Schwarze Löcher: Neuer Hinweis auf ein Schwarzes Loch der Mittelklasse

Schwarze Löcher gehören zu den rätselhaftesten Objekten in unserem Universum. Ihre Dichte und ihre Gravitationswirkung sind so hoch, dass nichts, was sich ihnen zu sehr annähert, wieder entkommen kann – das gilt sogar für Licht. Zu Beginn des letzten Jahrhunderts waren Schwarze Löcher nur eine theoretische Vorhersage von Albert Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie. Doch mittlerweile gibt es seit mehr als 50 Jahren zahlreiche astronomische Beobachtungen, die ihre Existenz belegen.
Zwei Klassen
Am unteren Ende der Skala – mit Massen zwischen rund 3 bis 150 Sonnenmassen – befinden sich die stellaren Schwarzen Löcher. Sie entstehen, wenn ein massereicher Stern seinen nuklearen Brennstoff verbraucht hat und als Supernova explodiert. Dabei kollabiert sein Kern, und ein Schwarzes Loch bleibt zurück. Erste Nachweise für diese Objektklasse lieferte die starke Röntgenstrahlung von Material, das von dem Schwarzen Loch akkretiert, also aufgenommen, wird und sich dabei extrem aufheizt. Im Jahr 1971 erfolgte mit Cygnus X-1 im Sternbild Schwan (lateinisch: Cygnus) die erste Entdeckung dieser Art von Röntgenquelle. Das vom Schwarzen Loch aufgesammelte Material stammt von einem Begleitstern.
In jüngerer Zeit ließen sich zahlreiche stellare Schwarze Löcher auch über Gravitationswellen nachweisen. Diese werden ausgesendet, wenn zwei von ihnen sich eng umkreisen und schließlich miteinander verschmelzen. Außerdem konnten Forschende bereits drei Schwarze Löcher mit Daten des Astrometriesatelliten Gaia nachweisen, indem sie die Umlaufbahnen von Begleitsternen präzise vermessen haben und so die Masse des Schwarzen Lochs bestimmen konnten.
Am anderen Ende der Masseskala liegen die extrem massereichen Schwarzen Löcher, die sich typischerweise in den Zentren von Galaxien befinden. Sie können die 100 000- bis über 1010-fache Masse unserer Sonne erreichen. Das prominenteste Exemplar ist vermutlich Sagittarius A* (Sgr A*) mit vier Millionen Sonnenmassen im Zentrum unseres Milchstraßensystems. Nachdem es zunächst als Radioquelle identifiziert worden war, konnten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mittlerweile zahlreiche Sterne auf ihren Umlaufbahnen um das Schwarze Loch verfolgen. Diese Entdeckung wurde im Jahr 2020 mit dem Physiknobelpreis geehrt. Mit dem Event Horizon Telescope konnte schließlich sogar ein Radiobild der direkten Umgebung um dieses Schwarze Loch erstellt werden. Ein weiteres bekanntes Beispiel mit einer noch viel größeren Masse befindet sich im Zentrum der elliptischen Galaxie Messier 87.
Mittelschweres Bindeglied
Der Entstehungsprozess der extrem massereichen Schwarzen Löcher ist ein bisher ungelöstes Rätsel der Astrophysik. Da wir in weit entfernten Galaxien, und damit in der Frühzeit des Universums, schon Beispiele für solche riesigen Schwarzen Löcher beobachten können, müssen diese ihre Masse innerhalb von nur wenigen hundert Millionen Jahren erreicht haben. Das ist für kosmische Maßstäbe ein sehr kurzer Zeitraum. Die meisten Theorien zur Entstehung der extrem massereichen Schwarzen Löcher beinhalten leichtere Schwarze Löcher als Keimzellen. Wie diese Keimzellen jedoch entstehen und wie sie anschließend Masse gewinnen können, ist noch nicht abschließend geklärt.
