Direkt zum Inhalt

News: Ein nützlicher Pascha

In unserer Gesellschaft sehen sich die weiblichen Mitglieder häufig einer männlichen Dominanz ausgesetzt. Betrachtet man das Insektenreich, so gibt es dort ganz andere Strukturen. Die Männchen können häufig froh sein, wenn sie nicht auf den Speiseplan ihrer Gefährtinnen geraten. Aber jede Regel hat ihre Ausnahme: Nun wurde bei tropischen Wespen entdeckt, daß deren männliche Exemplare eher ein Leben nach Art der Paschas führen. Für Insektenmännchen müßte Costa Rica nach diesem Bericht ein wahres Paradies sein.
In der Welt der Insekten genießen Männer gewöhnlich nicht gerade viel Respekt. Die männlichem Vertreter einer europäischen Gottesanbeterin leben mit der Gefahr, daß ihnen die Gefährtin den Kopf vom Rumpf reißt und ihn frißt. Einige männliche Spinnen werden häufig von ihren ganz und gar nicht devoten Weibchen genüßlich verspeist. Bestenfalls tolerieren die Weibchen ihre männlichen Artgenossen, nehmen jedoch eindeutig die dominante Rolle ein.

Jetzt wurde die erste Art unter den staatenbildenden Insekten entdeckt, eine Wespe, bei der die Männer im Nest "das Sagen haben", die Weibchen beißen und sie mitunter auch fortjagen, wobei sie selbst vor den Königinnen nicht haltmachen. Auch verspeisen sie einen Großteil des von den Arbeiterinnen gesammelten Futters. Sean O'Donnell von der University of Washington, der die Wespe in den Nebelwäldern Costa Ricas studierte, glaubt nicht an einen Einzelfall. Er ist der Meinung, daß man unter den sozialen Insekten weitere Beispiele männlicher Vorherrschaft finden wird, da sich die Forscher jetzt zunehmend auf Tropen konzentrieren, in denen die meisten Spezies beheimatet sind. In der Vergangenheit hatten die Wissenschaftler, die ja meist in gemäßigten Zonen wohnen, vor allem in der Nähe lebende Insekten studiert, bei denen eine männliche Dominanz nicht vorkommt.

"Bei den sozialen Insekten wurde den Männchen keine große Aufmerksamkeit geschenkt. Wir hatten dieses Vorurteil, wonach Männchen unwichtig seien, und haben sie bis zu einem bestimmten Grade ignoriert", bemerkte O'Donnell, der seine Ergebnisse in Ethology veröffentlichen wird. Diese Einstellung könnte sich nach seiner Studie über die Wespenart Mischocyttarus mastigophorus bald ändern. Besagtes Insekt kommt in annähernd 1 450 Meter Höhe in den Nebelwäldern Costa Ricas und der benachbarten Länder vor. Die Wespe ist ungefähr 1,3 cm lang und lebt in kleinen Völkern aus zwei bis drei Dutzend Tieren unter dunklen und feuchten Bedingungen. Sie tritt in zwei Farbtypen auf, welche anderen Wespenarten nachempfunden sind, die in den Randgebieten ihres Lebensraumes zu Hause sind. Die Männchen stellen die Hälfte oder mehr der Population eines Volkes.

O'Donnell studierte 32 Völker der M. mastigophorus, untersuchte die Anzahl der in jeder Gruppe lebenden Männchen und sammelte detaillierte Daten zum Verhalten aller Einzelinsekten innerhalb von sechs Völkern. Dem Wissenschaftler zufolge findet man ein auf Dominanz basierendes Verhalten bzw. aggressive soziale Wechselbeziehungen häufig in Insektengemeinschaften. Doch bei den bisherigen Beobachtungen waren für ein solches Verhalten nur die Weibchen verantwortlich und zwar sowohl Königinnen als auch Arbeiterinnen, die gewöhnlich das Gros der riskanten Aufgaben und Arbeiten in Insektenkolonien verrichten. Königinnen dominieren hierbei über die Arbeiterinnen und diese wiederum sind untereinander hierarchisch geordnet. Die Männchen befanden sich stets ganz unten in der Hackordnung.

Unter den Wespen Costa Ricas beobachtete O'Donnell jedoch, daß die Männchen die Weibchen jagten und angriffen, sie manchmal bissen oder an ihnen herumkauten oder sie vom Nest vertrieben. Die Weibchen ihrerseits schlugen nicht auf ähnliche Weise zurück, ergaben sich aber auch nicht unterwürfig der männlichen Vorherrschaft. Statt dessen kauerten sich die Arbeitsbienen und Königinnen zusammen, wurden unbeweglich oder flohen aus den Nestern. Die Männchen suchten auch nicht nach Futter und arbeiteten kaum für das Volk, verspeisten indes einen Großteil jenes Futters, das die Weibchen ins Nest gebracht hatten.

Warum sind nun gerade bei dieser Spezies die Männchen die "Paschas"? Wie O'Donnell glaubt, handelt es sich um eine Fortpflanzung- und Paarungsstrategie. Im Gegensatz zu den in gemäßigten Klimazonen vorkommenden Wespenmännchen, die nur ein kurzes Leben und eine noch kürzere Zeit zur Paarung haben – von einigen Tagen bis zu mehreren Wochen –, sind die Männchen der M. mastigophorus verhältnismäßig lange auf der Welt. Bei Populationsstudien über viele Monate hinweg konnte der Forscher beobachten, daß die Männchen mindestens zehn Monate lang anwesend waren. Ein männliches Individuum hat vielleicht das Potential, sich über mehrere Monate paaren zu können.

"Ich würde sagen, es ist am wahrscheinlichsten, daß die Dominanzfunktion den Nahrungsstrom hin zu den Männchen leitet, was diesen gestattet, im Nest zu bleiben. Hierdurch leben die Männchen länger und können sich somit über einen längeren Abschnitt des Jahres hinweg paaren", meinte O'Donnell. Das Paschatum hat also durchaus einen evolutiven Sinn.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.