Krankenhauskeime: Einer der gefährlichsten Pilze
Der Ausbruch des Keims begann harmlos. Ein Keim, den die Mediziner monatelang nicht stoppen konnten und der sie am Ende dazu zwang, die Intensivstation ihres Krankenhauses für mehrere Tage abzuriegeln. Es begann mit einer Routineuntersuchung. Ein Patient am Royal Brompton Hospital in London war im April 2015 auf die Intensivstation verlegt worden, um sich dort von einer Herzoperation zu erholen. Doch die Wunde am Brustkorb, wo man seinen Körper aufgeschnitten hatte, entzündete sich. Es war keine ungewöhnliche Situation: Der Patient war stark geschwächt und damit besonders empfänglich für alle Arten von krank machenden Keimen.
Um festzustellen, welcher Erreger die Entzündung bei dem Patienten verursachte, analysierten die Ärzte sein Blut. Schnell wurden sie fündig. Ein mikroskopisch winziger Hefepilz hatte sich in seinem Körper ausgebreitet: Candida auris, das zeigten die Analysegeräte des Krankenhauses. Wenig war über den Pilz bekannt – erst kurz zuvor war sein Profil überhaupt durch ein Update in die Analysegeräte gekommen. Nicht weniger schleierhaft war, wo der Patient mit dem Pilz in Kontakt geraten war: Im ganzen Jahr zuvor war nicht ein einziges Mal Candida auris im Royal Brompton Hospital aufgetreten. Das offenbarte eine nachträgliche Analyse aller mikrobiellen Proben aus dieser Zeit.
Die Ärzte verabreichten dem Patienten ein starkes Antimykotikum, das den Pilz bekämpfen sollte. Sie setzten es zur Behandlung verschiedener Candida-Infektionen ein, also sollte damit auch Candida auris verschwinden. Doch der Pilz blieb. Nur wenige Tage nach der ersten Diagnose gab es eine weitere: Ein Patient aus dem gleichen Zimmer wie der erste war mit Candida auris infiziert und zeigte nun Symptome einer Blutvergiftung. Auch er bekam ein Antimykotikum, um den Pilz abzutöten. Doch zwei Monate später gab es erneut zwei Fälle. Im November waren es bereits neun. Und mit Beginn des folgenden Jahres wurde die Situation nahezu unkontrollierbar.
Zustand verschlechtert sich trotz Medikamentengabe
Sieben Fälle im Januar, fünf im Februar, zehn im April: Bis Juni 2016, nur 15 Monate nachdem Candida auris zum ersten Mal bei Patienten des Royal Brompton Hospital festgestellt worden war, hatte man in 52 Fällen den Erreger bei Patienten nachgewiesen. Bei 22 von ihnen war der Pilz in die Blutbahn gelangt, sie wurden nun mit unterschiedlichen starken Antimykotika behandelt. Trotzdem verschlechterte sich bei manchen der Zustand. Drei der Patienten waren bereits an multiplem Organversagen gestorben.
Mediziner und Pfleger waren hilflos. Sie testeten, ob einer der knapp 260 Angestellten, mit denen die Patienten in Kontakt geraten waren, unwissentlich den Pilz verbreitete. Ärzte, Schwestern, Physiotherapeuten, Küchenhilfen und Putzkräfte, selbst ein Kaplan ließen sich untersuchen – ohne Ergebnis. Man reinigte Oberflächen, Wände, Betten und Apparaturen. Die Patienten wurden isoliert, nur mit spezieller Schutzkleidung durfte man sich ihnen nähern. Doch der Pilz verschwand einfach nicht. Am 2. Juni entschied man sich schließlich für einen radikalen Schritt. Die Intensivstation, der Ort der Ansteckung, wurde abgeriegelt. Elf Tage lang sollte die gesamte Anlage tiefengereinigt werden. Nur so würde man den Pilz endlich loswerden, war die Hoffnung.