Ein möglicher Schlüssel liegt in einer dritten, noch weitgehend unerforschten Gewichtsklasse: den mittelschweren Schwarzen Löchern (englisch: intermediate-mass black holes, IMBHs). Diese liegen mit einer Masse von 100 bis 100 000 Sonnenmassen genau zwischen den beiden bekannten Kategorien. Man vermutet mittelschwere Schwarze Löcher in den Zentren von Zwerggalaxien und massereichen Sternhaufen, wo sie allerdings schwierig nachzuweisen sind: Sie sind bei Weitem nicht so zahlreich wie die bisher entdeckten stellaren Schwarzen Löcher und häufig auch weiter entfernt als diese; zudem haben sie wegen ihrer vergleichsweise geringen Masse keine so leuchtstarke Materiescheibe um sich herum wie extrem massereiche Schwarze Löcher. Auch ihr Einfluss auf Sterne in ihrer Umgebung ist geringer, weshalb bisher wenige Kandidaten ausgemacht wurden. Außerdem wird die Mittelklasse Schwarzer Löcher in ultrahellen Röntgenquellen (englisch: ultraluminous X-ray sources, ULXs) vermutet. Ihre enormen Röntgenleuchtkräfte lassen sich in einigen Fällen nur so erklären, dass Materie in einer Akkretionsscheibe in ein mittelschweres Schwarzes Loch einstürzt.
Ein fossiler Zeuge
Omega Centauri (ω Cen) ist der hellste und massereichste Kugelsternhaufen in unserem Milchstraßensystem (siehe »Dicht gepackt«). Er kann mit bloßem Auge als nebliger Fleck 4. Größe am Südhimmel im Sternbild Zentaur (lateinisch: Centaurus) beobachtet werden, und bereits mit einem kleinen Teleskop lassen sich einzelne Sterne auflösen. Auf Grund seiner relativen Nähe zur Sonne von etwa 17 700 Lichtjahren können die Sterne in ω Centauri im Detail untersucht werden. Schon seit einigen Jahrzehnten haben verschiedene besondere Eigenschaften der Forschungsgemeinde Rätsel aufgegeben: Im Vergleich zu anderen Kugelsternhaufen, die typischerweise aus Sternen mit sehr ähnlichem Alter und gleichförmiger chemischer Zusammensetzung bestehen, zeigt ω Centauri eine Vielzahl unterschiedlicher Sternpopulationen.
Ihr Entstehen war lange ein Rätsel, aber die wahrscheinlichste Theorie ist, dass ω Centauri der übrig gebliebene Kern einer Zwerggalaxie ist, die vor mehreren Milliarden Jahren mit dem Milchstraßensystem verschmolzen ist. Während sich die Außenbereiche dieser Galaxie unter dem Einfluss von Gezeitenkräften verstreuten, blieb der dichte Kern durch seine eigene Schwerkraft gebunden und konnte so das Verschmelzen überstehen. Beide Eigenschaften machen ω Centauri zu einem einzigartigen Objekt: Zum einen ist der Kugelsternhaufen ein Zeuge der Entstehungsgeschichte des Milchstraßensystems und zum anderen ein Beispiel für die innerste Region einer Zwerggalaxie, deren Entwicklung vor mehreren Milliarden Jahren unterbrochen wurde.
Genau aus diesen Gründen ist ω Centauri seit fast 20 Jahren ein Ziel für die Suche nach einem mittelschweren Schwarzen Loch. Dennoch stehen Forschende weiter vor Herausforderungen: Wegen seiner ausgedehnten Kernregion ist es im Fall von ω Centauri nicht einfach, das genaue Zentrum zu bestimmen. Außerdem beinhaltet der Haufen vermutlich eine große Anzahl an stellaren Schwarzen Löchern, die ebenfalls Einfluss auf die Bewegung der Sterne haben. Es ist schwierig, die Summe dieser Effekte von dem Wirken eines einzelnen mittelschweren Schwarzen Lochs zu unterscheiden. Ein letzter Grund, warum bisher an seiner Existenz gezweifelt wurde, ist, dass trotz zahlreicher Beobachtungen bisher keine schnellen Sterne in unmittelbarer Nähe des vermuteten Schwarzen Lochs nachgewiesen werden konnten.
