Direkt zum Inhalt

Künstliche Intelligenz: Drohnen für den Naturschutz

Mit Kameras bestückte Drohnen können den Zustand einer Landschaft aus der Luft viel schneller und genauer erfassen als Menschen auf der Erde. In einigen Jahren werden die Ergebnisse des Natec-Projekts den Naturschutz in großen Gebieten revolutionieren.
Eine Drohne im Flug vor Landschaft

Auf einem Sandweg in der Kyritz-Ruppiner Heide steht eine etwa 20 mal 20 Zentimeter große weiße Drohne zum Start bereit. Die vier Rotoren drehen sich, und mit einem lauten Sirren steigt sie in die Luft. Ein paar Meter weiter, im Schatten einer überdachten Sitzgruppe, steht Anne Schindhelm mit der Fernsteuerung. Schindhelm arbeitet als Wissenschaftlerin am Deutschen Geoforschungszentrum in Potsdam. Auf dem Display der Fernbedienung sieht sie die Heidelandschaft, über die die Drohne gerade fliegt. Die Bilder werden von einer kleinen Kamera übertragen, die unter der Drohne hängt.

Die Kamera kann aber noch viel mehr. Wenn alles gut läuft, wird sie in wenigen Jahren das Naturschutz-Management in der Kyritz-Ruppiner Heide und anderen großen, offenen Landschaften revolutionieren und bei der Beantwortung einer drängenden Frage helfen: Wie können die wertvollen Offenlandschaften, die vor Jahren als streng geschützte FFH(Flora-Fauna-Habitat)-Gebiete an die EU gemeldet worden sind, dauerhaft vor dem Zuwachsen geschützt werden?

»Mit der Drohne können wir die Zusammensetzung der unterschiedlichen Pflanzengemeinschaften und ihren Zustand in einem Gebiet sehr genau bestimmen«, sagt Schindhelm. Der Flugkörper ist eine handelsübliche Drohne, nicht ganz günstig, aber noch so erschwinglich, dass sie auch von Privatleuten gerne geflogen wird. Die daran befestigte Kamera hat eine hohe Auflösung und kann die Farben Blau, Grün und Rot unterscheiden. Das reicht für eine genaue Erfassung der Landschaft. Jede Pflanze hat ihr eigenes Farbspektrum. Ein Mischwald mit Kiefern und Birken liefert andere Signale als ein reiner Birkenbestand. Eine in die Jahre gekommene Heidepflanze mit vielen abgestorbenen Ästen sieht anders aus als eine mittelalte oder junge Pflanze.

Dem Menschen fehlt die Vogelperspektive

Die Kamera ordnet die verschiedenen Farbsignale den entsprechenden Pflanzen zielsicher zu. Durch die Fernerkundung und die mitgelieferten Höhenangaben entsteht so ein sehr genaues Bild von der Vegetation und ihrem Zustand. Im Arbeitsmodus steigt die Drohne bis zu einer Höhe von 100 Metern auf und kann bei idealen Bedingungen in etwa 30 Minuten eine 15 Hektar große Fläche abfliegen.

Damit schafft die Drohne etwas, was Menschen, die die Landschaft zu Fuß kartieren, nicht einmal im Ansatz möglich ist. Zum einen, weil ein Fußgänger viel langsamer als die Drohne ist. Vor allem aber, weil ihm die Vogelperspektive fehlt. Er muss von seinem Standpunkt aus Flächen einschätzen, die dutzende oder noch mehr Meter entfernt sind. Das Ergebnis muss also deutlich ungenauer ausfallen als die exakten Daten, die die Drohne sammelt. In der Kyritz-Ruppiner Heide kommt ein weiteres Problem dazu. »Viele Flächen sind so stark mit Blindgängern und Munitionsresten belastet, dass sie nicht betreten werden können«, sagt Jörg Müller von der Heinz Sielmann Stiftung, die rund 4000 Hektar in dem Gebiet betreut und das Drohnenprojekt mitinitiiert hat.

»Viele Flächen sind so stark mit Blindgängern und Munitionsresten belastet, dass sie nicht betreten werden können«Jörg Müller

Müller ist für die Bodenaufklärung zuständig. Er meldet von einer konkreten Fläche eine bestimmte Pflanzenart oder Zusammensetzung von Arten. Die Drohne speichert von derselben Fläche das Farbspektrum. Auf anderen Flächen im Untersuchungsgebiet, die das gleiche Farbspektrum haben – so die Hypothese –, wachsen vermutlich auch die gleichen Pflanzen. Nach und nach entsteht so eine detaillierte Karte mit der genauen Verbreitung der unterschiedlichen Arten.

