Fußgängerfreundliche Stadt: Das Wohnumfeld beeinflusst, wie viel wir gehen

Zum Bäcker gehen, durch den Park spazieren oder abends ins Kino schlendern: Die Gestaltung von Städten beeinflusst direkt, wie viel die Menschen dort zu Fuß gehen – und prägt damit maßgeblich die öffentliche Gesundheit. Das geht aus einer umfassenden Analyse der Bewegungsdaten einer Smartphone-App in US-Städten hervor. Ein Forschungsteam um Tim Althoff von der University of Washington in Seattle berichtet darüber im Fachjournal »Nature«.
Die Mobilität zu Fuß sei wichtig für die Gesundheit, schreiben Althoff und seine Gruppe. Sehr viele Menschen weltweit bewegten sich zu wenig und hätten deshalb ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Komplikationen, Diabetes und Krebserkrankungen. Das gelte vor allem für Städte, in denen bis 2050 schätzungsweise 6,7 Milliarden Menschen leben werden. Zahlreiche Studien belegen mittlerweile zweifelsfrei, dass Bewegung einen großen Einfluss auf die körperliche Verfassung hat.
Dass städtische Umgebungen die Menschen in unterschiedlichem Maß zu körperlicher Aktivität anspornen können, war bisher vermutet, aber nicht eindeutig nachgewiesen worden. Althoff und sein Team werteten die Daten von rund 5400 Nutzerinnen und Nutzern der Smartphone-App »Argus« aus, welche die tägliche Schrittzahl erfasst. Innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren gab es bei diesen Personen insgesamt zirka 7500 Umzüge zwischen 1600 verschiedenen US-Städten. Anhand der gesammelten »Argus«-Daten überprüfte die Forschungsgruppe systematisch, wie sich das Leben in den untersuchten Städten langfristig auf die körperliche Aktivität auswirkt. Die Ergebnisse glich sie mit einem bereits bestehenden Index zur Fußgänger- oder Gehfreundlichkeit von Städten ab. Als gehfreundlichste Stadt gilt New York City.
Wie wir wohnen, so schreiten wir
Den Daten zufolge liefen jene Personen, die aus wenig gehfreundlichen Städten nach New York gezogen waren, im Mittel tatsächlich 1400 Schritte pro Tage mehr: Sie steigerten ihr durchschnittliches Pensum von 5600 auf 7000 Schritte. Im gleichen Umfang nahm die tägliche Schrittzahl bei den Menschen ab, die von New York wegzogen. Andere Faktoren, die sich ebenfalls auf die körperliche Aktivität auswirken – etwa Alter, Geschlecht, Body Mass Index und Jahreszeit –, wurden bei der Analyse berücksichtigt, sodass sich der Einfluss der Umgebung getrennt betrachten ließ.
»Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Veränderungen der baulichen Umgebung große Populationen beeinflussen können – im Vergleich zu Interventionen, die auf Individuen abzielen und nur kleine Gruppen erreichen«, schreiben Althoff & Co. Laut der Studie erreichen rund 18 Prozent der US-Bevölkerung den empfohlenen Wert von 150 Minuten Bewegung zu Fuß wöchentlich. Gelänge es, überall eine moderat gehfreundliche Umgebung zu schaffen wie beispielsweise in Chicago oder Philadelphia, wären es laut den Berechnungen mehr als 29 Prozent und in einem Umfeld wie dem von New York sogar mehr als 32 Prozent.
Zwar seien die Nutzerinnen und Nutzer der App wohl nicht repräsentativ für die gesamte US-Bevölkerung, räumt das Team selbst ein. Dennoch liefere die Studie »zwingende Belege dafür, dass die bauliche Umgebung kausal beeinflusst, wie viel wir gehen«, betont Althoff.
Jeder fünfte Weg zu Fuß
Experten hierzulande halten die Resultate für generell übertragbar, selbst wenn die USA nur eingeschränkt mit Deutschland vergleichbar seien. »Auch in deutschen Städten hängt Gehen davon ab, wo man lebt und wie gut dort das fußläufige Angebot ist«, sagt Stefan Siedentop von der Fakultät Raumplanung an der Technischen Universität Dortmund, der nicht an der Studie beteiligt war. Wichtig sei die Erreichbarkeit etwa von Geschäften, Ärzten, Gastronomie, Schulen, Freizeiteinrichtungen und Parks. Das müsse man bei der Raumplanung stärker berücksichtigen.
Diesbezüglich gebe es auch in Deutschland beträchtliche Unterschiede. So legten Menschen in deutschen Metropolen einer Studie zufolge rund 31 Prozent ihrer Wege zu Fuß zurück, in Kleinstädten und Dörfern dagegen seien es nur 21 Prozent, so Siedentop.
Aus Frankreich stammt das in Deutschland ebenfalls diskutierte Konzept der Stadt der kurzen Wege – auch 15-Minuten-Stadt genannt: Dem zufolge sollten alle wichtigen Orte für den täglichen Bedarf binnen 15 Minuten zu Fuß oder per Fahrrad erreichbar sein. Von den deutschen Metropolen schneiden gemäß einer Studie hier vor allem Frankfurt, Mannheim und München gut ab, aber auch Hannover, Düsseldorf, Berlin und Stuttgart. (dpa/fs)
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