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Quanteninformation: Der schwere Weg zum absoluten Temperaturnullpunkt

Physiker stellen eine neue Methode vor, um die tiefstmögliche Temperatur mit endlicher Energie und Zeit zu erreichen. Doch der Ansatz erfordert unendlich komplexe Quantencomputer.
Ein Kristallgitter mit gefrorenem Eis
Am absoluten Temperaturnullpunkt würden die Atome eines Kristallgitters einfrieren: Sie wären an ihrer Position gefangen.

In der Physik gibt es unerschütterliche Gesetze. Ein berühmtes Beispiel dafür ist der dritte Hauptsatz der Thermodynamik, wonach kein physikalisches System jemals die tiefstmögliche Temperatur von null Kelvin (minus 273,15 Grad Celsius) erreichen kann. Denn dafür müsste man, so die Theorie, entweder unendlich viel Energie oder Zeit aufwenden. Doch nun haben Physiker um Philip Taranto und Marcus Huber der TU Wien einen neuen Weg zum absoluten Temperaturnullpunkt gefunden: indem man ein Quantensystem perfekt kontrolliert. In der Praxis ist das genauso wenig umsetzbar wie das Zuführen unendlicher Energie oder unendlich lange Wartezeiten. Aber die Arbeit ermöglicht es, mehr über die Thermodynamik von Quantensystemen zu erfahren, was insbesondere für Quantencomputer wichtig ist.

Der dritte Hauptsatz der Thermodynamik geht auf den Physiker und Chemiker Walther Nernst zurück, der ihn bereits 1906 aufstellte. Er untersuchte damals die spezifische Wärme von gekühlten Substanzen und stellte fest, dass sich die Entropie – eine Art Maß für die Unordnung in einem System – mit abnehmender Temperatur immer weniger verändert und auf einen konstanten Wert zuläuft. Dieser schien nicht von anderen thermodynamischen Parametern abzuhängen. Da die Entropieänderung immer kleiner wird, schloss Nernst daraus, dass man unendlich viel Energie aufwenden müsste, um den Temperaturnullpunkt zu erreichen.

Doch Albert Einstein zeigte sich mit dieser Definition des »Wärmesatzes« von Nernst unzufrieden. Denn es fußte lediglich auf thermodynamischen Argumenten. Einstein merkte an, dass man die damals aufkeimende Quantentheorie in einen gültigen Beweis miteinbeziehen müsste. So gibt es auch eine quantenmechanische Definition der Entropie: Sie hängt von der Anzahl aller möglichen Zustände ab, die ein System mit einer bestimmten Energie annehmen kann. Bei einer Temperatur von null Kelvin wäre jedes System in seinem Grundzustand (jenem Zustand mit geringster Energie). Betrachtet man beispielsweise einen makroskopischen Kristall bei T = 0, dann gibt es nur einen Grundzustand: Die Atome nehmen einen festen Platz im Gitter ein, der die Gesamtenergie minimiert. Mikroskopische Quantensysteme können hingegen mehrere Grundzustände mit derselben niedrigsten Energie haben – deren Entropie nimmt am absoluten Temperaturnullpunkt entsprechend einen höheren Wert. Man nennt dies auch einen entarteten Grundzustand.

Nicht alle Quantensysteme erfüllen den Wärmesatz von Nernst

Wie sich in den 1980er und 1990er Jahren herausgestellt hat, gibt es Quantensysteme, die den Wärmesatz von Nernst nicht erfüllen. In diesen Fällen lässt sich durch äußere Einflüsse die Anzahl der Grundzustände verändern – damit ist die Entropie bei T = 0 in diesen Fällen keine thermodynamische Konstante.

Das führt zu der Frage, ob es dann möglich ist, den absoluten Temperaturnullpunkt zu erreichen. Einen Weg dorthin könnte das so genannte Landauer-Prinzip ermöglichen. Indem der Physiker Rolf Landauer die informationstheoretische Interpretation der Entropie verwendete, konnte er 1961 eine Verbindung zwischen Thermodynamik und Informationstheorie schaffen: Das Löschen von Information erzeugt Wärme. Dieser Vorgang konnte 2012 experimentell bestätigt werden. Führt man also einem System Energie zu, damit es Informationen löscht, dann wird es dadurch abgekühlt. Und wie sich herausstellt, ist die benötigte Energiemenge, um auf diese Weise den absoluten Temperaturnullpunkt zu erreichen, stets endlich. Auf den ersten Blick scheint es also, als würde das Landauer-Prinzip dem dritten Hauptsatz der Thermodynamik widersprechen.

