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News: Ein Hoch auf Murphy

Forschung ist eine ernste Angelegenheit: Wissenschaftler schlagen sich Nächte um die Ohren, um die Menschheit in ihrem Streben nach neuen Erkenntnissen voranzubringen. Zu ernst allerdings kann und sollte man so manches wohl doch nicht nehmen.
"Was schief gehen kann, geht schief." So oder so ähnlich kennt jeder Murphy's Law, kaum ein Gesetz wird wohl so häufig zitiert. Aber: Wer war Murphy? Wer hatte diese lapidare Weisheit ursprünglich geprägt?

Der Nachbar von Nick Spark kannte ihn – oder vielmehr sein Vater. Zunächst skeptisch, begab sich der Schriftsteller und Dokumentarfilmer daher auf Spurensuche und stieß dabei auf eine alte und immer wieder erzählte Geschichte aus den vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts, die von Air-Force-Piloten handelt, Experimenten zur Verträglichkeit von Beschleunigungskräften, dem schnellsten Mann der Welt, falsch gelöteten Drähten in einem Messinstrument und – einem Ingenieur namens Ed Murphy, der eben jene Worte vor sich hin gemurmelt haben soll. Durch wen und wann sie schließlich an die Öffentlichkeit gerieten, ließ sich allerdings nicht mehr klären – klar: Je aufwändiger eine Recherche ist, desto wahrscheinlicher bleibt sie letztendlich vergeblich. Murphy lässt grüßen.

Nur eines ist sicher: Geboren wurde das Gesetz offenbar im Jahr 1949 auf der Edwards Air Force Base, und beteiligt daran waren neben Ed Murphy noch John Paul Stapp, der in nahezu selbstmörderischer Manier die Auswirkungen von abrupten Bremsmanövern bei hohen Geschwindigkeiten an sich selbst testete – und dadurch viel zur heutigen Gurtpflicht beim Autofahren beitrug – sowie George Nichols, der zum betreuenden Team gehörte. Ihnen gebührt für diese entscheidende und einfach formulierte Erkenntnis, die alle Lebensbereiche durchzieht, der Ig-Nobelpreis für Ingenieurswissenschaften – jene Auszeichnung für Leistungen, die nicht wiederholt werden können oder sollten.

Auch beim Scheren von Schafen kann so einiges schief gehen, Schäfer wissen ein Lied davon zu singen. Grund genug, sich mit dem ganzen Prozedere genauer auseinanderzusetzen, um Sicherheits-Stolpersteine zu erkennen und zu beseitigen. Ausgesprochen stolprig können beispielsweise die Bahnen sein, auf denen die Schafe von den Männern mit der großen Schere herangezerrt werden, um ihrer Wolle zu Leibe zu rücken. Akribisch genau testeten Jack Harvey und John Culvenor von der australischen University of Ballarat mit ihren Kollegen verschiedene Baumaterialien, Neigungswinkel und Muskelkraft, entwickelten Formeln und Modelle, und siehe da: Leicht geneigt auf längs genagelten Holzlatten rutscht Schaf am besten – nicht Murphy, sondern Newton lässt grüßen. Für diese bahnbrechende Erkenntnis bekamen die Forscher den Ig-Nobelpreis für Physik.

Akribie scheint auch ein Steckenpferd von John Trinkaus zu sein, seines Zeichens Professor an der Zicklin School of Business in New York. Er beschäftigt sich mit den wirklich elementaren Dingen des Lebens, und das auf statistisch höchst lobenswerte Weise: Wie viele Jugendliche tragen den Schirm ihrer Baseballkappen nach hinten statt nach vorn, wie viele Autofahrer halten nur fast an Stoppschildern an, welcher Prozentsatz der Kunden hat mehr Artikel in ihrem Wagen, als an der Schnellkasse erlaubt sind, und wie viele Studenten mögen keinen Blumenkohl? Nur vier Beispiele von hunderten detaillierten Analysen, deren Lektüre uns die Augen öffnet für die wahren wichtigen Fragen unseres Daseins. Keine Frage daher: Der Ig-Nobelpreis für Literatur darf zukünftig seinen Schreibtisch schmücken.