Wie viele andere ehemalige Truppenübungsplätze in Ostdeutschland wurde auch ein Teil der Kyritz-Ruppiner Heide vor einigen Jahren von Land Brandenburg als FFH-Gebiet an die EU gemeldet. Mit der Meldung ging die Verpflichtung einher, diese Flächen in einem guten Entwicklungszustand zu erhalten. Das Problem: So richtig hat sich bei der Meldung offenbar niemand darüber Gedanken gemacht, wie die Fläche dauerhaft offen gehalten werden kann. Früher sorgten Bomben dafür: Von 1952 bis 1991 übten hier sowjetische Piloten das zielgenaue Abwerfen von Bomben. Dafür wurde in der Heide sogar ein westdeutscher Militärflughafen nachgebaut, auf dem die Bomben dann detonieren sollten. Nach der Wende wollte die Bundeswehr den Platz weiter nutzen. Daraus wurde nichts, weil sich die Region mit großen Protestmärschen und einer Reihe von Klagen erfolgreich gegen die Pläne zur Wehr setzte. Seit 2009 ist das so genannte Bombodrom endgültig Geschichte.

»Große Heidegebiete entstehen fast immer durch menschliche Nutzung. Bleibt die Nutzung aus, setzt die natürliche Sukzession ein und der Wald erobert die Fläche zurück«, erklärt Müller. Auf anderen Flächen können schwere Maschinen eingesetzt werden, die die unerwünschten Bäume samt Wurzeln herausziehen. Wegen der starken Munitionsbelastung ist in der Kyritz-Ruppiner Heide daran aber nicht zu denken. Versuchsweise werden dort kleinere Flächen kontrolliert abgebrannt. Wenn doch mal große Maschinen eingesetzt werden sollen, muss jeder Quadratmeter zuvor aufwändig sondiert und Munitionsreste müssen geräumt werden.

Das Offenland wuchert zu

Der Wald breitet sich trotzdem weiter aus: »Rund 2000 Hektar der von uns betreuten Fläche sind als FFH-Lebensraumtyp ›trockene europäische Heide‹ an Brüssel gemeldet worden. Bei einem Drittel der Fläche kann man schon heute nicht mehr wirklich von offener Landschaft sprechen. Ein weiteres Drittel droht in den kommenden zehn Jahren verloren zu gehen«, erläutert Müller. Auf anderen ehemaligen Truppenübungsplätzen oder Bergbaufolgelandschaften, die als FFH-Gebiete gemeldet wurden, sieht es ähnlich aus. Wuchert das gemeldete Offenland nach und nach zu, kann von einem guten Erhaltungszustand nicht mehr die Rede sein. In letzter Konsequenz drohen dann millionenschwere Strafzahlungen und die Verpflichtung, eine ordnungsgemäße Pflege endlich zu gewährleisten.

Die Drohnenkamera kann die Pflege der Fläche zwar nicht selbst erledigen. Aber mit ihr gibt es erstmals ein Instrument, das das Ausmaß des Problems genau dokumentieren und auch später nach der Pflege den Zustand der Landschaft kontinuierlich festhalten kann. Mit Hilfe der Drohne lässt sich ebenso sagen, wo der Handlungsbedarf besonders groß ist. Sie erkennt zielsicher alle Bäume in ihren unterschiedlichen Entwicklungsstadien, die sich in der Heide breitmachen, und auch den Zustand der Heidepflanzen. »Wir können zum Beispiel sagen, ob bestimmte Heideflächen überaltert sind oder nicht«, sagt Müller. Die Heidepflanzen, die in die Jahre gekommen sind und schon viel mehr trockene Äste als Grün zeigen, haben ein anderes Farbspektrum als junge, vitale Pflanzen. Sogar die Trockenschäden, die der heiße Sommer 2018 verursacht hat, lassen sich mit der Methode besser einschätzen.

Ferngesteuerte Mähmaschine soll Bäume ausreißen

Auch für die Pflege selbst versuchen die Forscher des Natec-Projekts eine praktikable Lösung zu finden: »Wir sind dabei, eine ferngesteuerte Mähmaschine zu entwickeln, die bei der Pflege der Heideflächen helfen kann«, berichtet Müller. Die Maschine soll in der Lage sein, Bäume mit einem Stammdurchmesser von bis zu fünf Zentimetern zu erkennen und aus der Erde zu reißen. Außerdem soll sie die teilweise gewaltige Moosschicht abtragen können, die eine Verjüngung der Besenheide verhindert. Bei der Erledigung der Aufgaben soll die Maschine auf die Daten der Drohne zurückgreifen können.

