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Asteroidenforschung: Ein Blick in die Geburtsstätte der Meteoriten

Wie viele Asteroiden gibt es im Sonnensystem? Wo sind sie, und wie groß sind sie? Mit dem James-Webb-Weltraumteleskop wurde diese Bestandsaufnahme entscheidend verbessert. Viele neue Winzlinge, die bis zu einigen zehn Metern groß sind, wurden neu entdeckt. Sie zu kennen, ist auch wichtig, weil sie der Erde gefährlich werden könnten.
Kosmische Erdnuss Radarbilder von Goldstone
Mini-Asteroiden sehen aus wie das Exemplar in diesem Radarbild, das eine Erdnussform aufweist.

Im Asteroidengürtel zwischen den Bahnen von Mars und Jupiter befinden sich gut 200 Asteroiden mit mehr als 100 Kilometer Durchmesser. Die meisten dieser Objekte haben die zirka 4,6 Milliarden Jahre seit ihrer Entstehung nahezu unversehrt überstanden und bewegen sich auf stabilen Bahnen. Im Größenbereich von Kilometern und darunter (»Subkilometern«) spielen hingegen Kollisionen eine bedeutende Rolle, und verschiedene Kräfte verändern die Bahnen stetig. Dadurch gelangen immer wieder einzelne Objekte in die Nähe der Erde. Feuerkugeln am Himmel, Einschlagkrater und Meteoritenfunde zeugen von solchen ungebremsten Begegnungen. Um die Entstehungs- und Entwicklungsprozesse besser zu verstehen, müsste man die Bruchstücke direkt nach ihrer Entstehung untersuchen – doch dies war bisher ohne eine interplanetare Sondenmission nicht möglich.

Klassische Beobachtungen von kleinen oder sehr lichtschwachen Körpern im Sonnensystem erfordern eine genaue Kenntnis ihrer Bahnbewegungen und lange Messzeiten. Technisch ist das mit dem James Webb Space Telescope (JWST) möglich; zusätzlich arbeiten die Instrumente im Infrarotbereich, in dem selbst winzige Kleinplaneten hell erstrahlen. Allerdings ist die Beobachtungszeit auf dem JWST sehr begrenzt und die Auswahl an bekannten, Subkilometer großen Asteroiden extrem gering. Auch lassen sich mit dem JWST größere Gebiete kaum durchsuchen, da das Bildfeld der empfindlichen MIRI-Kamera, dem Mid-Infrared Instrument, nur etwa 1 × 1 Bogenminuten groß ist. Man müsste also mehr als 700 Aufnahmen machen, um eine Fläche von der Größe der Mondscheibe abzudecken.

Kuriose Asteroidensuche

Eine Forschungsgruppe unter der Führung von Artem Burdanov und Julien de Wit, beide am Massachussetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge, USA, ging daher einen anderen Weg: Sie untersuchte eine große Anzahl von MIRI-Aufnahmen von TRAPPIST-1 aus dem JWST-Archiv. Bei TRAPPIST-1 handelt es sich um einen massearmen, leuchtschwachen roten Zwergstern, der etwa 40 Lichtjahre von der Erde entfernt ist. Er wird von sieben Planeten umkreist und ist prädestiniert für Studien von erdähnlichen Himmelskörpern. Auf Grund des großen wissenschaftlichen Interesses gibt es eine Vielzahl von Messprogrammen. Allein im F1500W-Band von MIRI bei einer Wellenlänge von 15 Mikrometern (millionstel Metern) sind mehr als 93 Stunden Beobachtungszeit von TRAPPIST-1 öffentlich verfügbar, etwa zwei Drittel davon mit einem Bildfeld von 56,3 ×  56,3 Bogensekunden, der Rest mit einem vierfach größeren Bildfeld von 112 × 113 Bogensekunden. Die Belichtungszeiten lagen zwischen 36,1 und 38,9 Sekunden pro Bild.

Die Frage war: Kann man bei diesen Messungen nahe an der Erdbahnebene, der Ekliptik, zufällig querende bekannte oder unbekannte Asteroiden sehen (TRAPPIST-1 liegt bei einer ekliptikalen Breite von 0,6 Grad)? Und was könnte man daraus lernen?

