitet eine Arbeitsgruppe auf EU-Ebene daran, einheitliche Obergrenzen festzulegen, die in der ganzen Europäischen Union gelten sollen. Ein kompliziertes Unterfangen, bei dem viele mitreden wollen. »Wenn es gut läuft, hoffen wir, dass es im Lauf des nächsten Jahres endlich verbindliche Höchstmengen für Vitamine und Mineralstoffe gibt«, sagt Anke Weißenborn, wissenschaftliche Mitarbeiterin am BfR.

Drip Bars nutzen rechtliche Schlupflöcher

Und was gilt für Vitamininfusionen? »Das sind keine über den Mund geschluckten Präparate und damit ganz eindeutig keine Lebensmittel, also auch keine Nahrungsergänzungsmittel«, erklärt Weißenborn und verweist ans Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Sind Drips also Arzneimittel? Diese Einstufung obliege in Deutschland nicht den Bundesbehörden, sondern den Behörden der Länder, erklärt Maik Pommer, Pressesprecher am BfArM. Grundsätzlich gilt: Wirbt ein Hersteller mit einer pharmakologischen Wirkung, braucht der Hersteller eine Zulassung nach dem Arzneimittelgesetz (AMG). Dafür ist dann wiederum das BfArM zuständig.

»Bei jeder Infusion nimmt man zunächst einmal eine Körperverletzung vor«Jan Galle, Internist

»Kann gegen Kopfschmerzen und Übelkeit helfen«, heißt es etwa beim »Hangover Drip« des Hamburger Anbieters »Drip Drip«. Ob für diese angepriesene Wirkung und das Produkt eine Zulassung vorliegt, ist unklar – es gibt keine öffentlich zugänglichen Informationen. Laut der Hamburger Behörde für Justiz und Verbraucherschutz gelten Vitamininfusionen zwar formal als (nicht verschreibungspflichtige) Arzneimittel, benötigen aber meist keine Zulassung. Denn Ärztinnen, Ärzte und Heilpraktiker dürfen »unter Nutzung des Ausnahmetatbestands nach §13 Abs.2b AMG erlaubnisbefreit für eigene Patientinnen und Patienten Arzneimittel herstellen«. Welche Stoffe und Konzentrationen darin enthalten sind, liegt ebenfalls in ihrer Verantwortung. Das Heilmittelwerbegesetz lässt auch Werbung für solche Produkte zu. »Zum aktuellen Zeitpunkt liegen uns keine Kenntnisse über Verstöße gegen die Bestimmungen vor«, erklärt eine Pressesprecherin der Hamburger Behörde.

Drip-Anbieter nutzen also eine rechtliche Grauzone. Meist treten Ärztinnen und Ärzte oder Heilpraktiker prominent auf den Websites auf. Oder es wird zumindest betont, dass »Fachkräfte« die Infusionen verabreichen. Doch wie fragwürdig das in der Praxis sein kann, zeigt eine ARD-Recherche: Eine Reporterin buchte die »Kater-Infusion« beim Berliner Anbieter »Hangover Refresh«. Der Arzt, der sie zu Hause besuchte, trug weder Kittel noch Handschuhe. Auch mit dem Desinfizieren nahm er es nicht so genau. Zudem verließ er während der Infusion zeitweilig den Raum. Das verwendete Präparat war abgelaufen.

»Für Gesunde sind die hochdosierten Infusionen teure, aber wirkungslose Wellness-Anwendungen. Für Menschen mit Vorerkrankungen können sie sogar ernsthafte Gefahren darstellen«Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin

Wellnesstrend ohne medizinischen Nutzen

»Bei jeder Infusion nimmt man zunächst einmal eine Körperverletzung vor«, sagt Mediziner Jan Galle. Man müsse sich folglich fragen, ob es einen vernünftigen Grund, also eine Indikation, dafür gebe. »Bei einem gesunden Menschen sehe ich das nicht«, sagt er. Ein Kater sei zwar unangenehm, aber: »Ich käme nie auf die Idee, mir deshalb eine Infusion legen zu lassen.« Zumal solche Behandlungen grundsätzliche Risiken bergen, etwa Infektionen an der Einstichstelle, allergische Reaktionen auf die verabreichten Substanzen oder Kreislaufprobleme durch die schnelle Flüssigkeitszufuhr. »Das Volumen per se kann Schaden anrichten, etwa wenn jemand eine Herzinsuffizienz hat«, sagt Galle. Die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin, deren Vorstand er angehört, hat deshalb bereits 2024 vor dem Trend gewarnt: Für Gesunde seien die hochdosierten Infusionen teure, aber wirkungslose Wellness-Anwendungen. Für Menschen mit Vorerkrankungen könnten sie sogar ernsthafte Gefahren darstellen.

