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Drogen: LSD zum Frühstück

Weltweit nehmen immer mehr Menschen winzige Mengen an LSD zu sich, bevor sie sich auf den Weg zur Arbeit machen. Kreativer, konzentrierter, glücklicher – so lautet das Versprechen des »Microdosing«. Was ist dran an der Behauptung?
LSD-Pappe in kleine Stücke zerteilt

Erster Tag. Körperliche Empfindungen: erhöhtes Bewusstsein. Stimmung: aufgeregt. Nervös. Vorfreudig. Konflikte: wer, ich? Allein der Gedanke erscheint absurd. Schlaf: konnte lange nicht einschlafen. Früh aufgewacht. Arbeit: erstaunlich produktiv, vollkommen die Zeit vergessen.« So protokolliert Ayelet Waldman in ihrem Buch »Ein richtig guter Tag« den Beginn ihres 30-tägigen Experiments. Die US-amerikanische Autorin leidet an Depressionen. In einem verzweifelten Versuch, den Nebel in ihrem Kopf zu lichten, schluckt sie einen Monat lang alle drei Tage zehn Mikrogramm LSD.

Beim so genannten Microdosing nehmen Menschen regelmäßig kleinste Mengen psychoaktiver Substanzen ein: nur etwa ein Zehntel der Dosis, von der man üblicherweise »high« wird. Neben LSD nutzen die Betroffenen auch Psilocybin, den Wirkstoff der »magic mushrooms«, seltener andere Psychedelika wie Ibogain, Meskalin oder Ayahuasca. Den Microdosern geht es nicht um den Rausch: Ganz ohne wahrnehmbare Drogenwirkung wollen sie mit Hilfe der Substanzen nicht nur ihre Stimmung aufhellen, sondern zum Beispiel ebenso Schmerzen lindern, die Kreativität beflügeln und ihre Produktivität steigern. Der Trend kommt aus Kalifornien, genauer gesagt aus dem Silicon Valley, wo arbeitswütige Start-up-Gründer LSD nutzen, um noch schneller, effizienter und innovativer zu arbeiten. Der Jungunternehmer Paul Austin hält Microdosing für die Antwort auf die Anforderungen der neuen Arbeitswelt, in der Maschinen nach und nach die Routinearbeit übernehmen und verstärkt kreatives und flexibles Denken gefragt ist. Mittlerweile haben aber auch Menschen, die wie Ayelet Waldman an Depressionen und Ängsten leiden, das Microdosing für sich entdeckt. Viele berichten, sich dank der täglichen Dosis LSD wieder zufriedener und vitaler zu fühlen.

Paul Austin bietet sogar Kurse an, in denen er anderen Tipps gibt, wie sich der Alltag mit Microdosing angeblich besser meistern lässt. Die Nachfrage ist groß. Das Forum zum Microdosing der Onlineplattform »Reddit«, auf der sich User über viele verschiedene Themen austauschen, verzeichnet inzwischen 89 000 Mitglieder. Dort werden die Beschaffung der Droge, die richtige Dosierung und das optimale Einnahmeschema diskutiert. Die Anhänger sind von der Wirkung der Kleinstmengen überzeugt. So wie Ayelet Waldman: »Zum ersten Mal seit Langem bin ich glücklich. Nicht überdreht oder ausgeflippt, sondern einfach entspannt und zufrieden mit mir und der Welt.«

