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Astronomie mit dem Fernglas: Ein außergewöhnlicher Sternhaufen: Messier 71

Auf den ersten Blick gibt der Sternhaufen Messier 71 im Sternbild Pfeil seine wahre Natur nicht preis. Einst wurde er für einen offenen Sternhaufen gehalten. Verschaffen Sie sich selbst einen Eindruck und betrachten Sie dieses Objekt durch ein Fernglas oder ein Teleskop!
Silhouette einer Person mit Fernglas vor dem Hintergrund eines dunklen Himmels.
Der Nachthimmel hält viele Objekte bereit, die sich für die Beobachtung mit einem Fernglas eignen. Eine echte Herausforderung stellt der Sternhaufen dar, den wir diesen Monat betrachten: Messier 71 im Sommersternbild Pfeil.

In den nun bevorstehenden kurzen Sommernächten tritt die Dunkelheit in unseren Breiten erst gegen Mitternacht ein. Im Osten ist jetzt das Sommerdreieck aufgestiegen und mit ihm das zierliche Sternbild Pfeil (lateinisch: Sagitta). Seine schlanke Figur passt vollständig in das Gesichtsfeld eines 8 × 40-Fernglases (siehe »Stellarer Pfeil am Himmel«). Unter einem dunklen Himmel gibt es hier aber noch mehr Interessantes zu sehen, vor allem in einer größeren Optik, beispielsweise einem 12 × 50- oder 15 × 60-Fernglas, das auf einem Stativ montiert wird.

Stellarer Pfeil am Himmel | »Klein, aber leicht zu finden ist das Sternbild Pfeil (lateinisch: Sagitta) im Sommerdreieck, oberhalb des Sterns Altair im Adler«, bemerkt Franz Xaver Kohlhauf zu diesem Foto, das er mit seinem 300-Millimeter-Teleobjektiv von Zuiko bei Blende 5,6 an einer Canon EOS 6D aufgenommen hat. Er belichtete sechs Aufnahmen à 60 Sekunden bei ISO 1600. Der Kugelsternhaufen Messier 71 und der offene Sternhaufen Collinder 408 lassen sich beim Blick durch ein Fernglas als blasse Lichtflecken ausmachen.

Ein wenig südlich der Verbindungslinie vom 3,5 mag hellen Stern Gamma Sagittae (γ Sge) zum 4,3 mag hellen Delta Sagittae (δ Sge) bemerkt man zwei diffuse, wenige Bogenminuten große und 8 mag helle Objekte, die bei visueller Betrachtung wie kleine Nebelwolken aussehen. Sie stehen nur ein halbes Grad voneinander entfernt, was einem scheinbaren Vollmonddurchmesser entspricht. Das diffuse südliche Objekt ist der lockere offene Sternhaufen Collinder 408, der auch als Harvard 20 bezeichnet wird. Unter guten Sichtbedingungen sind seine hellsten Sterne blickweise zu erkennen. Das nördlich davon gelegene, etwas kompaktere Objekt ist der 13 000 Lichtjahre entfernte Kugelsternhaufen Messier 71 (siehe »Unterernährter Kugelsternhaufen«).

Unterernährter Kugelsternhaufen | Zur Aufnahme dieses Bildes von Messier 71 nutzte Franz Hofmann ein Celestron C 11 und eine Kamera vom Typ ALccd 8L. Er summierte 15 Einzelbilder mit jeweils 600 Sekunden Belichtungszeit. Dank dieser leistungsfähigen Ausrüstung erscheint der relativ dünn besetzte Kugelsternhaufen hier recht sternreich.