Bis die Mähmaschine fertig ist, werden noch etwa vier Jahre ins Land gehen. Die Kameradrohne soll schon in ein bis zwei Jahren auch außerhalb des Testbetriebs einsatzbereit sein. Die Zeit drängt. Denn trotz aller bisher ergriffenen Gegenmaßnahmen breitet sich der Wald weiter aus.

»Die offene Heidelandschaft ist ein wichtiges Refugium für viele Arten geworden, für die in der intensiv genutzten Agrarlandschaft kein Platz mehr ist«Jörg Müller

»Die offene Heidelandschaft ist ein wichtiges Refugium für viele Arten geworden, für die in der intensiv genutzten Agrarlandschaft kein Platz mehr ist«, so Müller. Heidelerchen fühlen sich dort ebenso wohl wie Feldhasen, Wiedehopfe, Pirole, Neuntöter und Raubwürger. Bei den Insekten sind es unter anderem die Feldgrille sowie verschiedene Heuschrecken- und Schmetterlingsarten. Dazu kommen eine Reihe ausgeprägter Spezialisten der Heide und anderer Offenlandschaften, zum Beispiel der Ziegenmelker, die Rote Röhrenspinne oder der Heideblattkäfer.

Bislang konnten sich die Verantwortlichen damit herausreden, dass es keine allzu genauen Daten gab, die den schlechten Zustand der Offenlandschaften belegen. Diese Rechtfertigung fällt mit der voll funktionsfähigen Kameradrohne nun weg. Der Schutz der Offenlandschaften und ihrer besonderen Arten ist zwar aufwändig, aber möglich.

Tiermonitoring und Minensuche

Mit ihrer hohen Auflösung und der Farberkennung von Blau, Rot und Grün kann die Natec-Drohne in Zukunft eine Reihe weiterer Aufgaben erledigen, die über die Erfassung der Artenzusammensetzung der Heidelandschaft hinausgehen.

Tiermonitoring: Gerade arbeiten die Forscher an einem System, mit dem mit Hilfe der Drohne auch die Verbreitung von Tierarten in der Fläche ermittelt und dargestellt werden kann. Mit der Drohnenkamera kann die Blütenzahl jeder einzelnen Heidepflanze geschätzt werden. Die Zahl der Blüten bestimmt wiederum die Eignung für Insekten wie den Heide-Rüsselkäfer. Wenn man weiß, wie viele Rüsselkäfer an einer Pflanze zu finden sind, kann der Bestand auf eine größere Fläche hochgerechnet werden.

Bestimmte Spinnenarten bevorzugen verholzte Heidebüsche, und auch Feldgrillen und andere Insekten haben ganz bestimmte Ansprüche an ihren Lebensraum. Wenn die unterschiedlichen Lebensräume einem eindeutigen Farbsignal der Drohnenkamera zugeordnet werden können, würde also auch ein genaues Bild des Vorkommens der Tierarten in der Heidelandschaft entstehen.

Bei mobileren Arten wie Vögeln und Säugetieren, die ein größeres Territorium beanspruchen, ist es schwieriger, einen direkten Zusammenhang herzustellen. Aber auch dann könnte die Drohne ein geeignetes Naturschutzinstrument sein: Wenn zum Beispiel das Revier eines Wiedehopfes in der Heidelandschaft kartiert wird, kann man sich auf den Drohnenbildern anschauen, welche Pflanzenarten und Landschaftsstrukturen dort vorkommen. Andere Bereiche der Heidelandschaft, die eine ähnliche Ausstattung haben – so die Hypothese –, könnten dann ebenfalls geeignete Reviere für den Wiedehopf sein.

Die Suche nach Minen: Der Flugkörper kann überall dort eingesetzt werden, wo die Bedingungen ähnlich sind wie in der Kyritz-Ruppiner Heide – wo es also eine offene Landschaft mit wenigen dominierenden Pflanzenarten gibt. Eine Drohne mit einer etwas feineren Sensorik ist auch in der Lage, Plastik oder größere Metallstücke in der Landschaft zu erkennen. In Krisengebieten im Nahen Osten könnte die Drohne so zum Beispiel dabei helfen, Minen aufzuspüren.

WEITERLESEN MIT »SPEKTRUM +«

Im Abo erhalten Sie exklusiven Zugang zu allen Premiumartikeln von »spektrum.de« sowie »Spektrum - Die Woche« als PDF- und App-Ausgabe. Testen Sie 30 Tage uneingeschränkten Zugang zu »Spektrum+« gratis:

Jetzt testen

(Sie müssen Javascript erlauben, um nach der Anmeldung auf diesen Artikel zugreifen zu können)

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.