Schmücken sollten sich vielleicht auch Hühnerzüchter, wenn sie die Gehege betreten. Denn die Eierproduzenten besitzen offenbar einen ausgeprägten Sinn für Schönheit, wie Stefano Ghirlanda, Liselotte Jansson und Magnus Enquest von der Stockholm University herausfanden – zumindest, wenn sie dazu erzogen werden. Die Wissenschaftler hatten ihre Küken von klein auf darauf trainiert, nur auf männliche oder weibliche Durchschnittsgesichter zu reagieren – kein Problem. Doch Durchschnitt reicht auch Hühnern nicht: Vor die Wahl gestellt, pickten sie sich anschließend, einmütig mit studentischen Versuchskaninchen, die besonders gut aussehenden Exemplare heraus. Für die Autoren der klare Hinweis: Schönheit liegt nicht im Auge des Betrachters, sondern irgendwo vergraben in den Tiefen seines Nervensystems. Für diesen aufschlussreichen Beitrag zum Kampf der Geschlechter auch über Artgrenzen hinweg ehrt sie die Jury mit dem Ig-Nobelpreis für interdisziplinäre Forschung.

Auch schön, aber offenbar nicht in den Augen von Tauben, zeigte sich eine Bronzestatue in der japanischen Stadt Kanazawa: Sonst begeistert über jeden Sitzplatz auf städtischem Gelände, machten die Tiere einen großen Bogen um das Kunstwerk. Stimmte die Chemie nicht zwischen Kultur und Kulturfolger? Yukio Hirose von der ortsansässigen Universität versuchte dem Rätsel auf den Grund zu gehen – und erhält für seine Bemühungen den Ig-Nobelpreis für Chemie.

In den Augen des Betrachters nicht unbedingt schön, aber auf jeden Fall einfach gestrickt sind offenbar Politiker. Das belegte der Psychologe Philip Zimbardo von der Stanford University durch eine Umfrage unter italienischen Studenten zu Silvio Berlusconi und Roman Prodi. Normalerweise nutzt der Mensch fünf grundlegende Wesenszüge, um die Persönlichkeit eines anderen zu beschreiben: Energie/Extrovertierheit, angenehmes Wesen/Freundlichkeit, Pflichtbewusstsein, emotionale Stabilität/Labilität und Intelligenz/Offenheit gegenüber Neuem. Für die beiden Politiker allerdings reichten den Studenten zwei – Energie/Innovation und Ehrlichkeit/Vertrauenswürdigkeit. Kaum mehr Facetten gestanden amerikanische Studenten Bill Clinton und Bob Dole zu. Wie die Ergebnisse wohl bei uns aussähen? Hoffentlich animiert der Ig-Nobelpreis für Psychologie Zimbardo dazu, seine Arbeiten international noch weiter auszudehnen.

Vielleicht käme er dabei auch nach Liechtenstein, jenem kleinen, versteckten Ministaat mit idyllischer Postkartenkulisse. Wer so entspannende Umgebung bietet, sollte nicht nur an internationalen Finanzdepots verdienen, sondern seine Natur vermarkten – fand jedenfalls Karl Schwärzler. Und daher gilt bei Xnet – Rent a Village: Mietet Liechtenstein für Hochzeiten, Tagungen, Tauffeiern und sonstige Gelegenheiten. Wer mag, darf nach der Schlüsselübergabe sogar die Nationalflagge gegen das Firmenemblem austauschen. Die Maximalbelegung steht wahrscheinlich im Kleingedruckten, aber die Geschäftsidee mag lohnenswert sein – belohnenswert auf jeden Fall mit dem Ig-Nobelpreis für Wirtschaft.

