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News: Ein spiegelbildlicher Signalstoff

Wie die linke und die rechte Hand sich nur durch eine Spiegelung ineinander überführen lassen, so unterscheiden sich auch die D- und die L-Form von Aminosäuren nur aufgrund ihrer räumlichen Anordnung, chemisch sind beide gleich. Doch der kleine Unterschied hat eine große Wirkung: Aus noch nicht völlig bekannten Gründen nutzen Organismen fast nur L-Aminosäuren. Sie bauen daraus ihre Proteine auf, verwenden L-Aminosäuren als Botenstoffe und als Bestandteile anderer Verbindungen. Säugetiere nutzen überhaupt keine D-Aminosäuren, nahmen Wissenschaftler bis vor kurzem an. Dann entdeckte ein amerikanischer Neurowissenschaftler jedoch, daß im Gehirn von Ratten sehr wohl eine D-Aminosäure vorkommt.
Wenn an ein Kohlenstoffatom vier verschiedene chemische Gruppen gebunden sind, können diese auf zwei verschiedene Arten räumlich angeordnet sein. Die beiden Varianten lassen sich dann nicht durch eine Drehung miteinander zur Deckung bringen, erst mit einer Spiegelung können sie ineinander überführt werden. Ähnlich verhält es sich mit unserer rechten und linken Hand, weshalb Wissenschaftler von der Händigkeit oder Chiralität der Substanz sprechen.

Zu den für Lebewesen wichtigsten chiralen Verbindungen gehören Aminosäuren, an deren zentralem Kohlenstoffatom sich eine Amino- und eine Carbonsäuregruppe befinden, ein Wasserstoffatom sowie ein Rest, von dem abhängt, um welche Aminosäure es sich genau handelt. Je nach Anordnung der Liganden liegt eine L- oder eine D-Aminosäure vor. Allerdings nutzen nur wenige Organismen – hauptsächlich Bakterien – die D-Form in ihren Molekülen. Von den höheren Tieren und vor allem den Säugetieren wurde bislang angenommen, daß sie ausschließlich L-Aminosäuren in ihren Zellen haben.

Das vermeindlich sichere Wissen geriet ins Wanken, als Solomon Snyder von der Johns Hopkins University School of Medicine vor einiger Zeit verkündete, im Gehirn von Ratten die Aminosäure D-Serin gefunden zu haben. In den Proceedings of the National Academy of Sciences vom 9. November 1999 berichtet er nun, daß er auch das Enzym, mit dem Zellen diese D-Aminosäure herstellen, isolieren und untersuchen konnte. Ort der Synthese sind sogenannte Astrocyten – Zellen im Gehirn, die als Begleiter von Nervenzellen andere Aufgaben als die Reizweiterleitung und Verarbeitung übernehmen. Mit dem Enzym Serin-Racemase wandeln die Astrocyten das normale L-Serin in seine D-Form um.

Das D-Serin wirkt außerhalb der Astrocyten als Aktivator des sogenannten NMDA-Rezeptors. Der wiederum kommt vor allem in Nervenzellen vor, die an Lernprozessen, dem Gedächtnis und höheren Hirnleistungen beteiligt sind. Früher glaubten Neurowissenschaftler, der Rezeptor würde alleine durch den Neurotransmitter Glutamat stimuliert. Als Snyder und seine Mitarbeiter jedoch mit Enzymen das D-Serin zerstörten, blieben die NMDA-Rezeptoren auch in Anwesenheit von Glutamat inaktiv.

Vermutlich handelt es sich bei dem D-Serin um eine Art Sicherung gegen die unter Umständen verheerenden Wirkungen eines überaktiven NMDA-Rezeptors, meint Snyder. Glutamat ist eine der häufigen Verbindungen im Körper, erst die seltenere Verbindung D-Serin ermöglicht eine wirksame Kontrolle.

Die neuen Ergebnisse könnten eventuell für die Frühbehandlung von Schlaganfall-Patienten nützlich sein. Der plötzlich auftretende Sauerstoffmangel führt nämlich zu einer heftigen Übererregung der NMDA-Rezeptoren, was die Zerstörung von Nervenzellen nach sich zieht. "Wenn wir in der Lage wären, die Rezeptoren auszuschalten oder herunterzufahren, könnten wir eventuell Schäden vermeiden", sagt Snyder.

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