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Der perfekte Schnitt: Jahrzehntealtes Problem der Geometrie endlich gelöst

Seit Jahrzehnten suchen Mathematiker nach dem idealen Schnitt durch hochdimensionale Körper. Die unerwartete Lösung kam nun aus der Physik.
Mehrere Hälften von Avocados mit Kernen sind gleichmäßig auf einem rosa Hintergrund angeordnet. Die Avocados sind in diagonalen Reihen platziert, und jede Hälfte wirft einen Schatten. Die Komposition erzeugt ein modernes und frisches Muster.
Welche ist die größtmögliche Fläche, die eine aufgeschnittene Avocado haben kann? Diese Frage trieb Mathematiker jahrzehntelang um.

1986 stellte der belgische Mathematiker Jean Bourgain eine scheinbar einfache Frage, die Forschende jahrzehntelang umtrieb. Das Problem hat mit dem Zerschneiden geometrischer Figuren zu tun. Angenommen, man möchte eine konvexe Form – also eine ohne Einbuchtungen und Dellen – mit Hilfe eines unendlich dünnen Messers in zwei Stücke teilen. Bourgain fragte sich, wie groß die Schnittflächen dann sind. Wird man immer in der Lage sein, einen Querschnitt zu erzeugen, der größer als ein bestimmter Wert ist? Oder ist es so, dass der Schnitt für manche Körper notwendigerweise verschwindend klein ist? Eine Arbeit der beiden Mathematiker Bo'az Klartag vom Weizmann Institute of Science in Rehovot und Joseph Lehec von der Université Poitiers, die auf der Preprint-Seite ArXiv veröffentlicht wurde, hat nun endlich eine endgültige Antwort gefunden: Ja, es ist möglich.

Die Bourgain-Vermutung widmet sich der Frage, ob jede konvexe Form in n Dimensionen so aufgeteilt werden kann, dass die Fläche des Querschnitts einen bestimmten endlichen Wert übersteigt. Übersetzt auf einen Körper mit drei Dimensionen lautet die Frage: Kann man eine Avocado einer bestimmten Größe – unabhängig von ihrer genauen Form – stets so in zwei Hälften teilen, dass die entstehenden Flächen mindestens eine Größe haben, die nicht verschwindend klein ist. Für dieses Beispiel erscheint die Antwort vollkommen klar: Natürlich ist das möglich.

Bourgain, ein renommierter Mathematiker, der viele wichtige Auszeichnungen bekam, soll diesem Problem mehr Zeit gewidmet haben als jedem anderen. Obwohl es in zwei oder drei Dimensionen fast schon trivial wirkt, wird es in höheren Dimensionen schnell kompliziert. Es könnte durchaus sein, dass eine Teilung hochdimensionaler Figuren nur eine verschwindend kleine Querschnittsfläche erzeugt. Eine allgemeine Lösung schien außer Reichweite. Das Problem mit anwachsenden Raumdimensionen ist in der Fachwelt nur zu gut bekannt: Es gibt etliche offene Fragestellungen, die im Hochdimensionalen unlösbar erscheinen. »Wenn man an diesen so genannten Fluch der Dimensionalität glaubt, könnte man einfach aufgeben«, sagt Klartag. Glücklicherweise, so fügt er hinzu, gehören er und Lehec zu einer anderen Denkschule, die sich nicht so schnell verunsichern lassen.

Der Durchbruch von Klartag und Lehec baut auf den jüngsten Fortschritten des Mathematikers Qingyang Guan von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften auf, der sich dem Problem mit einer Technik näherte, die aus der Physik inspiriert ist. Guan zeigte, dass die Modellierung der Wärmestrahlung eines Objekts mit einer konvexen Form verborgene geometrische Strukturen enthüllen kann. Die Forscher untersuchten daher die Eigenschaften einer konvexen Form, die mit warmem Gas gefüllt wird, und beobachteten die Wärmeabgabe gemäß den physikalischen Gesetzmäßigkeiten. Guans Schlüsselerkenntnis – ein präziser Grenzwert für die Geschwindigkeit, mit der sich die Wärmeabgabe mit der Zeit ändert – erwies sich als genau das, was Klartag und Lehec brauchten. »Guan hat alle anderen wichtigen Fakten, die für das Problem bekannt sind, miteinander verknüpft«, sagt die Mathematikerin Beatrice-Helen Vritsiou von der University of Alberta.

Mit diesem Ergebnis konnten Klartag und Lehec das Problem in nur wenigen Tagen lösen. Laut Klartag war das ein Glücksfall. Sie wussten nämlich, dass Guans Ergebnis genau das war, was sie brauchten, um unterschiedliche Lösungsansätze zu verbinden. Mit diesem letzten Puzzleteil ist die Geometrie konvexer Körper in hohen Dimensionen nun etwas weniger rätselhaft geworden. Auch wenn – wie immer in der Wissenschaft – jede neue Erkenntnis weitere Fragen aufwirft, die es zu erforschen gilt.

  • Quellen
Klartag, B., Lehec, J.: 10.48550/arXiv.2412.15044, 2024

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