Direkt zum Inhalt

News: Ein nicht-invasiver Blick ins Gehirn

In der Gehirnforschung sind Wissenschaftler ganz besonders daran interessiert, Aufnahmen von Nervenzellen in Aktion zu bekommen. Ein Problem dabei ist, dass dafür zum Beispiel radioaktive Substanzen injiziert werden müssen, um Veränderungen sichtbar zu machen. Nun konnten Wissenschaftler die funktionelle Magnetresonanztomographie so weiterentwickeln, dass sie mit dieser nicht-invasiven Methode detaillierte Einblicke in Vorgänge der sinnliche Wahrnehmung und höherer kognitiver Funktionen erhalten können.
Weltweit suchen Gehirnforscher nach Möglichkeiten, Nervenzellgruppen (nerve cell clusters) zu kartografieren, wenn sie in Aktion sind – das heißt 'sprechend' mit ihresgleichen durch elektrische Impulse, während sie sensorische Informationen verarbeiten oder kognitive Funktionen ausführen.

Jedes Cluster, das aus Tausenden von Nervenzellen für einen bestimmten Verarbeitungsschritt besteht, wird als 'kortikale Kolumne' bezeichnet. Kortikale Kolumnen sind die 'Mikroprozessoren' des Gehirns. Nach Ansicht der Hirnforscher ist die genaue Kartografierung von kortikalen Kolumnen Voraussetzung für das Verständnis der erstaunlichen Leistungen des menschlichen Gehirns.

Bisher war dies Forschern jedoch nicht möglich. Sie mussten auf verschiedene indirekte Methoden wie Positronenemissionstomographie (PET), optische Bildgebung und funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRI) zurückgreifen.

Diese Methoden stützen sich auf eine über hundert Jahre zurückliegende Entdeckung Lord Sherringtons über den Zusammenhang zwischen elektrischer Aktivität des Gehirns und Veränderung der Durchblutung. Bei PET beispielsweise wird eine radioaktive Substanz in den Blutkreislauf injiziert und örtliche Veränderungen des Blutflusses gemessen, die durch die elektrische Aktivität im Gehirn hervorgerufen werden. Bei fMRI verfolgen Wissenschaftler Veränderungen des Spiegels hämoglobingebundenen Sauerstoffs im Blutkreislauf, die zu Stande kommen, da das Hämoglobin Sauerstoff an aktive Nervenzellen liefert.

FMRI ist gänzlich nichtinvasiv – ein entscheidender Vorteil gegenüber PET, bei der radioaktive Marker in die Blutbahn injiziert werden müssen. Daher kann fMRI zur Untersuchung desselben Gehirns über einen Zeitraum von mehreren Jahren verwendet werden, was Forscher möglicherweise in die Lage versetzt, die Manifestationen von Gedächtnis, Alterungsvorgängen oder der Wiedererlangung von Gehirnfunktionen nach einem Trauma oder Schlaganfall zu kartografieren und zu verfolgen. Bis vor Kurzem war der Genauigkeitsgrad dieser Techniken jedoch ziemlich eingeschränkt. Sie konnten einen aktiven Bereich im menschlichen Gehirn mit einem Genauigkeitsgrad von ein bis drei Millimetern (fMRI) beziehungsweise drei bis sieben Millimetern (PET) darstellen – die grundlegenden Verarbeitungseinheiten des Gehirns, die 0,5 Millimeter breiten 'Mikroprozessoren', wurden dabei nicht einzeln dargestellt.