Die Frage nach den bekannten Kleinplaneten war leicht zu beantworten. Über den Beobachtungszeitpunkt und die Eingabe der Eckkoordinaten eines Himmelsfelds lassen sich zum Beispiel über das Small-Body Identification Tool der NASA mögliche Treffer leicht finden. Insgesamt acht Asteroiden waren zu den Messzeitpunkten im TRAPPIST-1-Blickfeld und auf Grund ihrer großen Infrarothelligkeit, das heißt ihrer thermischen Eigenstrahlung, auch direkt sichtbar (siehe »Asteroiden im Blickfeld von MIRI«). Im Visuellen, also durch reflektiertes Sonnenlicht, wären diese Objekte aus dem Hauptasteroidengürtel bei typischen erdgebundenen Himmelskartierungen zu den angegebenen JWST-Messzeitpunkten deutlich zu leuchtschwach gewesen. Die MIRI-Signale, in Kombination mit der Entfernung und den bereits katalogisierten Helligkeitswerten, erlauben es, die Durchmesser und das Rückstrahlvermögen (Albedo) dieser acht zufällig nachgewiesenen Objekte zu bestimmen. Die Größen liegen im Bereich zwischen 400 Metern und etwa 2,5 Kilometern, die dunkelste Oberfläche reflektiert nur sechs Prozent des Sonnenlichts, beim hellsten Asteroiden erreicht die Albedo fast 40 Prozent.

Asteroiden im Blickfeld von MIRI | Mit dem Instrument MIRI an Bord des James Webb Space Telescope (JWST) entstand diese Infrarotaufnahme des Sterns TRAPPIST-1 bei einer Wellenlänge von 15 Mikrometern (millionstel Metern). Die beiden farbigen Striche am linken Rand verdeutlichen die Bahnspuren bereits bekannter Asteroiden, die vier Striche rechts von TRAPPIST-1 sind die eingezeichneten Bahnen von mit dem JWST neu entdeckten Kleinasteroiden.

Für die Suche nach bisher unbekannten Asteroiden könnte man die Einzelbilder oder kombinierte Bilder nach Strichspuren durchforsten. In den knapp 40 Sekunden Belichtungszeit pro Bild bewegen sich typische Kandidaten im Asteroidengürtel mit 0,1 bis 1 Bogensekunden weiter; das entspricht auf der Aufnahme zwischen 1 und 10 Pixeln. Das gilt für eine Pixelgröße von 0,11 Bogensekunden und eine Ausdehnung einer abgebildeten Punktquelle von rund 0,5 Bogensekunden. Aber bei 40 Sekunden Belichtungszeit würden nur die hellsten und schnellsten Brocken zu einer leicht länglichen Spur führen.

Schwächere Himmelswanderer gehen im Bildrauschen unter, auch wenn man viele Bilder klassisch kombiniert (englisch: image stacking), da sich das Asteroidensignal dann über viele Pixel verteilt. Das ändert sich, wenn man die Bewegungsrichtung und -geschwindigkeit kennt und die Bilder entsprechend mit der passenden Verschiebung kombiniert. Dann fallen alle Photonen, die von einem Kleinstkörper ausgesandt und von MIRI aufgefangen wurden, auf die exakt gleiche Position auf dem Detektor. So wird die Quelle wie von Geisterhand sichtbar, entsprechend der viel längeren Integrationszeit aller kombinierten Aufnahmen.

Extrakte aus 10 000 JWST-Bildern

Auf Grund der Möglichkeiten von schnellen und leistungsfähigen Computern und des Einsatzes von Grafikkarten war es jetzt möglich, die fast 10 000 TRAPPIST-1-Aufnahmen von MIRI in allen Richtungen und für einen riesigen Geschwindigkeitsbereich zu kombinieren. Erwischt man bei diesem »synthetic tracking« exakt den Geschwindigkeitsvektor eines bisher unbekannten Objekts, so wird es im finalen Bild sichtbar (siehe »Vier bislang unbekannte Asteroiden«). Die Anwendung dieser Methode führte zu mehreren hundert Detektionen von Quellen, wobei 138 davon den strengen Auswahlkriterien für einen verlässlichen Nachweis erfüllten. Das bedeutet, dass während der TRAPPIST-1-Aufnahmen 8 bekannte und mindestens 138 unbekannte Asteroiden dieses winzige Himmelsfeld gekreuzt haben. Eine frühere Studie ging noch von durchschnittlich zwei Treffern pro MIRI-Bild aus, allerdings bezogen auf typische Einzelbilder nahe der ekliptikalen Ebene.