Geschwindigkeiten bestimmen
Die Bewegung eines Sterns im Raum lässt sich in zwei Komponenten zerlegen, die man mit verschiedenen Methoden messen kann: Die Radialgeschwindigkeit – also die Bewegung zur Sonne hin oder von ihr weg – kann mit Hilfe des Sternspektrums bestimmt werden. Dazu betrachtet man, wie stark bekannte Absorptionslinien durch den Dopplereffekt blau- oder rotverschoben erscheinen. Die andere Komponente, die Eigenbewegung, beschreibt die scheinbar zweidimensionale Bewegung der Sterne an der Himmelskugel. Für diese Art von Messung sind mehrere Beobachtungen mit hoher Präzision und über einen längeren Zeitraum notwendig.
Mit dem Weltraumteleskop Hubble können Eigenbewegungen besonders gut gemessen werden. Die Schwerelosigkeit im Weltraum und die Abwesenheit der Erdatmosphäre sorgen dafür, dass die Abbildungsqualität des Teleskops ausgezeichnet und seit mehreren Jahrzehnten stabil ist. Für ω Centauri gibt es außerdem einen einzigartigen Datensatz im Archiv des Teleskops: Um die Instrumente von Hubble zu kalibrieren, werden seit mehr als 20 Jahren in regelmäßigen Abständen Aufnahmen des Zentrums von ω Centauri angefertigt. Die hohe Anzahl von Sternen erlaubt es, kleinste Veränderungen der Instrumente zu erkennen und zu korrigieren. Gleichzeitig lassen sich die Bilder wissenschaftlich auswerten.
Neuer Blick auf alte Daten
Diese Daten lagen ungenutzt im Archiv, bis Nadine Neumayer vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg und Anil Seth von der University of Utah in den USA ein Projekt ins Leben riefen, um die Beobachtungen von ω Centauri noch einmal im Detail zu studieren. Die aufwendige und komplexe Datenreduktion wurde ein Hauptbestandteil meiner Doktorarbeit und beinhaltete zahlreiche Schritte: Zunächst mussten die Sternpositionen in allen Einzelbildern genau vermessen werden. Durch die gute Abbildungsqualität von Hubble gelingt das je nach Helligkeit des Sterns mit Genauigkeiten von unter einem Prozent eines Pixels. Insgesamt kamen mehr als 100 Millionen Einzelmessungen zusammen, die dann in den nächsten Schritten ihren jeweiligen Sternen zugeordnet werden mussten. Schließlich konnten wir danach für jeden Stern die Eigenbewegung bestimmen. Der so entstandene Katalog enthält Bewegungsmessungen für ungefähr 1,4 Millionen Sterne und ist der bisher größte für einen Sternhaufen überhaupt. Er ist öffentlich verfügbar und wird bereits für zahlreiche unterschiedliche wissenschaftliche Projekte genutzt.