Untersuchungen der Elementhäufigkeiten und ihr Vergleich mit den Werten anderer Kugelsternhaufen ergaben, dass Messier 71 als einer der letzten Haufen in der Umgebung unseres Milchstraßensystems entstand. Zu dieser Zeit, vor etwa elf Milliarden Jahren, war anscheinend schon nicht mehr viel Baumaterial für das Sternennest verfügbar. Während heute die massereichsten Kugelsternhaufen bis zu zwei Millionen Sonnenmassen auf sich vereinen, bringt es Messier 71 nur auf rund 20 000. Zudem ist die Konzentration seiner Sterne zum Zentrum hin nicht so deutlich ausgeprägt wie bei anderen Kugelsternhaufen. So verwundert es nicht, dass Messier 71 lange als offener Sternhaufen betrachtet wurde.

Sicherlich mögen Gezeitenkräfte, die im Umfeld unserer Galaxis stets wirken, zur Ausdünnung von Messier 71 beigetragen haben, indem sie dem Sternenverband einzelne Mitglieder entrissen; doch dies kann den beobachteten Mangel nicht erklären. Somit muss der Haufen schon bei seiner Geburt »unterernährt« gewesen sein. Damit wird verständlich, warum Messier 71 – im Unterschied zu seinen helleren, massereicheren Kollegen wie Messier 13 im Sternbild Herkules – nur in einer dunklen Nacht und mit einer größeren Fernglasoptik gut am Himmel zu erkennen ist.

Kurz erklärt

Bogenminute: Die Bogenminute ist eine Einheit, um die Größe von Winkeln im Gradmaß anzugeben. Ein Winkelgrad hat 60 Bogenminuten und die Bogenminute 60 Bogensekunden. Entsprechend ergeben 3600 Bogensekunden genau ein Grad.

Ekliptik: Die scheinbare jährliche Bahn der Sonne am Himmel. Sie ist der Schnitt der Erdbahnebene, der so genannten Ekliptikebene, mit der Himmelssphäre. Die Ekliptikebene ist gegen die Äquatorebene, den Schnitt des Erdäquators mit der Himmelssphäre, um 23,5 Grad geneigt.

Elongation: Winkelabstand zwischen der Sonne und einem Planeten oder dem Mond. Befindet sich ein Planet in östlicher Elongation, geht er abends nach der Sonne unter, bei westlicher Elongation geht er morgens vor der Sonne auf. Eine Elongation von 0 Grad heißt Konjunktion und von 180 Grad Opposition.

mag – Helligkeit: Historisch bedingt unterschied man die Helligkeiten zunächst in sechs Größenklassen. Der erste Detektor war das menschliche Auge, das sicherlich nicht voll ausgereift ist für astronomische Beobachtungen. Die hellsten Sterne definierte man mit der 1. Größe (1 mag), die lichtschwächsten, gerade noch mit dem Auge sichtbaren als Sterne 6. Größe (6 mag).

Konjunktion: Gleichschein, Stellung eines Planeten, bei der die Sonne in der Verbindungslinie Erde-Planet steht. Bei den Planeten Merkur und Venus kommt es zu einer oberen Konjunktion, wenn die Sonne zwischen der Erde und dem Planeten steht und zur unteren Konjunktion¸ wenn der Planet zwischen Erde und Sonne steht.

Kulmination: Durchgang eines Gestirns durch den Meridian. Man unterscheidet zwischen der oberen Kulmination (größte Höhe über dem Horizont) und der unteren Kulmination (größte Höhe unter dem Horizont). Nur bei den Zirkumpolarsternen befinden sich oberer und unterer Kulminationspunkt über dem Horizont.

Meridian: Mittagskreis, im horizontalen Koordinatensystem der Großkreis an der Himmelssphäre, der sowohl durch Zenit und Nadir als auch durch die beiden Himmelspole verläuft und den Horizont im Süd- und im Nordpunkt schneidet.

Opposition: Gegenschein, Winkelstellung zweier Planeten zueinander oder auch zu Sonne und Mond, bei der sich die ekliptikale Länge der beiden Gestirne um 180 Grad unterscheidet. Am häufigsten für den Fall gebraucht, dass Sonne-Erde und einer der äußeren Planeten auf einer Linie liegen.

Seeing: das durch die Luftunruhe der Atmosphäre hervorgerufene Flackern der Sterne.

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