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News: Eine Erbse macht Geschichte

Ein wenig schrumpelig sieht sie schon aus mit ihren 2000 Jahren. Die Erbse ist ein Überrest aus der berühmten Varus-Schlacht im Teutoburger Wald, die 9 nach Christus bei Kalkriese stattfand.
"Für uns sind die Funde der verschiedenen gut erhaltenen Kulturpflanzen ein Glücksfall", sagt Prof. Dr. Richard Pott vom Institut für Geobotanik der Universität Hannover. Die unscheinbaren Pflanzenreste machen Geschichte lebendig und erzählen von der Varus-Schlacht. Darüber hinaus weisen die Pflanzen von der Vergangenheit in die Zukunft: Teile ihrer genetischen Struktur zeigen den Wissenschaftlern, wie die alten Kulturpflanzen vor 2000 Jahren gebaut waren.

"Solche trockenkonservierten Pflanzenteile sind in unseren Breitengraden eine Besonderheit ", berichtet Prof Pott, " bisher sind derartige Funde ausschließlich in mediteranen und vorderasiatischen Gebieten gemacht worden". Vollständige Blütenstände von Hafer- und Erbsenpflanzen, Ackerwinde sowie eine Vielzahl von Farnfragmenten sind neben einzelnen Blättchen die kostbare Ausbeute aus der luftdicht abgeschlossenen Deichselkappe. Paläobotanische Untersuchungen haben ergeben, daß der römische Legionär mit den Pflanzen die Holzdeichsel umwickelt und damit stabilisiert hat.

Der römische Geschichtsschreiber Tacitus berichtet, daß 9 nach Christus drei römische Legionen unter der Führung des Publius Quinctilius Varus durch germanische Stammesverbände vernichtend geschlagen worden seien. Archäologische Funde belegen, daß die historisch überlieferte Schlacht bei Kalkriese am Nordrand des Wiehengebirges stattgefunden hat. Eingeschlossen in eine bronzene Kappe einer Wagendeichsel erzählen nun die Überreste von Haferstengeln, Erbsen, Farn und andere Ackerunkräuter wiederum von einem kleinen Ausschnitt der Varus-Schlacht: Das Wagengespann fuhr vermutlich mit voller Wucht gegen einen germanischen Erdwall und wurde samt Zugtier vom darüberkippenden Boden begraben. Überdauert haben das Ereignis einige Knochen des Maultieres und die Kappe der Wagendeichsel, gefüllt mit dem Hafer- und Erbsenstroh sowie den anderen Pflanzen.

Die nächste Frage, die es für die Geobotaniker zu klären galt, war die Herkunft der gefundenen Pflanzen. Wurden die Kulturpflanzen vor Ort angebaut oder aus weiter entfernt liegenden römischen Rheinprovinzen nach Kalkriese gebracht? Pott ist der Meinung "Jüngste pollenanalytische Untersuchungen widersprechen dem bisherigen Bild von einer unbesiedelten Urlandschaft, von der römische Überlieferungen erzählen. Das Gebiet um Kalkriese ist schon vor rund 5 000 Jahren mehr oder weniger besiedelt gewesen." Paläobotanische Untersuchungen eines am Kalkrieser Berg angrenzenden Moores zeichnen zur römischen Kaiserzeit das Bild einer Kulturlandschaft mit lichtliebenden Kräutern und Sträuchern. Über lange Zeit herrschte die Vorstellung, daß die Landschaft um den Kalkrieser Berg zu Beginn des ersten Jahrhunderts eine von dichten Wäldern geprägte Landschaft gewesen sei. Neue archäologische Funde von bäuerlichen Siedlungen belegen die Ergebnisse der geobotanischen Untersuchungen.

"Wir gehen davon aus, daß der verunglückte Legionär zunächst einmal im Sommer des Jahres 9 nach Christus die Wagendeichsel mit Hafer- und Erbsenstengel umwickelte und dann noch einmal im September unmittelbar vor Beginn der Kampfhandlungen", berichtet Dr. Martin Speier vom Institut für Geobotanik der Universität Hannover. Demnach bestehe die Möglichkeit, daß die erste Umwicklung aus einer der römischen Provinzen stamme, währende die zweite Befestigung vermutlich aus der Umgebung der Kalkrieser-Nieweder Senke stammen könnte, so der Wissenschaftler. Pott: "Die tatsächliche Herkunft der Pflanzenreste hoffen wir mit molekulargenetischen Untersuchungen näher zu klären." Die 2000 Jahre alten Pflanzenreste seien so gut erhalten, daß DNA-Analysen möglich seien. Dieser Glücksfall eröffne möglicherweise neue Forschungsperspektiven, hofft der hannoversche Geobotaniker. Pott: "Wir könnten dann auf der Basis vergleichender Untersuchungen die tatsächliche Herkunft der Pflanzenreste sicher klären. Aber darüber hinaus erlangen wir Einblick in den genetischen Aufbau der alten Kulturpflanzen, was für die Züchtungsforschung wiederum interessant sein könnte."

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