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Mikroskoptechnik: Durchschuss für atomare Bilder

Atome ertasten, Moleküle sehen - seit wenigen Jahrzehnten geben uns Rastersondenmikroskope Einblick in die Welt der kleinsten Teile. Deutsche Wissenschaftler haben nun eine weitere Methode entwickelt, die noch mehr Details zur Elektronenlandschaft der Stoffe verrät.
Spitze eines Rastertunnelmikroskops
Sehen heißt verstehen. Und wenn manche Dinge für das Auge unsichtbar sind, müssen wir sie eben ertasten. So sind beispielsweise Atome und Moleküle mit ihren Bruchteilen von milliardstel Metern viel zu klein für konventionelle Licht- und Elektronenmikroskope. Und andere Verfahren, wie die Röntgenstrukturanalyse, deren Daten wir die meisten schönen Molekülmodelle aus dem Computer verdanken, setzen Kristalle aus unzähligen geordneten Teilchen voraus – eher eine statistische Erhebung als eine individuelle Befragung.

Das änderte sich erst vor fast genau 26 Jahren, als die Physiker Gerd Binnig und Heinrich Rohrer in einem Schweizer IBM-Forschungslabor die ersten erfolgreichen Tests mit ihrem Rastertunnelmikroskop durchführten. Sie erfassten die Probe nicht mit einem schnellen Blick, sondern "erfühlten" deren Oberfläche mit einer feinen Spitze. Linie um Linie fuhr diese computergesteuert über das Objekt, und auf dem angeschlossenen Rechner entstand Strich für Strich ein Bild – eines, das Atome zeigte, die aussahen wie kleine Kügelchen. Eine neue Welt war "sichtbar" geworden.

Über den Graben springen

Wesentliche Grundlage der Rastertunnelmikroskopie ist der quantenphysikalische Tunneleffekt. In unsere makroskopische Welt übertragen beschreibt er sozusagen die Fähigkeit, breite Gräben zu überwinden. Denn zwischen der hyperfeinen Nadel des Mikroskops und der elektrisch leitfähigen Probe liegt zwar eine elektrische Spannung an – aber der Abstand ist mit etwa einem milliardstel Meter so "groß", dass es für Elektronen unmöglich ist, die Lücke zu überspringen. Nur bedeutet "unmöglich" im Quantenkosmos meist eher so viel wie "sehr, sehr unwahrscheinlich". Das aber reicht für einige verwegene Elektronen aus, es doch über die Barriere zu schaffen – sie "tunneln" von der Spitze zur Probe.

Mit den tunnelnden Elektronen fließt ein winziger elektrischer Strom, und den kann das Mikroskop messen. Je näher die Spitze der Probe kommt, umso mehr Elektronen gelingt der Sprung, und desto größer ist der Strom. Während ihrer Wanderung über die Probe erspürt die Nadel so atomare Hügel und Täler, und der Computer zeichnet alles auf. Ergebnis ist ein ertastetes Bild der Oberfläche.

Für die Physiker Amin Bannani, Christian Bobisch und Rolf Möller von der Universität Duisburg-Essen war diese Erforschung der Oberfläche zu oberflächlich. Sie suchten nach einer Methode, die mehr kann: Organische Moleküle sichtbar machen, die nicht unbedingt gute Stromleiter sind, und einen Blick in deren Inneres werfen. Für ein gewöhnliches Rastertunnelmikroskop ist das zu viel verlangt. Also konzentrierte sich das Team auf eine besondere Untergruppe der tunnelnden Elektronen: ballistische Elektronen.

Ein Mikroskop, das in Moleküle hineinschaut | Über eine hyperfeine Spitze schickt das neue Mikroskop Elektronen in eine Probe (hier C60 oder PTCDA). Nur wenn sie nicht zu sehr abgelenkt werden, gelangen sie bis zum Objektträger aus einem Metall auf einem Halbleiter, wodurch ein kleiner Strom fließt. Solche "Durchschüsse" gelingen nur im Randbereich und in den weniger dichten Zonen der Moleküle.
Vereinfacht gesagt, sind ballistische Elektronen alle Fehlschüsse und Durchschüsse, die an der Probe vorbeigehen oder sie relativ ungestört passieren. Gerät ein Tunnelelektron hingegen zu sehr in den Wirkungsbereich eines Atomkerns oder der atomgebundenen Elektronen, wird es gestreut und erreicht nicht den Detektor.

Freie Bahn?

Durch diese Methode ist es nicht mehr wichtig, ob die Probe ein ankommendes Tunnelelektron leiten kann. Es kommt stattdessen darauf an, ob und wie sehr das Objekt den Elektronen "im Weg" ist. Das "wie sehr" lässt sich über verschieden hohe Spannungen herausfinden, die den Messelektronen gewissermaßen mehr oder weniger Schwung verleihen. Mit wenig Startenergie gerät ein getunneltes Elektron bereits in Randbereichen der Moleküle auf Abwege, während es mit einem energischeren Start selbst in den "weicheren" Molekülzonen kaum gestreut wird.

PTCDA unter dem neuen Mikroskop | Das neue Mikroskop liefert gleichzeitig zwei Aufnahmen: ein klassisches Rastertunnelmikroskopbild (links) und eine "Durchsicht" auf Basis der ballistischen Elektronen (Mitte). Rechts die Struktur des betrachteten PTCDA.
Die Qualität ihrer neuen Rasternahfeld- Elektronendurchsicht- Mikroskopie (scanning near-field electron transmission microscopy) haben die Forscher an zwei unterschiedlichen Molekülen erprobt: fußballförmigen Buckyballs aus je 60 Kohlenstoffatomen und dem komplexeren 3,4,9,10-Perylen-Tetracarboxylsäuredianhydrid (PTCDA), das recht flächig ist und dessen Form an einen Hundeknochen erinnert. Von beiden Verbindungen erhielten sie mindestens ebenso gute Bilder wie mit einem gewöhnlichen Rastertunnelmikroskop. Besonders beim Buckyball machte sich aber der Vorteil der ballistischen Elektronen bemerkbar. Mit höheren Spannungen trat immer besser der Hohlraum im Zentrum der kleinen Kugeln hervor – eine Struktur, die niemals zuvor mit einem Mikroskop gesehen wurde.

Vom Wassertropfen über die Glaslinse, das Lichtmikroskop, das Elektronenmikroskop zu den Rastersondenmikroskopen haben immer ausgefeiltere Apparate dem Menschen sichtbar gemacht, was eigentlich unsichtbar ist. Ballistische Tunnelelektronen gestatten nun bereits, in Moleküle hinein zu blicken. Wenn auf sehen wirklich verstehen folgt, dürfen wir gespannt sein, was die Wissenschaft mit ihrem neuen Instrument anfängt. Und sei es nur, dass wir endlich Bilder von dem haben, was wir uns sonst beim Betrachten komplizierter Formeln mühevoll im Kopf vorstellen mussten.

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