News: Ein Nanoschalter zur Zellbindung
Fibronectin ist ein Hauptbestandteil des Netzwerkes zwischen den Zellen, das als extrazelluläre Matrix bezeichnet wird. Deren Funktion liegt im Zusammenhalt der Zellen, der Kommunikation zwischen ihnen, der Wirkung auf die Genexpression sowie weiterer Interaktionen der Zelle mit ihrer Umgebung. Die extrazelluläre Matrix ist daher von brennendem Interesse sowohl für Zellbiologien als auch für Medizintechniker, die künstliche Geräte für den Einsatz im menschlichen Körper entwickeln wollen.
Fibronectin besteht aus einer Kette sich wiederholender Module, von denen nur eines die für die Zelladhäsion verantwortliche Peptid-Schleife enthält. Nach den Ein-Buchstaben-Kürzeln der Aminosäuren Arginin (R), Glycin (G) und Aspartat (D) wird die Schleife auch als RGD-loop bezeichnet. Das entscheidende Modul FnIII10 besteht aus sieben verbundenen Beta-Faltblatt-Strängen, die in Schichten vorwärts und rückwärts verlaufen. Die Zell-bindende RGD-Schleife befindet sich zwischen den beiden letzten Faltblättern und ragt über das restliche Molekül hinaus. Vogel war neugierig, warum die Natur ein derartig langes und komplexes Molekül hervorgebracht hat, um eine Funktion zu erfüllen, die offenbar nur von dieser verhältnismäßig kleinen Schleife abhängt.
Die dreidimensionale Struktur des Moleküls war aus Analysen der Streuung von Röntgenlicht durch Kristalle des Protein bekannt. Mit Hilfe von Kraftmikroskopen und optischen Pinzetten hatten Wissenschaftler auch schon erfahren, welche Kraft notwendig ist, um das Molekül auseinander zu ziehen. Um aber zu entdecken, was beim Entfalten innerhalb des Fibronectins passiert, wandte sich Vogel an Klaus Schulten von dem zur University of Illinois gehörenden Beckman Institute for Advanced Science and Technology. Dessen Verfahren zur computergestützten Simulation der Moleküldynamik wandten sie auf Fibronectin an.
Die Forscher ahmten auf dem Computer das Verhalten des FnIII10-Moduls unter Zugspannung nach. Bei langsam ansteigender Kraft blieb das Molekül zunächst intakt, bis die Spannung einen kritischen Schwellenwert erreichte. Dann zerbrachen die Bindungen des unteren Stranges an die umgebenden Faltblätter, die ihn bislang an seiner Position gehalten hatten. Dadurch wurde die RGD-Schleife in Richtung auf das Proteininnere gezogen, entfaltet und gestreckt. Als Folge dieser Verformung war die Schleife nicht mehr exponiert und konnte keine Bindung an eine andere Zelle mehr vermitteln. Solange jedoch keine noch größere Kraft angelegt wurde, wurde das Protein aber nicht wesentlich verändert und konnte schnell wieder seine ursprüngliche Struktur samt der damit verbundenen Funktion einnehmen.
"Unser Experiment liefert die erste Beschreibung mit atomarer Auflösung von einem Schalter, der durch Zugspannung aktiviert wird und die Affinität eines Proteins reguliert, an Zellen zu binden", sagt Vogel. "Dadurch bekommen wir völlig neue Einblicke, wie die Natur möglicherweise Zugspannung nutzt, damit Zellen sich von der extrazellulären Matrix lösen und fortbewegen können. Diese Regulation der Zellbeweglichkeit ist unter anderem für die Embryonalentwicklung, die Wundheilung und die Metastasierung von Krebszellen wichtig."
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