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Biomechanik: Ein Brechungsgesetz für Bäume

Einem Starkwind widerstehen oft fast alle Bäume oder kaum einer. Warum das so ist, haben französische Forscher untersucht.
Gebrochener Baum

Wenn ein starker Sturm über einen Wald zieht, dann wirft es meistens nicht nur einzelne Bäume um, sondern häufig fast alle. Man kennt solche Bilder – stutzig machen sie erst auf den zweiten Blick: Warum vermochten eigentlich große Bäume mit ihren dicken Stämmen dem Unwetter ebenso wenig standzuhalten wie kleine Bäume mit ihren dünnen Stämmen? Und nicht nur das: Selbst Bäume aus Hartholz wie etwa Eichen scheinen bei praktisch denselben Windstärken zu brechen, bei denen es auch Bäume aus Weichholz wie etwa Kiefern umhaut.

Französische Wissenschaftler haben untersucht, ob die Sturmfestigkeit von Bäumen einer allgemeinen Regel folgt. Die Forscher der Université Paris-Saclay nutzten für ihre Studie vor allem Daten aus dem Januar 2009, als der Winterorkan »Klaus« in Westeuropa für große Schäden sorgte. Insbesondere in den südwestlichen Departments in Frankreich – angrenzend an den für starke Stürme und hohen Seegang berüchtigten Golf von Biskaya – hatte Klaus für schwere Verwüstungen gesorgt. In diesem Unwetter verloren 32 Menschen ihr Leben; Böen mit enormen Windstärken um die 200 Kilometer pro Stunde schädigten in manchen Regionen bis zu 80 Prozent des Baumbestands; die Sachschäden summierten sich auf mehrere hundert Millionen Euro.

»Bäume in der Natur sind von unterschiedlichem Alter, unterschiedlicher Form, Art und Struktur«, sagt Erstautor Emmanuel Virot. »Dennoch beobachten wir, dass alle Bäume bei ungefähr derselben Windgeschwindigkeit brechen, unabhängig von ihren biomechanischen Eigenschaften.« Auch der Untergrund, auf dem sie wurzeln, spielt keine besondere Rolle. Die kritische Windgeschwindigkeit, bei der über 50 Prozent der Bäume abknicken, liegt bei rund 150 Kilometern pro Stunde.

Ab wann bricht der Baum?

Um die Belastbarkeit von Holz zu prüfen, nutzten die Forscher ein Standardverfahren: Sie spannten verschieden dicke und lange Rundhölzer an einem Ende fest und belasteten das andere Ende dann zunehmend. Dabei maßen sie die Krümmung, bis das Holz schließlich brach. Bereits Leonardo da Vinci und Galileo Galilei hatten ähnliche Versuche zur Bruchfestigkeit von Holz durchgeführt. Wie die französischen Wissenschaftler feststellten, bricht der Stab bei einem kritischen Krümmungsradius, der von seiner Länge und Dicke abhängt. Diese Messungen kombinierten sie mit einem Modell über die Kräfte, die der Wind auf Bäume ausübt. So gelangten sie zu einer einfachen Gleichung, mit der sie das Risiko von Baumbruch realistisch angeben können. Interessanterweise hängt dieses Risiko am Ende kaum noch von der Höhe des Baums ab.

»Diese Ergebnisse entsprechen natürlich einer evolutionären Anpassung im Lauf der Zeit, denn Windgeschwindigkeiten jenseits von 150 Kilometern pro Stunde sind auf der Erde sehr selten«, so Virot. Es lohnt sich also nicht für Bäume – die ohnehin zu den langlebigsten Organismen auf unserem Planeten gehören –, noch mehr Energie und Material in die Standfestigkeit zu stecken.

Die Studie lässt sich sogar auf Korallen oder ähnliche Wasserbewohner ausdehnen: Mit ihrer Formel können die Forscher auch den Bruch von Korallen oder Fächerkorallen durch starke Meeresströmungen beschreiben. Zwar sind die Geschwindigkeiten von Wasserströmungen sehr viel geringer als von Wind, doch sind durch die wesentlich höhere Dichte von Wasser vergleichbare Effekte möglich.

In Zukunft werden die Ergebnisse solcher Studien vermutlich immer wichtiger werden. Denn die Anzahl und Stärke von Stürmen nimmt auf Grund der klimatischen Veränderungen zu. Mit derart einfachen und breit anwendbaren Modellen können Forstwissenschaftler und Zivilschutzbehörden besser abschätzen, wann und wo bei Stürmen und Zyklonen mit starken Schäden durch Baumbruch zu rechnen ist. Künftige Studien könnten den Wissenschaftlern zufolge auch den Einfluss umstehender Bäume oder unterschiedlicher Blattformen berücksichtigen.

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