Vier bislang unbekannte Asteroiden | Nur durch die geschickte Kombination einer Vielzahl von MIRI-Bildern wurden vier neue Asteroiden im Infraroten sichtbar. Neben den Identifikationsnummern ist die scheinbare Geschwindigkeit (V, in Bogensekunden pro Minute) angegeben. Ihre Lagen im Sonnensystem ließen sich über benachbarte bekannte Asteroiden mit gleichem Geschwindigkeitsvektor abschätzen. Die Größen wurden durch radiometrische Methoden aus dem gemessenen Signal von MIRI bestimmt. Diese Kleinplaneten sind nur wenige zehn Meter groß und ziehen ihre Bahnen im Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter.

Die Suche nach lichtschwachen Objekten mit dieser Technik ist nicht neu und wurde bereits bei anderen Datensätzen, zum Beispiel für die Suche nach Exoplaneten, angewandt. Im Gegensatz zu den Exosystemen lässt sich bei unbekannten Sonnensystemobjekten aber nur bedingt eine Aussage über die Entfernung zur Sonne beziehungsweise zum Beobachter aus dem Geschwindigkeitsvektor ableiten. Die kleinen Beobachtungsbögen innerhalb des TRAPPIST-1-Bildfelds lassen jedenfalls keine Bahnbestimmung zu. Und ein sich scheinbar langsam bewegender Körper könnte, je nach Bahn und Beobachtungsgeometrie, auch nahe am Beobachter sein. Selbst rückläufige Bewegungen in der Oppositionsschleife sind möglich.

Für die Entfernungsabschätzung wurde deshalb auf einen Trick zurückgegriffen: Man sucht in der Datenbank der etwa 1,3 Millionen bekannten Asteroiden nach Treffern bezüglich scheinbarer Nähe am Himmel (innerhalb eines Felds von 6 × 2 Grad um TRAPPIST-1) und Geschwindigkeitsvektor. Die Anwendung dieser speziellen Suche auf die acht bekannten Asteroiden zeigt, dass sich die so gefundenen Nachbarn wirklich alle in ähnlicher Sonnen- und Beobachterentfernung befinden. Aus den nächsten Begleitern – in Bezug auf scheinbaren Abstand und Geschwindigkeitsvektor – lässt sich somit die augenblickliche Lage des unbekannten Asteroiden im Sonnensystem mit guter Genauigkeit bestimmen. Alternativ kann man die Sonnenentfernung eines Objekts auch über die Oberflächentemperatur abschätzen; dazu benötigt man aber mehrere Infrarotmessungen bei unterschiedlichen Wellenlängen. Die meisten MIRI-Messprogramme für TRAPPIST-1 sind dafür nicht ausgelegt.

Trümmer aus Kollisionen

Die über die Nachbarn bestimmte Lage im Sonnensystem – die Objekte befinden sich hauptsächlich zwischen den Bahnen von Mars und Jupiter – und das gemessene Infrarotsignal im F1500W-Band von MIRI erlauben es, eine Größenbestimmung für die 138 Neulinge durchzuführen. Es stellt sich heraus, dass sie nur etwa 10 bis 500 Meter groß sind und sich fast alle im Asteroidengürtel aufhalten. Hierbei handelt es sich um Bruchstücke aus Kollisionen. Die statistische Analyse der Anzahl der Winzlinge als Funktion der Größe erlaubt einen Blick in die Vorgänge im Asteroidengürtel. Eine große Steigung der Kurve (siehe »Die Größenverteilung der Mini-Asteroiden«) ist ein Hinweis darauf, dass zeitlich hintereinander ablaufende Zusammenstöße, also Kollisionskaskaden, vermehrt monolithische kleine Felsblöcke erzeugen. Im flacheren Bereich der Kurve finden sich eher fliegende Geröllhalden, die nur durch ihre schwache Eigenschwerkraft zusammengehalten werden.