Taxifahrer haben sicher ein leichtes Leben in jenem Zwergstaat zwischen Schweiz und Österreich. Ganz anders ihre Kollegen in London: Wer hier Fahrgäste kutschieren möchte, muss erst einmal beweisen, dass er den Stadtplan in- und auswendig kennt. Das braucht eine Menge Übung bis zum Meister – und hinterlässt eindeutige Spuren im Gehirn der Cabby Driver: Ihr Hippocampus, Schaltzentrale bei Lernprozessen, ist deutlich größer und anders geformt als bei ihren orientierungslosen Mitmenschen. Navigationsvermögen auf den Punkt gebracht und der Ig-Nobelpreis für Medizin für die Forscher.

Hätte jene Ente, die am 5. Juni 1995 zu enge Bekanntschaft mit der Fensterfront des Naturmuseums in Rotterdam machte, über derartige innere Planquadrate verfügt, wäre sie vielleicht noch am Leben – aber dafür nicht Literaturgestalt der Wissenschaftswelt geworden. Denn was Kees Moeliker damals beobachtete, bietet Stoff für eine tierische Doku-Soap: Ein zweiter Erpel, der den zu Tode gekommenen Geschlechtsgenossen offenbar verfolgt hatte, vergaß in seiner Rage wohl jeden vernünftigen Gedanken. Er stürzte sich direkt auf das am Boden liegende Tier – und vergewaltigte es, 75 Minuten lang. Moeliker traute seinen Augen kaum und dokumentierte den Vorgang minutiös in einer Veröffentlichung zum ersten Fall von homosexueller Nekrophilie bei Stockenten. Für dieses Schriftstück, das tiefe Einblicke in die Abgründe entlichen Verhaltens bietet, bekommt er den Ig-Nobelpreis für Biologie.

Ebenso überraschend kam die Ruhe in Frieden für Lal Bihari aus dem indischen Staat Uttar Pradesh – zumal er gar nicht tot war. Als der Bauer in den siebziger Jahren auf der Bank einen Kredit aufnehmen wollte, wurde ihm dieser verweigert: Laut offiziellen Angaben war Bihari gestorben und sein Land in den Händen gieriger Verwandtschaft. Bihari aber glaubte nicht an Gespenster, schon gar nicht an sein eigenes, und kämpfte für sein Land und sein Leben, zum Teil mit recht ungewöhnlichen Methoden: Er ließ sich verhaften, entführte den Sohn eines Onkels, beantragte eine Witwenrente für seine Frau, schrieb Pamphlete ohne Ende und versuchte sich als Politiker.

Aber er hatte kein Glück: Entweder wurde er verprügelt oder verwarnt, weil er die wertvolle Zeit von Staatsdienern verschwende. Als er Jahre später endlich Erfolg hatte, gab er dem diebischen Onkel das Land postwendend zurück, weil dieser so inständigst um Verzeihung gebeten hatte. Bihari dagegen kehrte dem Bauernleben den Rücken und nahm den Kampf mit den Behörden und den langsam mahlenden Justizmühlen auf, um tausenden anderen offiziell toten Lebenden in der Region zu helfen: Engagement, das eigentlich wiederholt werden kann und sollte – und doch wahrlich genug Anlass für den Ig-Nobelpreis für Frieden.

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  • Quellen
Biologie: Deinsea 8: 243–247 (2001)

Ingenieurswissenschaften: Annals of Improbable Research 9(5) (2003), Volltext

Interdisziplinäre Forschung: Human Nature 13(3): 383–9 (2002)

Literatur: Annals of Improbable Research 9(3) 2003, Volltext

Medizin: Proceedings of the National Academy of Sciences 97(8): 4398–403 (2000)

Physik: Applied Ergonomics 33(6): 523–31 (2002)

Psychologie: Nature 385: 493 (1997)

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