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Zukunftstechnologien: Ein weiterer Schritt Richtung Gedächtnismanipulation

Molekularbiologen haben eine Methode entwickelt, mit der sie Gruppen von Nervenzellen im Gehirn einer Maus ein- und ausschalten können.
Ein Lichtstrahl trifft eine fein verzweigte Nervenzelle

In dem US-Filmdrama »Vergiss mein nicht!« beauftragt der junge Joel ein Biotechnologieunternehmen, seine Erinnerungen an die Frau, die er liebt und die ihn gerade verlassen hat, aus seinem Gehirn zu löschen. Es ist für ihn die einzige Lösung, um ohne sie weiterleben zu können. Mitarbeiter der Firma kommen deshalb zu ihm nach Hause und entfernen gezielt die Erinnerungen an die junge Frau aus seinen Neuronen. Mancher Kinogänger hat die Szene vielleicht noch im Gedächtnis: Man sah grüne und orangefarbene Nervenzellen, die mit einem Mikroskop identifiziert und deaktiviert werden.

Der Film stammt aus dem Jahr 2004. Heute entstehen solche Aufnahmen in einem realen zell- und molekularbiologischen Labor an der University of Berkeley in Kalifornien, und zwar mit echten Gehirnen – von Mäusen, glücklicherweise. Im Frühjahr 2018 beschrieben Alan Mardinly und seine Kollegen in der Zeitschrift »Nature Neuroscience« eine Methode, mit der sie per Fernbedienung beliebige Neuronengruppen ein- und ausschalten können, indem sie gezielt einzelne Neurone anvisieren. Wenn jede unserer Erinnerungen, jeder Gedanke, jede Emotion durch Aktivierung eines bestimmten Neuronennetzwerks im Gehirn erzeugt wird, würden solche Eingriffe es auf lange Sicht erlauben, unsere mentale Welt zu kontrollieren.

Vorerst wurde die Operation allein an Mäusen vorgenommen, um die Methode zu testen. Die Forschung vereint mehrere technologische Fortschritte in der Physik und Biologie der vergangenen Jahre. Das Gerät, das die Kontrolle über die Neuronen übernimmt, ist ein Lasersystem, das von einem holografischen Computerprogramm gesteuert wird. Der Benutzer definiert damit die 3-D-Koordinaten von beispielsweise 50 Neuronen, die er aktivieren oder ausschalten möchte.

Das holografische Programm lenkt dann die Laserstrahlen so, dass sie durch das lebende Hirngewebe auf die in der 3-D-Matrix definierten 50 Punkte fokussieren. Es verwendet eine Zwei-Photonen-Stimulationstechnik, die Energie überall in der Großhirnrinde fokussieren kann, ohne das umgebende Gewebe zu erhitzen. Mit einem Wort: Die Laserenergie konzentriert sich ausschließlich auf die 50 anvisierten Nervenzellen.

Neuronen mit Ein-Aus-Schalter

Vorher werden die Neuronen des Versuchstieres gentechnisch verändert, um sie aktivierbar zu machen. Die entsprechend modifizierte Maus verfügt dann über ein Gen, das alle ihre Neuronen mit lichtempfindlichen Molekülen ausstattet. Werden diese vom holografischen Laser getroffen, verändern sie ihre chemische Struktur: In den Membranen, den Neuronenwänden, bilden sich kleine Löcher, durch die Ionen eindringen und elektrischen Strom erzeugen können. Das Neuron befindet sich dann im gleichen aktiven Zustand, wie wenn es auf natürliche Weise aktiviert wird.

Forscher haben außerdem Moleküle kreiert, die starke elektrische Ströme in Neuronen verursachen können, sobald das Licht einer bestimmten Wellenlänge auf sie trifft. Solche Moleküle, Opsine genannt, sind in vielen Organismen bereits natürlich vorhanden. Bei Säugetieren werden sie Rhodopsine genannt: Sie stecken in den Neuronen unserer Netzhaut, wandeln Licht in Strom um und senden so Botschaften an das Gehirn.

Natürliche Opsine reichen jedoch nicht aus, um alle Neuronen im Gehirn zu kontrollieren, denn sie reagieren nicht schnell und stark genug. Mardinly und seine Kollegen haben sie deshalb gentechnisch so verändert, dass sie auf infrarotes Licht und zudem schneller reagieren.

Zellen leuchten auf, wenn sie aktiv werden

Und so läuft es ab: Das vom Labor präsentierte Video zeigt, wie der holografische Laser einen Teil der Großhirnrinde einer Maus aktiviert, der ein viertel Kubikmillimeter groß ist. Die darin enthaltenen aktivierten Neuronen leuchten, weil sie Kalziumionen freisetzen, die auf Grund einer zusätzlich eingeführten Substanz fluoreszieren. Mit anderen Worten: Die Neuronen leuchten auf, wenn sie aktiv werden. Und dank der gleichen Mikroskopietechnik, die auch bei ihrer Aktivierung zum Einsatz kommt, lassen sie sich perfekt lokalisieren.

Mit dieser Art von Technologie könnte die Neurowissenschaft in eine neue Ära eintreten, in der das präzise Steuern neuronaler Netze, die unser Innenleben und Verhalten bestimmen, keine Fiktion mehr ist. Derzeit stehen dem allerdings noch mehrere Hindernisse im Weg. Erstens kann die beschriebene biophotonische Stimulation noch nicht in tiefere Regionen des Gehirns vordringen, besonders beim Menschen mit seinem viel größeren Gehirn. Zweitens bedarf es einer Öffnung des Schädels, um die Hirnsubstanz direkt zu beleuchten.

Und schließlich könnte sich noch eine andere Hürde als unüberwindbar erweisen: Einen neuronalen Schaltkreis im Gedächtnis zu fotografieren und zu reaktivieren, mag funktionieren, solange genau dieser Neuronenverbund die betreffende Erinnerung unterstützt. Das könnte für ein paar Tage oder Wochen zutreffen, aber es ist durchaus denkbar, dass die Erinnerung nach ein paar Monaten oder Jahren in andere Teile des Gehirns »wandert« und die Erinnerungsfunktion von anderen Netzwerken übernommen wird. Kein Zweifel, dass sich Widerstand regen wird …

Der Artikel erschien im Original unter dem Titel »Télécommander le cerveau, un fantasme de plus en plus réel« beim französischen Wissenschaftsmagazin »Cerveau et Psycho«.

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