Es war der Psychologe James Fadiman, der Waldman auf die Idee zu ihrem Selbstversuch brachte und dessen Anleitung sie dabei folgte. Der 80-Jährige gilt in der Szene als Microdosing-Papst. Seit 2015 betreibt er ein Feldforschungsprojekt, bei dem über 1500 Microdoser aus aller Welt ihre Erfahrungen festhalten. Eine von ihnen ist Ella. Die 28-jährige Drehbuchautorin aus Köln hat Erfahrung mit LSD. Auf ihren Trips ist sie am liebsten in der Natur. Dann kann sie minutenlang die Struktur von Baumrinde bewundern oder das Glitzern der Sonne auf dem Wasser. Sie schätzt die neuen Perspektiven, die ihr der Rausch eröffnet. Sogar eine entscheidende Filmidee, so sagt sie, kam ihr auf LSD. Schon länger interessiert sie sich für den Microdosing-Trend, nun möchte sie ihn einen Monat lang testen. Den Stoff bezieht sie wie immer über einen Bekannten, der in der Berliner Drogenszene unterwegs ist. Für eine Monatsration bezahlt sie zehn Euro. Anders als sonst schneidet sie die daumennagelgroße LSD-Pappe – ein Stück Löschpapier, auf das der flüssige Wirkstoff geträufelt wurde – in 16 kleine Stücke. Morgens beim Frühstück lässt sie sich den ersten Schnipsel auf der Zunge zergehen.

Mit LSD im »Hier und Jetzt«?

Angesichts der winzigen Menge ist sie skeptisch, hofft aber dennoch auf eine Wirkung. Eine halbe Stunde später fühlt sie sich merklich wacher und aufmerksamer als sonst. Im Writers’ Room, wo Ella – die eigentlich anders heißt – gerade gemeinsam mit anderen Autoren eine Serie entwickelt, ist sie produktiv. Die Gespräche erscheinen ihr interessanter, und auch am Abend zu Hause geht ihr das Waschen, Kochen und Putzen irgendwie leichter von der Hand. Einziges Manko: In der ersten Nacht nach der Einnahme schläft sie ungewöhnlich unruhig. Sie ist, so sagt sie, im »Hier und Jetzt«. Im Lauf der nächsten Wochen erhärtet sich der Eindruck. Sie fühlt sich beschwingt und energiegeladen, begeisterungsfähig und erfinderisch. Als reines Mittel zur Leistungssteigerung sieht Ella das Microdosing jedoch nicht: »Ich würde es gern noch einmal ausprobieren, wenn beruflich weniger zu tun ist. Sehen, was ich mit dem klaren Fokus und dem kindlichen Interesse in meiner Freizeit anfangen kann.«

Laut Fadiman erleben viele Anwender ähnliche Effekte wie Ella: erhöhte Konzentration, gesteigerte Kreativität, geschärfte Sinne und ein allgemeines Wohlgefühl. Manchen rät er allerdings vom Microdosing ab. Bei Farbenblinden etwa könne es zu Sehstörungen kommen. Das ergab seine Auswertung der Tagebücher. Doch wie glaubwürdig sind solche persönlichen Erfahrungsberichte überhaupt?

Bislang fehlt der eindeutige Nachweis, dass die winzigen Mengen an LSD eine Wirkung entfalten – ob bei Menschen mit psychischen Erkrankungen oder bei Gesunden. Könnten so viele begeisterte Anwender einem Placeboeffekt aufsitzen? Möglich ist das schon, meint Peter Gasser. Der Schweizer ist einer der wenigen Psychiater weltweit, die LSD einsetzen. Er verabreicht den Stoff allerdings nicht in Kleinstmengen, sondern in Dosierungen von bis zu 200 Mikrogramm, und nutzt ihn nicht als Medikament, sondern als Werkzeug für die Psychotherapie. Er begleitet die intensiven psychedelischen Reisen seiner Patienten und findet, so kommt man schneller zum entscheidenden Punkt. Vor allem bei existenziellen Ängsten auf Grund einer lebensbedrohlichen Erkrankung zeigt die Behandlung Erfolg, wie Studien von Gasser und anderen Forschern der Universität Basel zeigen. »LSD kann in der Psychotherapie ein wertvoller Türöffner sein. Wenn ich LSD bei Patienten einsetze, zähle ich jedoch ganz auf die psychoaktive Wirkung. Das Paradoxe am Microdosing ist ja, dass per Definition eine unterschwellige Dosis genommen wird. Daher lässt sich schwer sagen, ob es eine messbare Wirkung gibt oder allein die Erwartung wirkt.«