Der Vorfall in dem Londoner Krankenhaus war nicht der erste seiner Art, wie man heute weiß. Bereits wenige Jahre zuvor waren Ausbrüche unter anderem in den USA und in Südafrika registriert worden – doch sie erregten noch kein weltweites Aufsehen. Noch während man in London mit dem Pilz kämpfte, kam es zu einem weiteren Ausbruch in einem Krankenhaus im spanischen Valencia. Erst nach und nach zeigte sich sein bedrohliches Potenzial. Fälle von Candida auris kennt man inzwischen aus über 20 Ländern, darunter auch Deutschland. Ob sich jedoch aus nachgewiesenen Erregern auch ein gefährlicher Ausbruch entwickelt, lässt sich nicht vorhersagen.
Rätselhafte Herkunft
Weltweit taucht der Pilz seit ein paar Jahren in immer mehr Krankenhäusern auf – ohne dass zwischen den Orten ein Kontakt bestanden haben muss. Bislang ist nicht bekannt, woher der Pilz eigentlich stammt. 2009 wurde er das erste Mal beschrieben, weil er bei einer 70-jährigen Japanerin eine Ohrenentzündung verursacht hatte. Anhand von Proben aus früheren Jahren weiß man heute aber, dass der Pilz bereits 1996 in Südkorea und 2008 in Pakistan aufgetreten ist.
Dass er so lange im Verborgenen blieb, ist nicht verwunderlich: Lange Zeit wurde Candida auris im Labor mit anderen Candida-Arten verwechselt. Auch heute noch wird er nur mit modernen Analysegeräten eindeutig identifiziert. Dabei ist es zwingend notwendig, den Pilz schnell und eindeutig zu erkennen: Candida auris ist, anders als andere Candida-Arten, sehr oft gegen mindestens eine der drei verfügbaren Wirkstoffgruppen gegen Pilzinfektionen resistent. Fluconazole, die am häufigsten gegen Pilzinfektionen verabreicht werden, sind bei 93 Prozent der Infektionen unwirksam. 41 Prozent aller Infektionen sind gegen zwei Wirkstoffgruppen resistent, vier Prozent aller Infektionen lassen sich gar nicht behandeln.
Hinzu kommt, dass der Pilz zäh ist: Mindestens zwei Wochen und bis zu sieben Monate kann er auf Oberflächen überdauern. Normale Reinigungsmittel machen ihm nichts aus. Und Candida auris ist schnell. Vier Stunden Kontakt mit einer kontaminierten Oberfläche oder einem Träger von Candida auris genügen für eine Ansteckung. In einer Übersichtsarbeit von 2018 nennen ihn Forscher »einen der zehn am meisten gefürchteten Pilze«.
Gefährlicher, zäher Pilz
Gesunde Menschen sind durch Candida auris nicht gefährdet. Sitzt der Pilz nur auf der Haut oder der Schleimhaut, zeigen sich ebenfalls keine Symptome, doch können ihn die Betroffenen so weitergeben. Gefährlich wird es, wenn der Pilz in die Blutbahn gerät, etwa durch eine Wunde. Eine Infektion mit Candida auris ist fatal: Der Krankenhauskeim befällt Patienten, die nach einer Operation, durch ihr Alter oder wegen einer Krankheit ohnehin bereits stark geschwächt sind. Der Pilz belastet ihr Immunsystem zusätzlich. Verschiedene Berichte aus Krankenhäusern legen nahe, dass ein Drittel bis 72 Prozent aller infizierten Patienten innerhalb eines Monats sterben – ob der Pilz den Tod direkt verursacht, ist jedoch nicht klar.
»Für uns war das damals nur eine weitere Candida-Art, wie sie fast ständig weltweit neu entdeckt werden«Grith Walther
»Am Anfang ahnte niemand, dass es sich bei Candida auris um einen besonderen Keim handelt«, sagt Grit Walther. Sie ist Forscherin am Nationalen Referenzzentrum für Invasive Pilzerkrankungen (NRZMyk) in Jena. Hier laufen alle Informationen über neue Pilzerkrankungen in Deutschland zusammen. Zusätzlich unterstützt das NRZMyk Kliniken bei der Analyse von Pilzerkrankungen, deren Erreger nicht eindeutig festgestellt werden kann. So verhielt es sich auch 2015, als der erste Fall von Candida auris in Deutschland registriert wurde.
