Direkt zum Inhalt

News: Ein Näschen für die Kombinatorik

Wir Menschen schätzen unseren Geruchssinn oft nicht besonders hoch ein. Aber obwohl er hinter dem vieler unserer vierbeinigen Freunde zurücksteht, können wir immer noch eine unglaubliche Anzahl von Geruchsnuancen wahrnehmen, und das, obohl wir nur etwa eintausend verschiedene Rezeptorypen haben. Möglich wird das, weil die Signale einzelner Rezeptoren mittels eines bestimmten Codes kombiniert werden. Unsere Nase ist also eine recht effiziente Chiffriermaschine. Vielleicht erhöht die Kenntnis dieser Tatsache ja unseren Respekt.
Wir riechen Dinge mit Hilfe der flüchtigen Chemikalien, die sie abgeben: Diese werden von den Rezeptoren auf den Millionen sensorischer Nervenzellen entlang der Innenauskleidung der Nase aufgenommen. Molekulare Analysen haben jedoch gezeigt, daß es nicht mehr als etwa eintausend verschiedene Arten solcher Rezeptoren gibt. Wie also können wir dann die unzähligen unterschiedlichen flüchtigen Chemikalien – oder Duftstoffe – unterscheiden, die in unserer Umwelt vorkommen?

Die Antwort lautet "kombinatorisches Codieren". Wissenschaftler vermuteten schon lange, daß unser Geruchssinn "kombinatorisch" ist. Jetzt haben Bettina Malnic und ihre Kollegen von der Harvard Medical School Hinweise gesammelt, die diese These belegen (Cell, 5. März 1999). Sie zeigen, daß die Nase eine raffinierte kombinatorische Codiermaschine ist, die eintausend Zeichen verwendet, um Millionen von unterschiedlichen Signalen zusammenzustellen, die am anderen Ende vom Riechhirn entschlüsselt werden können. Sollten Sie Zweifel an der Arithmetik hegen, dann denken Sie einfach daran, wieviele Wörter aus den 26 Buchstaben des Alphabets gebildet werden können.

Zuerst überprüften die Wissenschaftler, ob jede Geruchsnervenzelle tatsächlich nur eine Art von Rezeptor besitzt, Voraussetzung für jedes einfache Codiersystem. Dabei entdeckten sie, daß eine einzige Rezeptorart mehrere unterschiedliche Moleküle erkennen kann. Wenn ein Molekül eines dieser Gerüche auf den Rezeptor trifft, erzeugt die Nervenzelle ein Signal. Bisher ist das nicht gerade aufregend. Allerdings kann, wie die Forscher ebenfalls zeigten, auch umgekehrt derselbe Geruch von mehreren unterschiedlichen Rezeptoren erkannt werden. Dies ist der Schlüssel für ein Codiersystem, in dem ein bestimmter Geruch durch der einzigartigen Kombination von Rezeptoren, die er aktiviert, erkannt werden kann. Dies bedeutet, daß jedes unterschiedliche Duftmolekül einen einmaligen Code besitzt.

Malnic und Kollegen prüften ihre Hypothese, indem sie die Empfindlichkeit von hunderten gezüchteter Geruchsnervenzellen von Ratten auf ungefähr zwanzig unterschiedlich duftende Chemikalien testeten. Erkennt eine Geruchsnervenzelle einen Duftstoff, dann setzt sie eine große Menge von Calciumionen frei. Diese wurden durch ionensensitive Farbstoffe dedektiert, die bei Anwesenheit von Calcium fluoreszieren. Nachdem die Forscher die Nervenzellen identifiziert hatten, die auf einen bestimmten Geruch reagieren, untersuchten sie jede Nervenzelle einzeln auf ihre Rezeptorart. Dabei benutzten sie hochempfindliche Methoden, um die Expression der Rezeptorgene nachzuvollziehen. Sie machten die Entdeckung, daß eine Zelle mit einer bestimmten Rezeptorart für mehrere unterschiedliche Gerüche sensibel ist – im Durchschnitt sind es vier – und daß Nervenzellen mit unterschiedlichen Rezeptoren auf denselben Duftsstoff reagierten.

Das Team fand auch heraus, daß eine leichte chemische Veränderung in einem Duftmolekül oder eine Variation der Konzentration den "Code" verändert. Dies erklärt das bisher verblüffende Phänomen, daß sehr kleine molekulare Veränderungen, oder Veränderungen in der Konzentration den Geruch vollständig verändern können. Der Alkohol Octanol zum Beispiel besitzt einen an Rosen oder auch Orangen erinnernden Duft, Oktansäure hingegen, bei der die Hydroxylgruppe des Octanols durch eine Carboxylgruppe ersetzt wird, riecht nach Schweißfüßen. Dies wird nun erklärt durch die Tatsache, daß auf Octanol eine Kombination aus vier unterschiedlichen Rezeptoren reagiert, während die Oktansäure von diesen und noch vier weiteren Rezeptoren erkannt wird.

Eine der wichtigsten Anforderungen an ein Codiersystem ist die nach einer korrekten Übereinstimmung zwischen einem Zeichen im Code und seiner Bedeutung. Im Geruchssystem wird dies durch direkte Verknüpfungen zwischen den Nervenzellen mit einer bestimmten Rezeptorart und einer Gruppe definierter Stellen im Riechhirn erreicht. Obwohl Nervenzellen willkürlich in der Nase angeordnet sind, sind Zellen mit dem selben Typ von Rezeptoren immer mit den gleichen festgelegten Stellen im Riechhirn, der ersten Zwischenstation für Geruchssignale, verbunden.

Jeder Duft wird daher immer ein bestimmtes festes Muster an Neuronen im Gehirn "zünden". Die höheren Zentren im Gehirn enthalten objektive Regeln für die Interpretation dieser Muster als wahrgenommenen Geruch. Verbindungen zu anderen Teilen des Gehirns fügen die subjektiven Erfahrungen hinzu, die mit Gerüchen in Verbindung gebracht werden. Das ruft dann ganz unterschiedliche Erfahrungen und Emotionen hervor – denn die Chiffriermaschine in der Gesichtsmitte ist für unser Gefühlsleben wichtiger als wir oft wahrhaben wollen.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

  • Quellen

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.