Bislang fehlt der eindeutige Nachweis, dass die winzigen LSD-Mengen wirken

Beim Microdosing erlebt man keinen Rausch. Die angestrebte Wirkung ist subtil. Keine bunten Lichter, keine tanzenden Fraktale – ist die Wahrnehmung verzerrt, hat man zu viel genommen. Ein Team britischer Psychologen um Steliana Yanakieva von der University of London stellte sich deshalb gleich zwei Fragen: Beeinflussen Kleinstmengen an LSD überhaupt die Hirnfunktion? Und kann der Konsument das spüren? Um das zu klären, führten sie Ende 2018 die erste randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte Studie zum Microdosing durch. Die 48 Probanden nahmen jeden dritten Tag vor dem Frühstück entweder 5, 10 oder 20 Mikrogramm LSD oder ein wirkstofffreies Placebo zu sich. Sie sollten angeben, ob sie eine veränderte Wahrnehmung oder Konzentrationsfähigkeit, ungewöhnliche Gedanken oder andere Drogeneffekte bemerkten. Das Ergebnis: Die Microdoser glaubten kaum öfter eine Wirkung zu verspüren als die Placebogruppe. Insgesamt war der Unterschied nicht statistisch signifikant.

Die Forscher stellten die Wirkung des LSDs aber zusätzlich noch mit einem Test auf die Probe: Auf dem Bildschirm erschien für wenige Sekunden ein blauer Kreis. Die Probanden sollten anschließend versuchen, genau für die gleiche Dauer eine Taste zu drücken. Der Hintergedanke des Experiments: Bei gängigen Dosierungen von LSD ist bekannt, dass sie das Zeitempfinden verändern. Dies könnte, glauben Experten, ein wichtiger Faktor für die Wirkung des Halluzinogens auf Wahrnehmung und Denken sein. Frühere Befunde belegen zudem, dass sich mit Timing-Aufgaben die neurochemische Wirkung von LSD besonders sensibel messen lässt. Deshalb könne man damit, so die Idee der Forscher, schon subtilste Veränderungen erfassen.

Nicht wahrzunehmen, aber messbar

Und tatsächlich stachen die Microdoser hierbei hervor. Normalerweise neigen Teilnehmer dazu, Zeitspannen ab einer Länge von etwa zwei Sekunden zu unterschätzen, und betätigen die Taste zu kurz. Die Gruppe, die unter dem Einfluss der Mikrodosis LSD stand, gab die Zeitspanne jedoch korrekter an. Ob es für uns von Vorteil ist, solche Intervalle akkurater einschätzen zu können, ist unklar. Allerdings zeigt der Befund: Schon Kleinstmengen der Droge beeinflussen offenbar die Hirnfunktion, selbst wenn der Effekt subjektiv nicht unbedingt wahrnehmbar ist.

Ebenfalls 2018 testete ein Team niederländischer, tschechischer und deutscher Psychologen um Luisa Prochazkova und Dominique Lippelt vom Institute for Brain and Cognition der Universität Leiden den Effekt von Mikrodosen von »magic mushrooms« auf die Schöpferkraft. Der darin enthaltene Wirkstoff Psilocybin ähnelt in seiner Wirkung LSD. Der Versuch fand während eines Microdosing-Events der Psychedelic Society of the Netherlands statt. Dort rekrutierten die Forscher 38 Freiwillige, deren Denkfähigkeit sie jeweils vor und nach der Einnahme mit drei Tests auf die Probe stellten. Die erste Aufgabe erfasste das konvergente Denken, eine Form des Problemlösens, bei der man auf die einzige richtige Lösung kommen muss: Beim »Picture Concept Task« gilt es, innerhalb von 30 Sekunden die Gemeinsamkeit zwischen verschiedenen Bildern einer Bildermatrix zu finden. Der zweite Test war einer der bekanntesten Kreativitätstests: Der »Alternate Uses Task« misst die Fähigkeit zum divergenten Denken – zum Querdenken. Probanden sollen hier in kurzer Zeit so viele Einsatzmöglichkeiten wie möglich für einen gewöhnlichen Gegenstand, etwa einen Ziegelstein, nennen. Bewertet werden Geschwindigkeit, Anzahl, Detailfülle und Originalität der Einfälle. So ließe sich ein Ziegelstein zum Beispiel nicht nur zum Errichten einer Mauer nutzen, sondern auch als Türstopper, Briefbeschwerer oder Schnitzelklopfer. Der dritte Test war der »Ravens Progressive Matrizen Test«, ein Multiple-Choice-Intelligenztest, der die Fähigkeit zum logischen Schlussfolgern erfasst. Aus der Art der vorangegangenen Muster soll ein Proband dabei ableiten, welches von sechs zur Wahl stehenden Mustern in das letzte leere Feld gehört.

