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News: Ein Schalter im Immunsystem

Nehmen wir mal an, eine werdende Mutter könnte das Geschlecht ihres Kindes durch die Menge eines bestimmten Nahrungsmittels steuern - sagen wir, durch die Anzahl von Essiggurken, die sie in den ersten drei Schwangerschaftstagen isst. Vollkommen absurde Vorstellung, sicherlich. In unserem Immunsystem spielt sich jedoch im entferntesten Sinne etwas derartiges ab. Denn die Menge eines speziellen Proteins entscheidet darüber, was aus einer bestimmten Sorte von unreifen Immunzellen wird: entweder gefräßige Makrophagen oder strategische B-Zelle.
Unser Immunsystem besteht aus einer schwer überschaubaren Menge von Zellen mit den verschiedensten Funktionen. Viele davon gehen aus wenigen unspezialisierten Stammzellen hervor und bekommen erst im Laufe ihrer Entwicklung ihre endgültige Funktion zugewiesen. Aus den Vorläufern weißer Blutzellen beispielsweise differenzieren sich entweder Fresszellen, die Eindringlinge attackieren, aufsaugen und schließlich verdauen, oder Antikörper-produzierende B-Zellen hervor. Harinder Singh vom Howard Hughes Medical Institute und seine Kollegen von der University of Chicago konnten jetzt nachweisen, das die Konzentration eines speziellen Proteins über das Schicksal der Vorläuferproteine entscheidet (Science vom 26. Mai 2000).

Bei dem Protein PU.1 handelt es sich um einen so genannten Transkriptionsfaktor, der reguliert, wann von einem Gen eine Arbeitskopie gemacht wird. In älteren Studien fanden Singh und seine Mitarbeiter schon heraus, dass PU.1 eine wichtige Rolle bei der Ausbildung von weißen Blutzellen spielt. Schalteten sie das PU.1-Gen gentechnisch in Labormäusen aus, so konnten diese keine Vorläuferzellen mehr bilden und somit auch keine Makrophagen oder B-Zellen. Außerdem fanden sie heraus, dass PU.1 wichtig für die Differenzierung ist.

"Das hat uns vor ein Rätsel gestellt", erinnert sich Singh. "Wenn dieser einzelne Transkriptionsfaktor notwendig für die Entwicklung verschiedener Zelltypen im Immunsystem ist – von denen jeder einzelne Typ über eine ganz eigene Gen-Ausstattung verfügt – , wie kann dieser eine Faktor so unterschiedliche Programme regulieren?"

Um das zu klären, isolierten die Forscher weiße Blutzellen aus den PU.1-Knockout-Mäusen und brachten mit Hilfe von Viren das entsprechende Gen nachträglich ein. Dabei fanden sie heraus, dass die Entwicklung dieser Zellen auf diese Weise wieder angekurbelt werden konnte: So behandelt differenzierten die Zellen in eine ihrer beiden reifen Formen. Erstaunlicherweise zeigten die resultierenden Fresszellen viel höhere PU.1-Konzentrationen als die B-Zellen, die sich in derselben Kultur ausbildeten.

In Folgeexperimenten variierten Singh und seine Kollegen die PU.1-Konzentration in normalen Vorläuferzellen und stellten, dass große Mengen des Proteins zur Makrophagen-Differenzierung führt, während eine sehr geringe Konzentration die Ausbildung von B-Zellen hervorruft. "Die Idee, dass unterschiedliche Konzentrationen eines Transkriptionsfaktors die Entwicklung unterschiedlicher Zelltypen aus einem Vorläufer kontrollieren, wird schon seit längerer Zeit von Entwicklungsbiologen vermutet", erläutert Singh die Ergebnisse. Das konnte bislang nur noch nie gezeigt werden.

Auch wenn PU.1 nach Meinung des Forschers mit Sicherheit nicht allein der bestimmende Faktor ist, so eröffnen diese Ergebnisse doch interessante therapeutische Ansätze: Es wäre beispielsweise denkbar, dass dieser Protein-"Schalter" in Krebsgeweben durch Medikamente nachträglich eingeschaltet wird und möglicherweise zur Entwicklung gesunder Zellen führt.

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