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Röntgensignal: Ein sensationell mittelmäßiges Schwarzes Loch

Bislang kennen wir Schwarze Löcher nur in extrem schwerer und sehr leichter Ausführung. Nun haben Forscher eines entdeckt, das zwischen den beiden Extremen liegt.
Ein Stern wird von einem Schwarzem Loch zerrissen

Im Reich der Extreme liegt das Außergewöhnliche manchmal im Mittelmaß. Die vermutlich extremsten Objekte des Universums, die Schwarzen Löcher, kennen wir bislang nur in gewaltiger und in recht kleiner Ausführung. Nicht bekannt war hingegen ein Schwarzes Loch mittlerer Masse – ein Intermediate Mass Black Hole (IMBH), dessen Masse irgendwo zwischen den wenigen Sonnenmassen wiegenden Überresten eines sterbenden Sterns und den Millionen Sonnenmassen schweren extrem massereichen Giganten im Zentrum von Galaxien liegt. Mit dem Weltraumteleskop-Urgestein Hubble wollen Wissenschaftler nun einen solch außergewöhnlichen Durchschnittskandidaten von gut 50 000 Sonnenmassen gefunden haben: Das gab ein Forscherteam um Dacheng Lin im Fachjournal »Astrophysical Journal Letters« bekannt.

Als Kandidat mit Potenzial war 3XMM J215022.4-055108 den Astronomen bereits seit dem Jahr 2015 aktenkundig: Am Rand einer riesigen elliptischen Galaxie entdeckten die Röntgenteleskope Chandra und XMM-Newton eine ultraleuchtkräftige Röntgenquelle. Dass die Strahlung nicht aus dem zugehörigen galaktischen Zentrum stammte, wie für gewöhnliche extrem massereiche Schwarze Löcher üblich, weckte Hoffnung. Denn im Gegensatz zu ihren großen Geschwistern sind mittelschwere Schwarze Löcher zum Teil kaum aktiv und dann schwer aufzuspüren. Doch ihr Hunger kann sie verraten: Wenn ein Schwarzes Loch einen Stern zerreißt, wird Strahlung frei, die der beobachteten Röntgensignatur ähnelt. Trotzdem konnten die Forscher sich nicht absolut sicher sein: Aus welcher Entfernung der Strahlungsausbruch stammte, war unklar; die Daten hätten ebenso gut zu einem Neutronenstern innerhalb unserer Milchstraße gepasst, der sich von der Hitze einer ausgiebigen Mahlzeit abkühlt. Eine genauere Entfernungsbestimmung musste her.

Dazu nutzten die Astronomen noch einmal XMM-Newton – und das Weltraumteleskop Hubble, das die Quelle des Signals im sichtbaren Licht aufnahm. Sie entdeckten einen dichten Sternhaufen (siehe Bild unten) – und stellten fest, dass er nicht aus einer Ansammlung von Neutronensternen bestehen konnte. Auch die Entwicklung der Röntgenleuchtkraft, die als Funktion der Temperatur abnimmt, bestätigt das Schwarze Loch. Es befindet sich wohl im Zentrum des Sternhaufens – möglicherweise ist es die Leiche einer benachbarten Zwerggalaxie, die von der Gravitation des elliptischen Riesen auseinandergerissen wurde.

Hubble-Bild der Röntgenquelle | Dort, wo das verdächtige Signal herkam, entdeckte Weltraumteleskop Hubble einen Sternhaufen (eingekreist). Um die elliptische Galaxie herum, in deren Reichweite der Sternhaufen sich befindet, gruppieren sich zahlreiche Hintergrundgalaxien.

Solche Sternhaufen sind genau der Ort, wo Forscher Schwarze Löcher der Mittelklasse erwartet hätten. Die Entdeckung passt also perfekt ins Bild, das sich die Wissenschaftler bislang von diesen Objekten machen. Mittelgroße Löcher sind nötig, um eine Lücke in unserem Verständnis der Entstehung ihrer großen Brüder in Galaxienzentren zu schließen: Denn auch die gewaltigsten Schwarzen Löcher haben einmal klein angefangen – als Endzustand sterbender Sterne – und sind im Lauf der Jahrmillionen durch Aufsammeln von Materie und Verschmelzen zu ihrer heutigen Größe angewachsen. Das jedenfalls ist die plausibelste Erklärung dafür, wie bereits wenige hundert Millionen Jahre nach der Geburt des Universums die ersten Riesen in Galaxienzentren auftauchen konnten. Auch wenn seine Existenz noch nicht zu 100 Prozent gesichert ist, stützt das neu entdeckte Schwarze Loch der Mittelklasse diese Theorie – und öffnet die Tür für die Suche nach weiteren Kandidaten.

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