Microdosing könnte gezielt das kreative Problemlösen verbessern

Nach dem ersten Versuchsdurchlauf nahmen die Teilnehmer eine geringe Menge getrockneter psychoaktiver Pilze ein, die sich in den Niederlanden frei erwerben lassen. Je nach Körpergewicht waren es 220, 330 oder 440 Milligramm. Eineinhalb Stunden später, als die Wirkung ihren Höhepunkt erreicht haben sollte, wiederholten die Probanden die Tests – in abgewandelter Form, um Lerneffekte zu vermeiden. Das Ergebnis: In der zweiten Runde stellten sich die Teilnehmer in zwei der drei Tests geschickter an: Sie zeigten sowohl eine bessere Leistung im konvergenten als auch im divergenten Denken. Auf das Abschneiden im Intelligenztest schien die Droge hingegen keinen Einfluss zu haben.

Die Autoren folgern daraus, dass Microdosing tatsächlich gezielt das kreative Problemlösen verbessern könnte. Das liege womöglich daran, dass Halluzinogene wie LSD und Psilocybin die kognitive Flexibilität erhöhen, beim Microdosing aber gleichzeitig die kognitive Kontrolle aufrechterhalten bliebe. Beide Zutaten seien wichtig für sinnvolle kreative Geistesblitze. Allerdings fehlte in der Studie eine Kontrollgruppe, die die Testbatterie auch beim zweiten Mal »nüchtern« durchlief, um andere Ursachen für die Verbesserung auszuschließen. Außerdem nahmen zu wenige Probanden an dem Experiment teil, um aus der Untersuchung wirklich stichhaltige Aussagen abzuleiten.

Dass Psilocybin und LSD grundsätzlich die Kreativität steigern können, wäre neurobiologisch jedoch zumindest plausibel. Die Halluzinogene binden an einen bestimmten Serotoninrezeptor namens 5-HT2A. Diese Moleküle sind im Gehirn weit verbreitet, kommen aber gehäuft in Regionen vor, die unter anderem wichtig für Lern- und Gedächtnisprozesse sind. Auf Grund von Tierstudien bringen Forscher diesen Rezeptortyp auch mit assoziativen Lernvorgängen in Verbindung. Dazu passt ein Befund von Forschern um Neiloufar Family von der Technischen Universität Kaiserslautern: LSD scheint so genannte semantische Netzwerke im Gehirn zu aktivieren, also die Verbindungen zwischen verwandten Konzepten in unserem Gedächtnis zu stärken. Dadurch fällt es uns etwa leichter, zu einem Thema eine Vielzahl an Beispielen zu finden, meint Family. Zudem gibt es Hinweise darauf, dass Halluzinogene in höheren Dosen Menschen offener für neue Erfahrungen machen und starren Verhaltensmustern entgegenwirken, wie sie beispielsweise bei Zwangsstörungen und Depressionen vorkommen.

Hofmanns Elixir

Lysergsäurediethylamid, kurz LSD, ist eines der stärksten bekannten Halluzinogene. Der Schweizer Chemiker Albert Hofmann (1906–2008) stellte die Substanz 1938 erstmals her. Auf der Suche nach einem neuen Blutdruckmedikament synthetisierte er verschiedene Substanzen aus dem Getreidepilz Mutterkorn, darunter LSD. In Tierversuchen zeigten sich zunächst keine viel versprechenden Eigenschaften. 1943 kam Hofmann unachtsam in seinem Labor mit der Substanz in Kontakt und beobachtete bei sich selbst die halluzinogenen Eigenschaften von LSD. Wenige Tage später wagte er einen Selbstversuch und verabreichte sich die kleinste Menge, von der nach seinen Berechnungen noch eine Wirkung zu erwarten war: 250 Mikrogramm – nach heutigen Maßstäben eine ordentliche Dosis. Im Anschluss an den ersten LSD-Trip der Geschichte erlebte er deshalb daraufhin direkt den ersten Horrortrip am eigenen Leib.