Quantensysteme kühlen durch das Löschen von Informationen ab

Das hätte insbesondere aus quantenmechanischer Sicht weit reichende Folgen: Bei einer Temperatur von null Kelvin befindet sich ein System wie ein Kristall im absoluten Grundzustand. Alle Teilchen befinden sich in Ruhe an einem Gitterpunkt. Demnach sind ihr Ort und ihre Geschwindigkeit exakt festgelegt – was der Heisenbergschen Unschärferelation widerspricht, wonach sich Ort und Geschwindigkeit von Quantenobjekten niemals gleichzeitig exakt bestimmen lassen. Doch wie sich herausstellt, erfordert die Kühlung nach dem Landauer-Prinzip unendlich lange Zeit – man müsste den Kristall extrem langsam abkühlen.

»Manche Quantensysteme könnten den absoluten Grundzustand sogar bei endlicher Energie und in endlicher Zeit erreichen – das hatte niemand von uns erwartet«Marcus Huber, Physiker

Damit schien auch die quantenmechanische Version des dritten Hauptsatzes der Thermodynamik gerettet. Die Fachwelt ging davon aus, dass man entweder unendlich viel Energie oder unendlich lange Zeiträume bräuchte, um die tiefstmögliche Temperatur zu erreichen. Doch sie irrten sich. »Man kann Quantensysteme definieren, die ein Erreichen des absoluten Grundzustandes sogar bei endlicher Energie und in endlicher Zeit erlauben – das hatte niemand von uns erwartet«, sagt Huber, Autor der aktuellen Studie, in einer Pressemitteilung der TU Wien.

Die Forscher um Huber und Taranto haben untersucht, wie man quantenmechanische Systeme möglichst effektiv abkühlen kann. Das spielt eine wichtige Rolle bei der Entwicklung von Quantencomputern: Einerseits, weil die quantenmechanischen Informationseinheiten (»Qubits«) extrem empfindlich auf äußere Einflüsse wie Wärme reagieren und daher bei tiefen Temperaturen betrieben werden. Andererseits ist es beim Ausführen von Quantenalgorithmen wichtig, die Informationen von Qubits nach den Berechnungen wieder zu löschen. Man präpariert sie so, dass sie sich in einem möglichst »reinen« Zustand befinden. Das entspricht aus physikalischer Sicht dem Erreichen eines absoluten Grundzustands, was theoretisch eine Temperatur von null Kelvin erfordert.

Auch wenn man niemals einen perfekt reinen Zustand erreichen kann, ist es hilfreich, die zu Grunde liegenden Mechanismen zu verstehen, um dem Ziel wenigstens nahe zu kommen. Weil Qubits so empfindlich sind, ist es wichtig, während des Prozesses möglichst wenig Energie zu verwenden (um etwa nicht zu viel Wärme zu erzeugen) und dabei schnell zu agieren, da die quantenmechanischen Zustände schnell zerfallen. Um ein System abzukühlen – was gleichbedeutend damit ist, Informationen zu löschen –, braucht man aber laut Nernst und Landauer entweder extrem viel Energie oder Zeit.

Mit möglichst wenig Energie und Zeitaufwand zum Ziel

Daher haben die Physiker der TU Wien in ihrer aktuellen Studie Methoden aus der Kontrolltheorie genutzt. Dieser Forschungsbereich beschäftigt sich damit, wie sich quantenmechanische Systeme von einem Anfangszustand in einen gewünschten Endzustand überführen lassen. Meist verwendet man dafür Laser, um die Wellenfunktion des Systems zu beeinflussen – damit lässt sich dann die zeitliche Entwicklung der quantenmechanischen Objekte steuern. Nichts anderes macht ein Quantencomputer: Die Quantengatter führen die Qubits von einem Anfangs- in einen Endzustand, was einer Quantenberechnung entspricht. Die Forscher haben nach einer Methode gesucht, um Qubits mit möglichst wenig Energie- und Zeitaufwand in einen reinen Zustand zu überführen – sprich: alle Informationen des Teilchens zu löschen.

Zu ihrer großen Überraschung konnten die Forscher mathematisch beweisen, dass sich das mit endlichem Energieaufwand in endlicher Zeit erreichen lässt. Allerdings »bräuchte man theoretisch einen unendlich komplexen Quantencomputer, der unendlich viele Teilchen perfekt kontrollieren kann«, so Huber. Denn der Prozess erfordert unendlich viele Quantengatter.

Damit behält Nernst Recht und der dritte Hauptsatz der Thermodynamik ist gerettet: Man braucht unendlich viele Ressourcen, um die tiefstmögliche Temperatur zu erreichen. Doch die Ressource muss nicht zwingend Zeit oder Energie sein, sondern es kann sich auch um die Komplexität der Quantenkontrolle handeln. Erreichbarer wird ein perfekt reiner Quantenzustand dadurch aber nicht. Glücklicherweise sind solche perfekten Zustände für Quantencomputer aber gar nicht nötig – es genügt, wenn sie nahe dran sind.

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