Sieben Temposünder
Der im vorhergehenden Abschnitt beschriebene Sternkatalog erlaubt einen genauen Blick auf die Dynamik der Sterne in ω Centauri. Wie in einem Bienenschwarm bewegen sich alle Sterne in zufällige Richtungen. Die kollektive Schwerkraft der Sterne verhindert dabei, dass sich die einzelnen Sterne zu weit von dem Haufen entfernen können. Mit Hilfe theoretischer Modelle lässt sich dabei die Fluchtgeschwindigkeit des Haufens bestimmen: Bewegt sich ein Stern im Zentrum von ω Centauri schneller als 62 Kilometer pro Sekunde, kann er dem Gravitationsfeld des Haufens entkommen und würde nie wieder zurückkehren. Man erwartet, dass nur wenige Sterne derart rasant unterwegs sind, weil sich ω Centauri sonst längst aufgelöst hätte. Und tatsächlich konnten wir lediglich eine kleine Anzahl solcher schnellen Sterne nachweisen, allerdings mit einer überraschenden Ausnahme: In einem sehr kleinen Bereich genau im Zentrum des Haufens fanden wir sieben Sterne mit einer Geschwindigkeit oberhalb der Fluchtgeschwindigkeit. Der schnellste – und zugleich zentrumsnächste – Stern erreicht mit 113 Kilometern pro Sekunde sogar fast den doppelten Wert (siehe »Rekordhalter«). Und das ist bloß eine untere Grenze, weil zu dieser Eigenbewegung noch seine bisher unbekannte Radialgeschwindigkeit addiert werden muss.
Die starke Konzentration der schnellen Sterne lässt sich nicht mit einer zufälligen Schwankung oder mit Vordergrundsternen des Milchstraßensystems erklären (siehe »Zentrale Häufung«). Sie weist daher auf einen Mechanismus hin, der die Sterne trotz ihrer hohen Geschwindigkeit im Zentrum festhalten kann. Einfache Berechnungen zeigen, dass ausschließlich ein Objekt mit einer Masse von mindestens 8200 Sonnenmassen eine ausreichend starke Anziehungskraft ausüben kann. Das einzige Objekt, das diese große Masse erreichen kann, ist ein mittelschweres Schwarzes Loch. Anhand von Vergleichen mit numerischen Modellen gehen wir von einem oberen Massenlimit von zirka 50 000 Sonnenmassen aus, aber es werden verbesserte Modelle benötigt, um dies abschließend zu klären.
Ausblick
Die schnellen Sterne im Zentrum von ω Centauri sind der vielleicht überzeugendste Beleg für die Existenz mittelschwerer Schwarzer Löcher. Das jetzt entdeckte Exemplar liegt der Erde näher als das bestens erforschte Schwarze Loch im Zentrum unserer Galaxis, das 27 000 Lichtjahre entfernt ist. Trotzdem sind längst noch nicht alle Fragen geklärt. Als nächsten Schritt wollen wir die Masse des Schwarzen Lochs in ω Centauri genau berechnen, statt nur eine untere Grenze angeben zu können. Hierfür müssen die Umlaufbahnen der neu entdeckten Sterne genauer bestimmt werden. Dazu können die Spektren der Sterne genutzt werden, aus denen sich die bisher unbekannten Radialgeschwindigkeiten der Sterne bestimmen lassen. Ein Antrag für entsprechende Beobachtungen mit dem James Webb Space Telescope (JWST) wurde bereits genehmigt, und die Messungen werden im Sommer 2025 erfolgen. Mit etwas mehr Zeit und dem im Bau befindlichen Extremely Large Telescope (ELT) der Europäischen Südsternwarte wird es in einigen Jahren auch möglich werden, die Beschleunigung der Sterne durch die Anziehungskraft des Schwarzen Lochs direkt nachzuweisen, ähnlich zu den Messungen, die im Zentrum des Milchstraßensystems bei Sgr A* durchgeführt werden.
Unser Blick richtet sich zudem auf die anderen, masseärmeren Kugelsternhaufen in unserer Galaxis. Falls es in diesen ebenfalls mittelschwere Schwarze Löcher gibt, sind diese durch ihre vermutlich geringere Masse schwieriger nachzuweisen als in ω Centauri. Erst wenn es gelingt, eine größere Anzahl an mittelschweren Schwarzen Löchern zu finden, können wir ihre Häufigkeit und ihre Entstehungsmechanismen verstehen. Der Fund in ω Centauri ist dabei ein wichtiger Schritt, aber erst der Anfang.
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