»Für uns war das damals nur eine weitere Candida-Art, wie sie fast ständig weltweit neu entdeckt werden«, erinnert sich Walther. Doch der Umgang mit Infektionen durch seltene Candida-Pilze habe sich stark verändert, seitdem die Eigenschaften von Candida auris bekannt sind: Wo man vor ein paar Jahren noch ein unklares Untersuchungsergebnis hatte, würde so ein Fall heute bis ins letzte Detail analysiert werden, um Candida auris sicher ausschließen zu können. Denn die Gefahr, die von dem Pilz ausgeht, ist ernst zu nehmen, sagt die Mykologin.
Bis heute wurden in Deutschland zehn Fälle von Candida auris registriert (Stand 7/2019), zu sieben davon liegen genauere Untersuchungsergebnisse vor: Es waren Touristen oder Einheimische, die man aus sieben verschiedenen Ländern nach Deutschland verlegt hatte. Bei vier von ihnen war der Erreger bereits in die Blutbahn gelangt. In sieben verschiedenen Kliniken waren die Patienten eingeliefert worden. Jeder Fall konnte dort behandelt werden. Jedes Mal wurde verhindert, dass sich der Pilz in der Klinik ausbreitet. Kein einziges Mal war der Pilz panresistent, immun gegen alle zugelassenen Medikamente. »Wir haben siebenmal Glück gehabt«, weiß Oliver Cornely.
Pilz taucht selten in Deutschland auf
Cornely ist Oberarzt der Klinik für Innere Medizin an der Uniklinik Köln. Als Leiter des Exzellenzzentrums für invasive Pilzerkrankungen an der Uniklinik arbeitet er eng mit dem NRZMyk zusammen. Einer der sieben deutschen Candida-auris-Fälle wurde an seiner Klinik registriert. Es war eine Patientin, die wegen einer Infektion auf Bakterien und Pilze untersucht wurde. Der Verdacht der Ärzte bestätigte sich: Die Probleme waren durch ein gramnegatives Bakterium verursacht worden. Doch Candida auris tauchte ebenfalls im Untersuchungsergebnis auf, als zufälliger Beifang. Jetzt hat es uns also auch erwischt, dachte Cornely.
Aber nicht nur an seiner Klinik, auch in den anderen Krankenhäusern blieben die befürchteten Ausbrüche bislang aus. Cornely kann nur spekulieren, woran das liegt. Vielleicht sei es eine bessere Krankenhaushygiene, vielleicht liege es daran, dass sich die Infektionen einfach zufällig besser behandeln ließen. Noch ein weiterer Fall wurde 2015 registriert, 2017 dann noch einmal fünf. Vielleicht wurden Fälle übersehen – doch selbst wenn es so wäre, würden sie sich an einer Hand abzählen lassen, schätzt Cornely. Die Früherkennung funktioniert, und die Maßnahmen, die die Ausbreitung des Pilzes verhindern sollen, greifen. »Wir haben die Situation im Griff«, sagt der Mediziner, »oder zumindest scheint es so.«
Denn Kliniken, in denen der Keim auftritt, informieren nur selten direkt über die Vorfälle. Auch das Londoner Royal Brompton Hospital hat zu dem Ausbruch von 2016 nie offiziell Stellung bezogen. Dabei kam es nach der Tiefenreinigung vom Juni 2016 zu weiteren Infektionen mit Candida auris. Über die genaue Zahl hält man sich bedeckt. Man wird sich daran gewöhnen müssen, dass Candida auris nun weltweit zum klinischen Alltag gehört, sagt Cornely – und damit all die Herausforderungen, die der Pilz mit sich bringt. Doch solange man ihn erkenne, gäbe es immerhin eine Chance, ihn unter Kontrolle zu bekommen.
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