Bei einem LSD-Rausch verändern sich Wahrnehmung und Denken: Farben wirken strahlender, Musik erscheint intensiver. Zugleich denkt man weniger logisch-rational, sondern stärker assoziativ und kreativ. Das Zeitgefühl kann aus dem Takt geraten, und die Grenzen zwischen Ich und Umwelt verschwimmen, bis hin zu mystischen Erfahrungen der Verschmelzung. Dieser psychedelische Zustand geht mit messbaren Veränderungen der Hirnaktivität einher. Auf Grund seiner dem Serotonin ähnelnden chemischen Struktur dockt LSD an Serotoninrezeptoren an, die im Gehirn weit verbreitet sind. Hirnregionen, die normalerweise kaum miteinander kommunizieren, synchronisieren sich dadurch. Zudem scheint LSD die Filterfunktion des Thalamus zu schwächen, einer Art Schaltstelle im Zwischenhirn, die bestimmt, welche Reize ins Bewusstsein gelangen. Der Rausch kann mitunter aber auch Ängste hervorrufen und in einen Horrortrip münden.

Seit seiner Entdeckung vor gut 80 Jahren wurde LSD abwechselnd verehrt und verteufelt. Der Pharmakonzern Sandoz, Hofmanns Auftraggeber, brachte es 1949 unter dem Namen Delysid auf den Markt. Bis 1966 war LSD ein legales Medikament, das Ärzte gegen Angst – und Zwangsstörungen, Depressionen und Alkoholsucht einsetzten. Die Wissenschaft war höchst interessiert. Damals glaubte man unter anderem, mit LSD einen Einblick in das Seelenleben von Psychotikern bekommen zu können. In den USA wurde sogar die CIA auf die Substanz aufmerksam und testete ihr Potenzial als Wahrheitsserum.

Zeitgleich entdeckte die Hippiebewegung die bewusstseinserweiternde Wirkung und sah LSD als Waffe im Kampf gegen das Establishment. Damit war aber bald Schluss: 1966 trat in den USA ein Verbot in Kraft, ein Jahr später auch in der Bundesrepublik. Anschließend wurde es ruhig um Hofmanns Zaubermittel. Die Forschung kam zum Erliegen.

Aktuell wächst das Interesse am therapeutischen Potenzial wieder. In der Schweiz und den USA ermöglichen Sonderregelungen Studien mit der illegalen Substanz. Erste Ergebnisse deuten auf einen Nutzen bei Ängsten, Depressionen und Clusterkopfschmerz hin.

Der Chemiker Albert Hofmann entdeckte 1938 LSD.

Microdosing tut nicht jedem gut

Insgesamt ist die Studienlage derzeit noch bei Weitem zu dünn, um Kosten und Nutzen des Microdosing bewerten zu können. Vince Polito von der Macquarie University in Sydney und seine Kollegen begleiteten 98 Microdoser sechs Wochen lang. Regelmäßige Befragungen deuten auf positive Effekte an den Tagen der Einnahme hin, nicht aber an den zwei bis drei Tagen dazwischen. Die Probanden berichteten dabei unter anderem davon, kreativer und konzentrierter zu sein. Am Ende der sechs Wochen waren sie außerdem weniger niedergeschlagen und gestresst als zu Beginn des Versuchs. Doch nicht allen Teilnehmern tat das Microdosing gut: Einige brachen mittendrin ab, weil ihnen die Wirkung nicht gefiel. Sie hatten den Eindruck, auch negative Gefühle verstärkt wahrzunehmen.