Immerhin: In einem Beratungsgespräch würde vor Ort abgeklärt, welche Vorerkrankungen vorliegen und welche Medikamente eingenommen werden, so ein Anbieter auf Anfrage. »Wenn alles passt, kannst du gleich im Anschluss eine Infusion bekommen.« Bekäme ein 100-Kilo-Mann dann dieselbe Menge Vitamine und Mineralstoffe verabreicht wie eine zierliche Frau? »Wir verabreichen immer die gleiche Menge Wirkstoff«, schreibt der Anbieter. Man könne aber zwischen unterschiedlichen Mengen Kochsalzlösung wählen. Ergibt das Sinn? Die Mengenangaben seien ohnehin völlig willkürlich, sagt Galle. Denn: »Wenn es keine Indikation gibt, kann man auch nicht wissenschaftlich untersuchen, bei welcher Dosis man die besten Effekte hat.«

Ob man sich danach fitter fühlt oder jünger aussieht, ist schwer messbar. Und einige Stoffe, beispielsweise Nicotinamidadenindinukleotid, kurz: NAD+, können aus einer Infusion gar nicht direkt ins Zellinnere gelangen, wo sie wirken sollen. Im Kleingedruckten räumt der Anbieter »Drip Drip« übrigens selbst ein: »Wir weisen darauf hin, dass es für Infusionen keine wissenschaftlich anerkannte Wirkweise gibt.«

Lieber Brühe als Drip

Warum sollten »Hangover Drips« überhaupt gegen einen Kater helfen? Viele der Infusionen enthalten vor allem große Mengen Vitamin C. Das soll vermutlich freie Radikale neutralisieren, die beim Abbau von Alkohol entstehen. Ob Vitamin C das allein schafft, sei allerdings mehr als fraglich, sagt Ernährungswissenschaftlerin Sara Ramminger. Wissenschaftliche Evidenz gibt es keine. In sehr hohen Dosen wirkt Vitamin C übrigens nicht mehr anti-, sondern prooxidativ – es kann also mehr oxidativen Stress verursachen. Vielleicht werden deshalb manchen »Hangover Drips« weitere Antioxidanzien wie Glutathion oder Alpha-Liponsäure beigemischt.

»Je mehr man bezahlt hat, desto besser ist die Wirkung«Jan Galle, Internist

Auch die zusätzliche Flüssigkeit, die man über einen Drip aufnimmt, könnte Katerbeschwerden lindern. Um den alkoholbedingten Wasser- und Elektrolytverlust auszugleichen, reicht es allerdings auch, einfach zu Wasser trinken oder noch besser: Brühe. Beim Auskurieren eines Katers komme es vor allem darauf an, Flüssigkeit, Elektrolyte und leicht verdauliche Nahrung zu sich zu nehmen, sagt Sara Ramminger. Und man müsse dem Körper etwas Zeit geben. Vitamininfusionen seien nur vermeintlich eine schnelle Lösung.

Jan Galle sieht in dem Trend lediglich eine neue Art, den Wunsch nach Selbstoptimierung auszuleben. Ein Großteil der Wirkung, von der Nutzer und Nutzerinnen berichten, sei vermutlich auf den Placeboeffekt zurückzuführen – und den hohen Preis. »Je mehr man bezahlt hat, desto besser ist die Wirkung«, sagt der Internist. Dazu kommt das »Wellness-Ambiente« vieler Drip Spas: Man liegt auf einer bequemen Liege, jemand kümmert sich um einen, im Hintergrund spielt leise Musik. Und schon fühlt man sich besser. Nur einer leidet in jedem Fall: der Geldbeutel.

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  • Quellen
Böttger, F. et al., Journal of Experimental & Clinical Cancer Research 10.1186/s13046–021–02134-y, 2021 Dayal, S., Kolasa, K., Nutrition Today 10.1097/NT.0000000000000500, 2021 Javaid, A., Mudavath, S. L., Archives of Biochemistry and Biophysics 10.1016/j.abb.2024.110163, 2024 Heuer, T. et al., Max Rubner-Institut: Nationale Verzehrsstudie II, 2013

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