In den vergangenen fünfzehn Jahren entwickelte Amiram Grinvald von der neurobiologischen Abteilung des Weizmann Instituts eine neue Methode der optischen Bildgebung zur Kartografierung des Gehirns. Sie stützt sich auf die Verfolgung von Farbveränderungen im Blut, das Sauerstoff an aktive Mikroprozessoren liefert. Mit Hilfe dieser Technik konnte Grinvald exakt den Zeitpunkt und den Ort feststellen, an dem Nervenzellen Sauerstoff aus der blutreichen Mikrozirkulation verbrauchen. Die hohe Auflösung der optischen Bildgebung erlaubte ihm eine vollständige Kartografierung einzelner kortikaler Kolumnen – der Mikroprozessoren des Gehirns. Darunter befanden sich Mikroprozessoren, die an der visuellen Wahrnehmung von Form, Farbe und Bewegung beteiligt sind. Die optische Bildgebung legte auch den Grundstein für die Entwicklung der fMRI, die sich für noninvasive Gehirnforschung am Menschen und klinische Anwendungen besser eignet. Anfänglich hofften Wissenschaftler, dass die Anwendung von fMRI denselben Genauigkeitsgrad erreichen würde wie die optischen Verfahren. In der Tat messen beide Methoden einen beachtlichen 'Aktivitätsgipfel', der rund sechs Sekunden nach dem Beginn der elektrischen Aktivität einsetzt.

Leider konnten die fMRI-Systeme nicht das 'Anfangstal' aufspüren – ein negatives Signal, das früher auftritt, und das bei optischen Bildgebungsverfahren deutlich sichtbar ist.

Ein Team von Wissenschaftlern der University of Minnesota, unter der Leitung von Kamil Ugurbil, griff von Grinvald geäußerte Verbesserungsvorschläge für die Methode auf. Zunächst fanden sie das fehlende 'Anfangstal' mit Hilfe der fMRI und konnten daher zeigen, dass beide Techniken dieselben Ereignisse im Blutkreislauf darstellen können, unter der Voraussetzung, dass die fMRI in einem starken Magnetfeld durchgeführt wird. (Genau wie bei der optischen Bildgebung gibt das 'Anfangstal' im Vergleich zum späteren 'Aktivitätsgipfel' ein kleineres Signal ab. Daher hatten fMRI-Forscher ganz selbstverständlich bislang den stärkeren 'Aktivitätsgipfel' zur Lokalisierung der elektrischen Aktivität genutzt.)

Die Forscher Dä-Shik Kim, Timothy Duong und Seong-Gi Kim aus Minnesota berichten jedoch in Nature Neuroscience vom Februar 2000, dass dieser 'Aktivitätsgipfel' nicht zum Verfolgen der genauen Lokalisation elektrischer Aktivität mit fMRI genutzt werden kann. Das wichtigste Ergebnis ihres Berichts ist, dass der exakte Ort, an dem Nervenzellen Aktionspotentiale 'feuern', in der Tat mit dem Ort des 'Anfangstals' übereinstimmt. Die Nutzung dieses kleinen Signals ermöglichte die erste genaue Kartografierung der 'Orientierungskolumnen' – jenen Mikroprozessoren, die für die Formwahrnehmung in den frühen Verarbeitungsbereichen des visuellen Kortex verantwortlich sind.

In derselben Ausgabe von Nature Neuroscience erschien auch 'News and Views'-Artikel von Amiram Grinvald, Hamutal Slovin und Ivo Vanzetta vom Weizmann Institut, in dem sie die Leistung und Ergebnisse des Teams aus Minnesota würdigen und analysieren sowie neue Daten aus der optischen Bildgebung vorstellen. Zusammengesehen legen diese Artikel den Schluss nahe, dass durch Verschiebung der Aufmerksamkeit auf das 'Anfangstal' nichtinvasive Kartografierung kortikaler Kolumnen durch fMRI auch in der Erforschung des menschlichen Gehirns möglich wird.

Wissenschaftler sind der Auffassung, dass die enorme Verbesserung der Genauigkeit des fMRI die Forschung einen grossen Schritt weiter bringen wird und das Verständnis der fundamentalen Mechanismen, die der menschlichen Wahrnehmung und den höheren kognitiven Fähigkeiten zu Grunde liegen, verbessern werden. Darüber hinaus könnte die Methode eine wertvolle Rolle bei der Verbesserung von Frühdiagnostik und eventuell auch bei der Verhinderung von verschiedenen neuropsychiatrischen Störungen spielen.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.