Generell ist über die Risiken des Microdosing kaum etwas bekannt. Vor allem, was LSD und verwandte Substanzen langfristig mit Körper und Psyche machen, ist unklar. Im Vergleich zu anderen illegalen Rauschmitteln gilt LSD zwar als weniger schädlich. So macht die Substanz nicht abhängig, und bislang ist kein Fall einer tödlichen Überdosierung bekannt. In seltenen Fällen können jedoch andauernde Wahnvorstellungen auftreten. Höhere LSD-Dosierungen lösen zudem bei Menschen mit einer angeborenen Anfälligkeit manchmal eine Psychose aus. Ob dies auch für die beim Microdosing eingesetzten Mengen gilt, haben Forscher noch nicht untersucht.

Peter Gasser schätzt das Psychoserisiko bei so niedrigen Dosierungen als gering ein. Johannes Ramaekers von der Universität Maastricht hält Microdosing ebenfalls nicht für gefährlich. Der Psychopharmakologe erforscht die Wirkung von Cannabis, Kokain und anderen psychoaktiven Substanzen. Mit seinem Team führte er in Zusammenarbeit mit der Beckley Foundation eine Studie zu winzigen LSD-Dosen durch, die Ende 2020 publiziert wurde. Die Auswertung der Daten bestätigt eine konzentrationsfördernde und stimmungsaufhellende Wirkung. »Wir reden hier allerdings von Effekten der Größenordnung einer Tasse Kaffee – mit dem Unterschied, dass LSD über einen längeren Zeitraum von etwa sechs bis zehn Stunden aktiv ist.« Dass die geringe Wirkung, die sie bei Gesunden beobachteten, etwas gegen Depressionen ausrichten kann, glaubt er eher nicht. »Wir wissen es jedoch nicht, da es bisher keine Studien zum Microdosing an Erkrankten gibt. Denkbar wäre auch, dass depressive Menschen stärker profitieren als gesunde, weil bei ihnen schlicht mehr Luft nach oben ist.«

Die Niederlande sind mit ihrer liberalen Drogenpolitik derzeit ein Hotspot der LSD-Forschung. Im Gegensatz dazu müssen deutsche Wissenschaftler einige bürokratische Hürden überwinden, um mit der Substanz arbeiten zu können. Strenge Auflagen treiben die Kosten für solche Studien dermaßen in die Höhe, dass hier zu Lande kaum noch an Halluzinogenen geforscht wird. Weltweit nimmt die Anzahl an Studien inzwischen aber fast so schnell zu wie die Zahl der Microdosing-Anwender. Die kommenden Jahre werden zeigen, ob die vollmundigen Versprechungen der Befürworter der Wahrheit entsprechen. Bis dahin bleiben Erfolgsgeschichten wie die von Ayelet Waldman Einzelfallberichte, die sich nicht einfach verallgemeinern lassen.

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  • Quellen

Fadiman, J.: The Psychedelic Explorer's Guide: Safe, Therapeutic, and Sacred Journeys. Park Street, 2011

Gasser, P. et al.: Safety and efficacy of lysergic acid diethylamide-assisted psychotherapy for anxiety associated with life-threatening diseases. The Journal of nervous and mental disease, 202, 2014

MacLean, K. A., Johnson, M. W., & Griffiths, R. R. (2011). Mystical experiences occasioned by the hallucinogen psilocybin lead to increases in the personality domain of openness. Journal of Psychopharmacology, 2, 2011

Family, N. et al.: Semantic activation in LSD: evidence from picture naming. Language, Cognition and Neuroscience, 31, 2016

Kuypers, K. P. et al.: Microdosing psychedelics: More questions than answers? An overview and suggestions for future research. Journal of Psychopharmacology, 33, 2019

Polito, V., & Stevenson, R. J.: A systematic study of microdosing psychedelics. PloS one, 14, 2019

Prochazkova, L. et al.: Exploring the effect of microdosing psychedelics on creativity in an open-label natural setting. Psychopharmacology, 235, 2018

Yanakieva, S. et al.: The effects of microdose LSD on time perception: a randomised, double-blind, placebo-controlled trial. Psychopharmacology, 236, 2019

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