Im Lauf der Jahrmillionen verändert sich die Steigung durch den Einfluss von nichtgravitativen Kräften wie dem Jarkowski-Effekt, der durch einen winzigen thermischen Impuls der Sonneneinstrahlung zu stetigen Bahnänderungen führt und so kleinere Brocken immer wieder in Richtung Erde schiebt. Das bedeutet, dass die Größenverteilung nicht nur Aussagen zu Kollisionen und Materialstärken zulässt, sondern auch zum Ursprung potenziell gefährlicher Asteroiden und zur Nachlieferung von Meteoritenmaterial auf die Erde.

Die Größenverteilung der Mini-Asteroiden | Die kumulative Häufigkeit der mit dem JWST neu entdeckten Kollisionsbruchstücke als Funktion ihrer Größe: Die grauen Linien basieren auf den Rohdaten, die rote Linie gibt die daraus abgeleitete Anzahl an Objekten an und die grüne Linie den theoretischen tatsächlichen Bestand. Letztere beinhaltet notwendige Korrekturen für die Grenzen der Nachweise von schwachen Quellen. Der Knick bei etwa 100 Meter Durchmesser weist auf eine Population von Mini-Asteroiden hin, die von einer Kollisionskaskade geprägt ist. Das gilt für die Objekte mit Durchmessern von weniger als 100 Metern. Weitere Auswertungen der MIRI-Messungen werden voraussichtlich viele tausend Asteroiden im Dezimeterbereich ans Tageslicht befördern. So werden sich einzelne Asteroidenfamilien und die Ursprungsregionen von Meteoriten in situ im Detail untersuchen lassen.

Kürzlich erbrachte eine Untersuchung der Häufigkeitsverteilung von Größen bekannter Kleinplaneten, dass sich heute etwa 70 Prozent aller bekannten Meteoriten drei sehr jungen Asteroidenfamilien zuordnen lassen: Die dazugehörigen dramatischen Kollisionen von mindestens 30 Kilometern großen Ursprungskörpern fanden vor etwa 5,8, 7,6 und knapp 40 Millionen Jahren innerhalb der viel älteren Koronis- und Massalia-Familien statt. Die Familien sind jeweils nach dem größten oder zuerst entdeckten Objekt benannt. Die Zeitpunkte stimmen mit der Datierung (also dem kosmischen Bestrahlungsalter der durch die Kollisionen erzeugten Kleinkörper) der häufigsten Meteoritenklasse überein. Die gewöhnlichen Chondrite der Klassen H (hoher Metallgehalt) und L (niedriger Metallgehalt) machen etwa 70 Prozent der bekannten Meteoriten aus.

Dieses Verständnis zwischen der Entstehung von Asteroidenfamilien, den Nachliefermechanismen in den erdnahen Raum und dem Ursprung der Meteoriten könnte eines Tages auch für eventuell notwendige Abwehrstrategien von potenziell gefährlichen Asteroiden wichtig werden. Die aktuelle Pilotstudie, die zur Entdeckung von 138 bisher unbekannten Asteroiden geführt hat, leistet dazu einen wichtigen Beitrag. Da bisher nur ein winziger Bruchteil der verfügbaren MIRI-Infrarotaufnahmen im Hinblick auf die Suche nach Asteroiden ausgewertet wurde, erwarten wir weitere einzigartige Einblicke in die Welt der Kleinplaneten.

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  • Quellen

Literaturhinweise

Brož, M. et al.: Young asteroid families as the primary source of meteorites. Nature 634, 2024 [DOI: 10.1038/s41586–024–08006–7]

Burdanov, A. Y. et al.: JWST sighting of decameter main-belt asteroids and view on meteorite sources. Nature 2024 [DOI: 10.1038/s41586–024–08480-z]

Müller, T. et al.: Asteroids seen by JWST-MIRI: Radiometric size, distance, and orbit constraints. Astronomy & Astrophysics 670, A53, 2023 [DOI: 10.1051/0004–6361/202245304]

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