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News: Eine Frage des Standorts

Protonen sind äußerst stabile Teilchen, deren Halbwertszeit selbst das Alter des Universums um ein Vielfaches übertrifft. Doch Theoretiker vermuten, dass diese Teilchen, wenn sie denn extrem beschleunigt werden, schneller zerfallen. Nun meinen andere Forscher, dass wäre alles nur eine Frage des Standorts: Ein ruhender Beobachter sähe demnach den Zerfall des Protons, ein mitbewegter hingegen die Kollision mit einem Teilchen, das im ruhenden Fall gar nicht existiert.
Bezugssystem waren schon immer eine besondere Spielwiese für Physiker. Erlaubt doch die richtige Wahl des Standorts, schnell ein Problem zu lösen, an dem man sich in einem anderen Koordinatensystem die Zähne ausbeißen würde. Andererseits tauchen in manchen Bezugssystemen auf einmal Kräfte auf, die sonst nicht zu beobachten sind. Man bezeichnet sie deshalb auch als so genannte Scheinkräfte. Ein prominentes Beispiel ist die Zentrifugalkraft, die nur in rotierenden Systemen existiert.

Was für Kräfte gilt, scheint nun auch für Teilchen zuzutreffen. Oder wie es George Matsas von der Universidade Estadual Paulista ausdrückt: "Was sonst nur möglich erscheint, ist in der Teilchenphysik häufig ein Muss." Der Wissenschaftler fand nämlich in einer theoretischen Arbeit zusammen mit seinem Kollegen Daniel Vanzella heraus, dass das Verhalten von gleichförmig beschleunigten Protonen offenbar abhängig vom Ort des Betrachters ist.

Normalerweise sind freie Protonen äußerst stabile Elementarteilchen. Anders verhält es sich beispielsweise mit dem etwas schwereren Neutron, dass als freies Teilchen mit einer Halbwertszeit von etwas mehr als zehn Minuten in ein Proton, ein Elektron und Antineutrino zerfällt. Das Proton hingegen besitzt eine theoretische Halbwertszeit von mehr als 1,6·1025 Jahren, das ist rund eine Milliarde mal eine Million mal das Alter des Universums. Die Wahrscheinlichkeit eines solchen Ereignisses ist also unvorstellbar gering.

Nun sagten Theoretiker aber bereits in den sechziger Jahren voraus, dass freie Protonen durchaus auch schneller in ein Neutron, ein Positron und ein Neutrino zerfallen können, sie müssten nur besonders stark beschleunigt werden. Dabei ist diese Beschleunigung jedoch genauso unvorstellbar wie die Halbwertszeit: Sie müsste etwa 1032-mal der Beschleunigung einer Rakete betragen, damit sich die mittlere Lebenszeit des Protons auf rund 15 Minuten verkürzt.

Vanzella und Matsas hatten mit dieser Vorhersage ihre Probleme. Und zwar nicht ob der großen Zahlen, sie überlegten sich vielmehr, was ein Beobachter, der zusammen mit dem Proton reist, sehen müsste: In dieser Perspektive scheint das Proton zu ruhen und sollte demzufolge auch nicht zerfallen. Die beiden Forscher rechneten also mit beiden Bezugssystemen und fanden Erstaunliches: Ein mitbewegter Beobachter sieht tatsächlich keinen Zerfall des Elementarteilchens, dafür wird er jedoch eines anderen Teilchens gewahr, das mit dem Proton kollidiert – eines Teilchens, das für einen unbewegten Beobachter gar nicht existiert.

Was im ersten Moment paradox erscheint, ist offenbar eine Eigenart der so genannten Quantenfeldtheorie, die jene Teilchen beschreibt. Das Auftreten des "Geister"-Teilchens in einen mitbewegten Bezugssystem lässt sich innerhalb dieser Theorie mithilfe des Fulling-Davies-Unruh-Effekt erklären. Er besagt, dass ein Beobachter, der extrem beschleunigt wird, in ein Bad aus Protonen, Neutronen, Elektronen und vielen anderen Teilchen eintaucht, wobei all diese Teilchen nur aufgrund der Beschleunigung existieren. Doch ist noch umstritten, ob es diesen Effekt überhaupt gibt.

Um zu überprüfen, inwieweit der Effekt beim beschleunigten Proton eine Rolle spielt, berechneten Vanzella und Matsas aus seiner Sicht die Wahrscheinlichkeit, dass es mit einem der Geister-Teilchen zusammenstößt. Die Wissenschaftler fanden dabei heraus, dass die Protonen genau in dem Moment mit dem Teilchen kollidieren, in dem ein äußerer Beobachter den Zerfall des Protons feststellt – ein Indiz dafür, dass es den Fulling-Davies-Unruh-Effekt tatsächlich gibt. Allerdings ist zweifelhaft, ob sich der Effekt angesichts der hohen Beschleunigungen jemals beobachten lässt. Alan Kostelecky von der Indiana University in Bloomington spekuliert, dass dies vielleicht einmal bei besonderen astrophysikalischen Phänomenen gelingen könnte.

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