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News: Ein Herz und eine Seele

Die Wachstumsrichtung von Nervenzellen wird vom Organismus streng kontrolliert. Eines der beteiligten Proteine ist offensichtlich auch an der Entscheidung beteiligt, wo neue Blutbahnen gebildet werden dürfen. Dadurch wird unsere einfache Vorstellung von der Genese des Blutkreislaufs in Frage gestellt. Gleichzeitig eröffnen sich neue Ansätze für die Therapie verstopfter Blutgefäße.
Michael Klagsbrun vom Children's Hospital und seine Kollegen von der Harvard Medical School beschreiben in ihrer Studie die molekularen Übereinstimmungen dieser angeblich getrennten Organsysteme (Cell vom 20. März 1998).

Ihre Untersuchung umfaßt zwei rasant wachsende Forschungsgebiete. Eines ist die Angiogenese – das Wachstums neuer Blutgefäße –, die hauptsächlich während der Entwicklung des Organismus stattfindet, aber auch im Menstruationszyklus, bei Wundheilung und bei Krebs. Das zweite Feld befaßt sich mit der Frage, wie die Billion der Neuronen im wachsenden Gehirn ihr Geflecht der Verbindungen untereinander aufbaut.

Die Studie zeigt, daß die beiden Prozesse zumindest ein wichtiges Molekül gemeinsam haben. Der Wachstumsfaktor VEGF (für vascular endothelial growth factor) initiiert die Bildung neuer Blutbahnen, die zum Beispiel Tumore versorgen. In Klagbruns Labor wurde er die letzten fünf Jahre erforscht. Shay Soker entdeckte während dieser Zeit einen neuen Rezeptor für den Faktor. Der Name des mittlerweile dritten bekannten Rezeptors für VEGF ist Neuropilin-1. Dieses Protein kommt im Gehirn vor und ist gleichzeitig ein Rezeptor für Liganden, die als Collapsine oder Semaphorine bezeichnet werden. Die Collapsine/Semaphorine gehören wiederum zu den Proteinen, welche bestimmen, wohin die Ausläufer der Nervenzellen, ihre Axone, wachsen dürfen. Klagsbrun meint, durch diese Ergebnisse sei gezeigt, daß VEGF nicht nur ein Wachstumsfaktor für Endothelzellen sei, sondern noch weitere Aufgaben wahrnehme.

Seine Arbeitsgruppe entdeckte, daß Zellen von Brust- und Prostatatumoren große Mengen an Neuropilin synthetisieren. Das erschien im ersten Moment verwirrend. Bisher dachten die Wissenschaftler, die Krebszellen gäben VEGF ab, welches durch das Gewebe diffundiert, an die beiden schon früher bekannten Rezeptoren von Endothelzellen nahegelegener Blutgefäße bindet und so die Bildung einer Blutbahn zum Tumor veranlaßt. Welchen Sinn hätte also ein dritter Rezeptor, der auch noch auf den Krebszellen selbst sitzt? Klagsbrun antwortet darauf, daß nach vorläufigen Ergebnissen VEGF den Ablauf des genetisch verankerten Selbstmordprogramms der Zelle blockieren kann.

Doch noch interessanter ist die Frage, welche Bedeutung diese Verbindung des Wachstums von Nervenzellen und Blutbahnen für die Embryonalentwicklung hat. Kann es sein, daß das Geflecht der Blutbahnen genauso umsichtig aufgebaut wird wie unser Gehirn? "Bisher hat wirklich noch niemand daran gedacht, daß dies für Blutbahnen zutreffen könnte. Wir dachten, man gibt einen Wachstumsfaktor hinzu, und die Gefäße wachsen in alle Richtungen. Nun fragen wir, ob es auch für Blutbahnen eine Art Leitsystem gibt", sagt Klagsbrun.

Sein Team untersucht zur Zeit, ob Neuropilin die Entwicklungsrichtung der Gefäße beeinflußt. Sie veränderten Endothelzellen gentechnisch, so daß diese Neuropilin enthielten sowie einen der altbekannten VEGF-Rezeptoren, der mit KDR bezeichnet wird. Einige Zellen hatten auf ihrer Oberfläche nur einen der Rezeptoren, andere beide. Die Wissenschaftler stellten fest, daß Zellen mit beiden Rezeptoren etwa doppelt so gut auf einen VEGF-Konzentrationsgradienten reagierten wie Zellen, die nur Neuropilin oder KDR besaßen.

Weitere Versuche, in denen die Funktionen der einzelnen Komponenten auf das Wachstum von Nervenzellen geprüft werden, werden in Zusammenarbeit mit Jonathan Raper von der University of Pennsylvania durchgeführt. Noch sind viele Fragen offen. Doch die Forscher hoffen, mit ihren Ergebnissen später das Wachstum von Blutgefäßen um Blockaden herum einleiten und Nervenzellen nach einem Schlaganfall vor dem Absterben bewahren zu können.

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