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News: Durch Geiselnahme in den Körper

Das HI-Virus gehört sicherlich zu den am besten untersuchten Krankheitserregern. Doch obwohl sehr genau bekannt ist, wie es in Zellen eindringt und deren molekulare Maschinerie zur eigenen Vermehrung nutzt, wissen Wissenschaftler bislang wenig darüber, wie das Virus überhaupt in den menschlichen Körper gelangt. Anscheinend nimmt es in der Schleimhaut Immunzellen als Geiseln, und wandert unter deren Schutz bis in das Lymphsystem. Die neue Kenntnis, an welche Strukturen seiner unfreiwilligen Begleiter sich HIV klammert, ermöglicht es Forschern vielleicht, den Erreger abzuwehren, bevor er die ersten Zellen infiziert.
Die eigentliche Aufgabe der dendritischen Zellen besteht darin, auf Häuten und Schleimhäuten nach Krankheitserregern und unerwünschten Eindringlingen zu spähen. Solche Fremdlinge werden aufgenommen, zerlegt, und schließlich präsentieren die dendritischen Zellen Bruchstücke seiner Proteine auf ihrer eigenen Oberfläche – sozusagen als Steckbrief, damit auch andere Zellen des Immunsystems wissen, wonach sie suchen müssen.

Wie Wissenschaftler um Yvette van Kooyk vom University Medical Center St. Radboud in den Niederlanden und Douglas Kwon vom Howard Hughes Medical Institute in New York festgestellt haben, nutzt das HI-Virus ausgerechnet diese Wachposten, um von den Schleimhäuten der Gebärmutter oder des Enddarms in die Lymphknoten zu gelangen (Cell vom 3. März 2000). Mit in vitro-Experimenten fanden sie heraus, dass HIV an einen als DC-SIGN bezeichneten Rezeptor an der Oberfläche von dendritischen Zellen bindet. Dieser Kontakt stabilisiert das Virus: Während Erreger ohne die Bindung ihre Infektiösität in weniger als einem Tag verloren, konnten durch DC-SIGN geschützte Viren auch noch nach vier Tagen Zellen infizieren. Außerdem findet HIV auf diese Weise leichter sein eigentliches Ziel, da sich die dendritischen Zellen im Normalfall gerade über den DC-SIGN-Rezeptor an die T-Zellen des Immunsystems heften.

Die Wahl der Geisel ermöglicht Wissenschaftlern jedoch eventuell auch neue Strategien im Kampf gegen den AIDS-Erreger. DC-SIGN kommt nur auf dendritischen Zellen vor, und das Virus stellt den Kontakt über ein sehr konservatives eigenes Protein namens gp120 her. Also überlegen die Forscher, den Rezeptor zu blockieren und so HIV seines Schutzmantels zu berauben. Allerdings muss zunächst einmal überprüft werden, ob die Ergebnisse aus dem Reagenzglas sich auch auf den ganzen Organismus übertragen lassen. Dann aber, so meinen die Wissenschaftler, haben sie vielleicht ein wichtiges Ziel gefunden, um eine Infektion von vornherein zu verhindern.

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