Direkt zum Inhalt

News: Ein Gen für Grammatik?

Die Sprache unterscheidet den Menschen vom Tier - dieser Unterschied sollte sich auch in seinem Genom widerspiegeln. Doch ein "Grammatikgen" konnte die Wissenschaft bisher noch nicht finden. Jetzt entdeckten Forscher im menschlichen Erbgut immerhin ein Gen, dessen Mutation das Erlernen der Sprache erschwert, wenn nicht unmöglich macht.
Erinnern Sie sich noch an Ihre Schulzeit? Wie mühselig war es doch, englische Vokabeln oder französische Grammatik zu pauken. Eine Aufgabe, die ein kleines Baby scheinbar mühelos bewältigt. Mit verblüffender Präzision erfassen Kleinkinder die Grammatik ihre Muttersprache und erweitern spielerisch ihren Wortschatz.

Offensichtlich gibt es eine angeborene Fähigkeit für das Erlernen einer Sprache – eine Fähigkeit, die wir mit fortgeschrittenem Alter leider wieder verlieren. Doch wo ist diese Begabung im menschlichen Erbgut verborgen?

Hinweise auf eine genetische Grundlage der Sprache kennt die Wissenschaft schon länger. So gibt es Familien, deren Mitglieder erhebliche Schwierigkeiten beim Erlernen ihrer Muttersprache haben, die nicht auf andere Ursachen wie Gehörlosigkeit oder Autismus beruhen. Ein Beispiel für eine solche familiäre Vererbung fand unter dem Pseudonym "KE" Eingang in die wissenschaftliche Literatur. Die sprachliche Schwierigkeiten einiger der Familienmitglieder hängen weder mit einer verminderten Intelligenz, noch mit motorischen Störungen des Sprechapparates zusammen.

Bei der Untersuchung der Familie "KE" entdeckte 1998 Simon Fisher von der University of Oxford auf dem Chromosom Nummer 7 eine veränderte Region, die mit den Sprachschwierigkeiten zusammenhängen könnten. Er nannte sie SPCH1.

Jetzt hat sich Fisher zusammen mit Cecilia Lai und anderen diese Region noch einmal vorgenommen. Denn Wissenschaftlern gelang es, die Sprachstörung auf ein bestimmtes Gen namens FOXP2 in der SPCH1-Region des Chromosoms zu lokalisieren. Es zeigte sich, dass bei allen betroffenen Mitgliedern der Familie "KE" eine einzige Base vertauscht war: Statt Guanin lag an einer Stelle Adenin vor – im Gegensatz zu allen gesunden Familienmitgliedern sowie zu 364 nichtverwandten Personen.

Den Verdacht, eine Mutation des Gens FOXP2 erschwere den Spracherwerb, bestätigte sich, als die Wissenschaftler eine Person untersuchten, die sie "CS" nennen. Obwohl "CS" nicht zur Familie "KE" gehört, leidet sie unter den gleichen Sprachschwierigkeiten. Und auch hier lag eine Mutation im Gen FOXP2 vor: Es war durch Teile eines eingebauten Fremdgens unterbrochen.

Was macht nun FOXP2? Es kodiert für einen so genannten Transkriptionsfaktor, der das Ablesen anderer Gene ermöglicht. Die Wissenschaftler vermuten, dass dieser Transkriptionsfaktor bei der Entwicklung des Gehirns eine entscheidende Rolle spielt. Fehlt er, dann ist die Hirnentwicklung, und damit wahrscheinlich auch das Erlernen der Sprache, gestört.

Auch wenn die genauen Ursachen für die Sprachstörungen noch immer rätselhaft bleiben, hält der Neurobiologe und Sprachwissenschaftler Steven Pinker vom Massachusetts Institute of Technology die Entdeckung für eine wichtige Brücke zwischen Hirnforschung und dem Humangenomprojekt. Wie die neunziger Jahre als Dekade der Hirnfoschung die kognitive Neurowissenschaften einläuteten, beginnt seiner Meinung nach jetzt das Zeitalter der "kognitiven Genetik".

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.